Jetzt aber
werde ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbekannter Retter, wenn
Schätze dich lohnen können, so nimm mein Schiff als Zeichen meiner
Dankbarkeit."
Der Kapitano ließ sein Haupt sinken, als er so gesprochen hatte, und
verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefährten, in Staub.
Wir sammelten diesen in ein Kästchen und begruben ihn an Land; aus
der Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein Schiff in guten
Zustand setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an Bord hatte, gegen
andere mit großem Gewinn eingetauscht hatte, mietete ich Matrosen,
beschenkte meinen Freund Muley reichlich und schiffte mich nach
meinem Vaterlande ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an
vielen Inseln und Ländern landete und meine Waren zu Markt brachte.
Der Prophet segnete mein Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief
ich, noch einmal so reich, als mich der sterbende Kapitän gemacht
hatte, in Balsora ein. Meine Mitbürger waren erstaunt über meine
Reichtümer und mein Glück und glaubten nicht anders, als daß ich das
Diamantental des berühmten Reisenden Sindbad gefunden habe. Ich ließ
sie in ihrem Glauben, von nun an aber mußten die jungen Leute von
Balsora, wenn sie kaum achtzehn Jahre alt waren, in die Welt hinaus,
um gleich mir ihr Glück zu machen. Ich aber lebte ruhig und in
Frieden, und alle fünf Jahre mache ich eine Reise nach Mekka, um dem
Herrn an heiliger Stätte für seinen Segen zu danken und für den
Kapitano und seine Leute zu bitten, daß er sie in sein Paradies
aufnehme.
—————————————Die Reise der Karawane war den anderen Tag
ohne Hindernis fürder gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt
hatte, begann Selim, der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute,
also zu sprechen:
"Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und
wißt für uns gewiß irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß
er uns erquicke nach der Hitze des Tages!"
"Wohl möchte ich euch etwas erzählen", antwortete Muley, "das euch
Spaß machen könnte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen
Dingen; darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben.
Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht
erzählen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen
Kummer, wenn er solchen hat, lindern können; denn gerne dienen wir
dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens ist."
Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren
Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein
Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine
Reisegefährten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und
Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine Hand, und einige
seiner Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn so
ernst stimme.
Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: "Ich bin sehr
geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen,
von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch
weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch
einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin
als andere Leute. Ihr sehet, daß ich meine linke Hand verloren habe.
Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den
schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld
davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es
meine Lage mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr
vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand."
Die Geschichte von der abgehauenen Hand
Wilhelm Hauff
Ich bin in Konstantinopel geboren; mein Vater war ein Dragoman
(Dolmetscher) bei der Pforte (dem türkischen Hof) und trieb nebenbei
einen ziemlich einträglichen Handel mit wohlriechenden Essenzen und
seidenen Stoffen. Er gab mir eine gute Erziehung, indem er mich
teils selbst unterrichtete, teils von einem unserer Priester mir
Unterricht geben ließ. Er bestimmte mich anfangs, seinen Laden
einmal zu übernehmen, als ich aber größere Fähigkeiten zeigte, als er
erwartet hatte, bestimmte er mich auf das Anraten seiner Freunde zum
Arzt; weil ein Arzt, wenn er etwas mehr gelernt hat als die
gewöhnlichen Marktschreier, in Konstantinopel sein Glück machen kann.
Es kamen viele Franken in unser Haus, und einer davon überredete
meinen Vater, mich in sein Vaterland, nach der Stadt Paris, reisen zu
lassen, wo man solche Sachen unentgeltlich und am besten lernen könne.
Er selbst aber wolle mich, wenn er zurückreise, umsonst mitnehmen.
Mein Vater, der in seiner Jugend auch gereist war, schlug ein, und
der Franke sagte mir, ich könne mich in drei Monaten bereithalten.
Ich war außer mir vor Freude, fremde Länder zu sehen.
