Doch was blieb mir übrig; ich gab nach, denn es tat mir auf
der anderen Seite der Gedanke wohl, für mein nächtliches Abenteuer so
schön entschädigt zu werden. Der Jüngling hing sich den Mantel um
und ging; er kehrte aber auf der Schwelle wieder um, indem er ein
Papier, das am Mantel befestigt war, losmachte, mir zuwarf und sagte:
"Hier, Zaleukos, hängt etwas, das wohl nicht zu dem Mantel gehört."
Gleichgültig nahm ich den Zettel; aber siehe da, dort stand
geschrieben: "Bringe heute nacht um die bewußte Stunde den Mantel auf
die Ponte vecchio, vierhundert Zechinen warten deiner."
Ich stand wie niedergedonnert. So hatte ich also mein Glück selbst
verscherzt und meinen Zweck gänzlich verfehlt! Doch ich besann mich
nicht lange, raffte die zweihundert Zechinen zusammen, sprang dem,
der den Mantel gekauft hatte, nach und sprach: "Nehmt Eure Zechinen
wieder, guter Freund, und laßt mir den Mantel, ich kann ihn unmöglich
hergeben." Dieser hielt die Sache von Anfang für Spaß, als er aber
merkte, daß es Ernst war, geriet er in Zorn über meine Forderung,
schalt mich einen Narren, und so kam es endlich zu Schlägen. Doch
ich war so glücklich, im Handgemenge ihm den Mantel zu entreißen, und
wollte schon mit ihm davoneilen, als der junge Mann die Polizei zu
Hilfe rief und mich mit sich vor Gericht zog. Der Richter war sehr
erstaunt über die Anklage und sprach meinem Gegner den Mantel zu.
Ich aber bot dem Jünglinge zwanzig, fünfzig, achtzig, ja hundert
Zechinen über seine zweihundert, wenn er mir den Mantel ließe. Was
meine Bitten nicht vermochten, bewirkte mein Gold. Er nahm meine
guten Zechinen, ich aber zog mit dem Mantel triumphierend ab und
mußte mir gefallen lassen, daß man mich in ganz Florenz für einen
Wahnsinnigen hielt. Doch die Meinung der Leute war mir gleichgültig;
ich wußte es ja besser als sie, daß ich an dem Handel noch gewann.
Mit Ungeduld erwartete ich die Nacht. Um dieselbe Zeit wie gestern
ging ich, den Mantel unter dem Arm, auf die Ponte vecchio. Mit dem
letzten Glockenschlag kam die Gestalt aus der Nacht heraus auf mich
zu. Es war unverkennbar der Mann von gestern. "Hast du den Mantel?"
wurde ich gefragt.
"Ja, Herr", antwortete ich, "aber er kostete mich bar hundert
Zechinen."
"Ich weiß es", entgegnete jener. "Schau auf, hier sind vierhundert."
Er trat mit mir an das breite Geländer der Brücke und zählte die
Goldstücke hin. Vierhundert waren es; prächtig blitzten sie im
Mondschein, ihr Glanz erfreute mein Herz, ach! Es ahnete nicht, daß
es seine letzte Freude sein werde. Ich steckte mein Geld in die
Tasche und wollte mir nun auch den gütigen Unbekannten recht
betrachten; aber er hatte eine Larve vor dem Gesicht, aus der mich
dunkle Augen furchtbar anblitzten.
"Ich danke Euch, Herr, für Eure Güte", sprach ich zu ihm, "was
verlangt Ihr jetzt von mir? Das sage ich Euch aber vorher, daß es
nichts Unrechtes sein darf."
"Unnötige Sorge", antwortete er, indem er den Mantel um die Schultern
legte, "ich bedarf Eurer Hilfe als Arzt; doch nicht für einen
Lebenden, sondern für einen Toten."
"Wie kann das sein?" rief ich voll Verwunderung.
"Ich kam mit meiner Schwester aus fernen Landen", erzählte er und
winkte mir zugleich, ihm zu folgen. "Ich wohnte hier mit ihr bei
einem Freund meines Hauses. Meine Schwester starb gestern schnell an
einer Krankheit, und die Verwandten wollen sie morgen begraben. Nach
einer alten Sitte unserer Familie aber sollen alle in der Gruft der
Väter ruhen; viele, die in fremden Landen starben, ruhen dennoch dort
einbalsamiert. Meinen Verwandten gönne ich nun ihren Körper; meinem
Vater aber muß ich wenigstens den Kopf seiner Tochter bringen, damit
er sie noch einmal sehe." Diese Sitte, die Köpfe geliebter
Anverwandten abzuschneiden, kam mir zwar etwas schrecklich vor; doch
wagte ich nichts dagegen einzuwenden aus Furcht, den Unbekannten zu
beleidigen. Ich sagte ihm daher, daß ich mit dem Einbalsamieren der
Toten wohl umgehen könne, und bat ihn, mich zu der Verstorbenen zu
führen. Doch konnte ich mich nicht enthalten zu fragen, warum denn
dies alles so geheimnisvoll und in der Nacht geschehen müsse. Er
antwortete mir, daß seine Anverwandten, die seine Absicht für grausam
hielten, bei Tage ihn abhalten würden; sei aber nur erst einmal der
Kopf abgenommen, so könnten sie wenig mehr darüber sagen. Er hätte
mir zwar den Kopf bringen können; aber ein natürliches Gefühl halte
ihn ab, ihn selbst abzunehmen.
Wir waren indes bis an ein großes, prachtvolles Haus gekommen. Mein
Begleiter zeigte es mir als das Ziel unseres nächtlichen
Spazierganges. Wir gingen an dem Haupttor des Hauses vorbei, traten
in eine kleine Pforte, die der Unbekannte sorgfältig hinter sich
zumachte, und stiegen nun im Finstern eine enge Wendeltreppe hinan.
Sie führte in einen spärlich erleuchteten Gang, aus welchem wir in
ein Zimmer gelangten, das eine Lampe, die an der Decke befestigt war,
erleuchtete.
In diesem Gemach stand ein Bett, in welchem der Leichnam lag. Der
Unbekannte wandte sein Gesicht ab und schien Tränen verbergen zu
wollen. Er deutete nach dem Bett, befahl mir, mein Geschäft gut und
schnell zu verrichten, und ging wieder zur Türe hinaus.
Ich packte meine Messer, die ich als Arzt immer bei mir führte, aus
und näherte mich dem Bett. Nur der Kopf war von der Leiche sichtbar;
aber dieser war so schön, daß mich unwillkürlich das innigste
Mitleiden ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab,
das Gesicht war bleich, die Augen geschlossen. Ich machte zuerst
einen Einschnitt in die Haut, nach der Weise der Ärzte, wenn sie ein
Glied abschneiden.
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