Als ich einst trostlos über meine
Lage nachdachte, fiel mir ein, daß ich oft in Franken Männer meines
Volkes gesehen hatte, die das Land durchzogen und ihre Waren auf den
Märkten der Städte auslegten; ich erinnerte mich, daß man ihnen gerne
abkaufte, weil sie aus der Fremde kamen, und daß man bei solchem
Handel das Hundertfache erwerben könne. Sogleich war auch mein
Entschluß gefaßt. Ich verkaufte mein väterliches Haus, gab einen
Teil des gelösten Geldes einem bewährten Freunde zum Aufbewahren, von
dem übrigen aber kaufte ich, was man in Franken selten hat, wie
Schals, seidene Zeuge, Salben und Öle, mietete einen Platz auf einem
Schiff und trat so meine zweite Reise nach Franken an.
Es schien, als ob das Glück, sobald ich die Schlösser der Dardanellen
im Rücken hatte, mir wieder günstig geworden wäre. Unsere Fahrt war
kurz und glücklich. Ich durchzog die großen und kleinen Städte der
Franken und fand überall willige Käufer meiner Waren. Mein Freund in
Stambul sandte mir immer wieder frische Vorräte, und ich wurde von
Tag zu Tag wohlhabender. Als ich endlich so viel erspart hatte, daß
ich glaubte, ein größeres Unternehmen wagen zu können, zog ich mit
meinen Waren nach Italien. Etwas muß ich aber noch gestehen, was mir
auch nicht wenig Geld einbrachte: ich nahm auch meine Arzneikunst zu
Hilfe. Wenn ich in eine Stadt kam, ließ ich durch Zettel verkünden,
daß ein griechischer Arzt da sei, der schon viele geheilt habe; und
wahrlich, mein Balsam und meine Arzneien haben mir manche Zechine
eingebracht.
So war ich endlich nach der Stadt Florenz in Italien gekommen. Ich
nahm mir vor, längere Zeit in dieser Stadt zu bleiben, teils weil sie
mir so wohl gefiel, teils auch, weil ich mich von den Strapazen
meines Umherziehens erholen wollte. Ich mietete mir ein Gewölbe in
dem Stadtviertel St. Croce und nicht weit davon ein paar schöne
Zimmer, die auf einen Altan führten, in einem Wirtshaus. Sogleich
ließ ich auch meine Zettel umhertragen, die mich als Arzt und
Kaufmann ankündigten. Ich hatte kaum mein Gewölbe eröffnet, so
strömten auch die Käufer herzu, und ob ich gleich ein wenig hohe
Preise hatte, so verkaufte ich doch mehr als andere, weil ich
gefällig und freundlich gegen meine Kunden war. Ich hatte schon vier
Tage vergnügt in Florenz verlebt, als ich eines Abends, da ich schon
mein Gewölbe schließen und nur die Vorräte in meinen Salbenbüchsen
nach meiner Gewohnheit noch einmal mustern wollte, in einer kleinen
Büchse einen Zettel fand, den ich mich nicht erinnerte, hineingetan
zu haben. Ich öffnete den Zettel und fand darin eine Einladung,
diese Nacht Punkt zwölf Uhr auf der Brücke, die man Ponte vecchio
heißt, mich einzufinden. Ich sann lange darüber nach, wer es wohl
sein könnte, der mich dorthin einlud, da ich aber keine Seele in
Florenz kannte, dachte ich, man werde mich vielleicht heimlich zu
irgendeinem Kranken führen wollen, was schon öfter geschehen war.
Ich beschloß also hinzugehen, doch hing ich zur Vorsicht den Säbel um,
den mir einst mein Vater geschenkt hatte.
Als es stark gegen Mitternacht ging, machte ich mich auf den Weg und
kam bald auf die Ponte vecchio. Ich fand die Brücke verlassen und
öde und beschloß zu warten, bis er erscheinen würde, der mich rief.
Es war eine kalte Nacht; der Mond schien hell, und ich schaute hinab
in die Wellen des Arno, die weithin im Mondlicht schimmerten. Auf
den Kirchen der Stadt schlug es jetzt zwölf Uhr; ich richtete mich
auf, und vor mir stand ein großer Mann, ganz in einen roten Mantel
gehüllt, dessen einen Zipfel er vor das Gesicht hielt.