Der Franke hatte endlich seine Geschäfte abgemacht und sich zur Reise
bereitet; am Vorabend der Reise führte mich mein Vater in sein
Schlafkämmerlein. Dort sah ich schöne Kleider und Waffen auf dem
Tische liegen. Was meine Blicke aber noch mehr anzog, war ein großer
Haufe Goldes, denn ich hatte noch nie so viel beieinander gesehen.
Mein Vater umarmte mich und sagte: "Siehe, mein Sohn, ich habe dir
Kleider zu der Reise besorgt. Jene Waffen sind dein, es sind die
nämlichen, die mir dein Großvater umhing, als ich in die Fremde
auszog. Ich weiß, du kannst sie fuhren; gebrauche sie aber nie, als
wenn du angegriffen wirst; dann aber schlage auch tüchtig drauf.
Mein Vermögen ist nicht groß; siehe, ich habe es in drei Teile
geteilt, einer davon ist dein; einer davon ist mein Unterhalt und
Notpfennig, der dritte aber sei mir ein heiliges, unantastbares Gut,
er diene dir in der Stunde der Not!" So sprach mein alter Vater, und
Tränen hingen ihm im Auge, vielleicht aus Ahnung, denn ich habe ihn
nie wiedergesehen.
Die Reise ging gut vonstatten; wir waren bald im Lande der Franken
angelangt, und sechs Tagreisen nachher kamen wir in die große Stadt
Paris. Hier mietete mir mein fränkischer Freund ein Zimmer und riet
mir, mein Geld, das in allem zweitausend Taler betrug, vorsichtig
anzuwenden. Ich lebte drei Jahre in dieser Stadt und lernte, was ein
tüchtiger Arzt wissen muß; ich müßte aber lügen, wenn ich sagte, daß
ich gerne dort gewesen sei; denn die Sitten dieses Volkes gefielen
mir nicht; auch hatte ich nur wenige gute Freunde dort, diese aber
waren edle, junge Männer.
Die Sehnsucht nach der Heimat wurde endlich mächtig in mir; in der
ganzen Zeit hatte ich nichts von meinem Vater gehört, und ich ergriff
daher eine günstige Gelegenheit, nach Hause zu kommen.
Es ging nämlich eine Gesandtschaft aus Frankenland nach der Hohen
Pforte. Ich verdingte mich als Wundarzt in das Gefolge des Gesandten
und kam glücklich wieder nach Stambul. Das Haus meines Vaters aber
fand ich verschlossen, und die Nachbarn staunten, als sie mich sahen,
und sagten mir, mein Vater sei vor zwei Monaten gestorben. Jener
Priester, der mich in meiner Jugend unterrichtet hatte, brachte nur
den Schlüssel; allein und verlassen zog ich in das verödete Haus ein.
Ich fand noch alles, wie es mein Vater verlassen hatte; nur das Gold,
das er mir zu hinterlassen versprach, fehlte. Ich fragte den
Priester darüber, und dieser verneigte sich und sprach: "Euer Vater
ist als ein heiliger Mann gestorben; denn er hat sein Gold der Kirche
vermacht." Dies war und blieb mir unbegreiflich; doch was wollte ich
machen; ich hatte keine Zeugen gegen den Priester und mußte froh sein,
daß er nicht auch das Haus und die Waren meines Vaters als
Vermächtnis angesehen hatte.
Dies war das erste Unglück, das mich traf. Von jetzt an aber kam es
Schlag auf Schlag. Mein Ruf als Arzt wollte sich gar nicht
ausbreiten, weil ich mich schämte, den Marktschreier zu machen, und
überall fehlte mir die Empfehlung meines Vaters, der mich bei den
Reichsten und Vornehmsten eingeführt hätte, die jetzt nicht mehr an
den armen Zaleukos dachten. Auch die Waren meines Vaters fanden
keinen Abgang; denn die Kunden hatten sich nach seinem Tode verlaufen,
und neue bekommt man nur langsam.
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