Ich war von Anfang etwas erschrocken, weil er so plötzlich hinter mir
stand, faßte mich aber sogleich wieder und sprach: "Wenn Ihr mich
habt hierher bestellt, so sagt an, was steht zu Eurem Befehl?"
Der Rotmantel wandte sich um und sagte langsam: "Folge!" Da ward
mir's doch etwas unheimlich zumute, mit diesem Unbekannten allein zu
gehen; ich blieb stehen und sprach: "Nicht also, lieber Herr, wollet
mir vorerst sagen, wohin; auch könnet Ihr mir Euer Gesicht ein wenig
zeigen, daß ich sehe, ob Ihr Gutes mit mir vorhabt."
Der Rote aber schien sich nicht darum zu kümmern. "Wenn du nicht
willst, Zaleukos, so bleibe!" antwortete er und ging weiter.
Da entbrannte mein Zorn. "Meinet Ihr", rief ich aus, "ein Mann wie
ich lasse sich von jedem Narren foppen, und ich werde in dieser
kalten Nacht umsonst gewartet haben?" In drei Sprüngen hatte ich ihn
erreicht, packte ihn an seinem Mantel und schrie noch lauter, indem
ich die andere Hand an den Säbel legte; aber der Mantel blieb mir in
der Hand, und der Unbekannte war um die nächste Ecke verschwunden.
Mein Zorn legte sich nach und nach; ich hatte doch den Mantel, und
dieser sollte mir schon den Schlüssel zu diesem wunderlichen
Abenteuer geben.
Ich hing ihn um und ging meinen Weg weiter nach Hause. Als ich kaum
noch hundert Schritte davon entfernt war, streifte jemand dicht an
mir vorüber und flüsterte in fränkischer Sprache: "Nehmt Euch in acht,
Graf, heute nacht ist nichts zu machen." Ehe ich mich aber umsehen
konnte, war dieser Jemand schon vorbei, und ich sah nur noch einen
Schatten an den Häusern hinschweben. Daß dieser Zuruf den Mantel und
nicht mich anging, sah ich ein; doch gab er mir kein Licht über die
Sache. Am anderen Morgen überlegte ich, was zu tun sei. Ich war von
Anfang gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen, als hätte ich ihn
gefunden; doch da konnte der Unbekannte ihn durch einen Dritten holen
lassen, und ich hätte dann keinen Aufschluß über die Sache gehabt.
Ich besah, indem ich so nachdachte, den Mantel näher. Er war von
schwerem genuesischem Samt, purpurrot, mit astrachanischem Pelz
verbrämt und reich mit Gold bestickt. Der prachtvolle Anblick des
Mantels brachte mich auf einen Gedanken, den ich auszuführen beschloß.
Ich trug ihn in mein Gewölbe und legte ihn zum Verkauf aus, setzte
aber auf ihn einen so hohen Preis, daß ich gewiß war, keinen Käufer
zu finden. Mein Zweck dabei war, jeden, der nach dem Pelz fragen
würde, scharf ins Auge zu fassen; denn die Gestalt des Unbekannten,
die sich mir nach Verlust des Mantels, wenn auch nur flüchtig, doch
bestimmt zeigte, wollte ich aus Tausenden erkennen. Es fanden sich
viele Kauflustige zu dem Mantel, dessen außerordentliche Schönheit
alle Augen auf sich zog; aber keiner glich entfernt dem Unbekannten,
keiner wollte den hohen Preis von zweihundert Zechinen dafür bezahlen.
Auffallend war mir dabei, daß, wenn ich einen oder den anderen
fragte, ob denn sonst kein solcher Mantel in Florenz sei, alle mit
"Nein!" antworteten und versicherten, eine so kostbare und
geschmackvolle Arbeit nie gesehen zu haben.
Es wollte schon Abend werden, da kam endlich ein junger Mann, der
schon oft bei mir gewesen war und auch heute viel auf den Mantel
geboten hatte, warf einen Beutel mit Zechinen auf den Tisch und rief:
"Bei Gott! Zaleukos, ich muß deinen Mantel haben, und sollte ich zum
Bettler darüber werden." Zugleich begann er, seine Goldstücke
aufzuzählen. Ich kam in große Not; ich hatte den Mantel nur
ausgehängt, um vielleicht die Blicke meines Unbekannten darauf zu
ziehen, und jetzt kam ein junger Tor, um den ungeheuren Preis zu
zahlen.
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