Als ich bis
vor den schwarzen Tisch getreten war, erhob sich ein Mann mit
finsterer, trauriger Miene; es war der Gouverneur. Er sprach zu den
Versammelten, daß er als Vater in dieser Sache nicht richten könne
und daß er seine Stelle für diesmal an den ältesten der Senatoren
abtrete. Der älteste der Senatoren war ein Greis von wenigstens
neunzig Jahren. Er stand gebückt, und seine Schläfen waren mit
dünnem, weißem Haar umhängt; aber feurig brannten noch seine Augen,
und seine Stimme war stark und sicher. Er hub an, mich zu fragen, ob
ich den Mord gestehe. Ich bat ihn um Gehör und erzählte
unerschrocken und mit vernehmlichen Stimme, was ich getan hatte und
was ich wußte. Ich bemerkte, daß der Gouverneur während meiner
Erzählung bald blaß, bald rot wurde, und als ich geschlossen, fuhr er
wütend auf: "Wie, Elender!" rief er mir zu, "so willst du ein
Verbrechen, das du aus Habgier begangen, noch einem anderen
aufbürden?"
Der Senator verwies ihm seine Unterbrechung, da er sich freiwillig
seines Rechtes begeben habe; auch sei es gar nicht so erwiesen, daß
ich aus Habgier gefrevelt; denn nach seiner eigenen Aussage sei ja
der Getöteten nichts gestohlen worden. Ja, er ging noch weiter; er
erklärte dem Gouverneur, daß er über das frühere Leben seiner Tochter
Rechenschaft geben müsse; denn nur so könne man schließen, ob ich die
Wahrheit gesagt habe oder nicht. Zugleich hob er für heute das
Gericht auf, um sich, wie er sagte, aus den Papieren der Verstorbenen,
die ihm der Gouverneur übergeben werde, Rat zu holen. Ich wurde
wieder in mein Gefängnis zurückgeführt, wo ich einen schaurigen Tag
verlebte, immer mit dem heißen Wunsch beschäftigt, daß man doch
irgendeine Verbindung zwischen der Toten und dem Rotmantel entdecken
möchte. Voll Hoffnung trat ich den anderen Tag in den Gerichtssaal.
Es lagen mehrere Briefe auf dem Tisch. Der alte Senator fragte mich,
ob sie meine Handschrift seien. Ich sah sie an und fand, daß sie von
derselben Hand sein müßten wie jene beiden Zettel, die ich erhalten.
Ich äußerte dies den Senatoren; aber man schien nicht darauf zu
achten und antwortete, daß ich beides geschrieben haben könne und
müsse; denn der Namenszug unter den Briefen sei unverkennbar ein Z,
der Anfangsbuchstabe meines Namens. Die Briefe aber enthielten
Drohungen an die Verstorbene und Warnungen vor der Hochzeit, die sie
zu vollziehen im Begriff war.
Der Gouverneur schien sonderbare Aufschlüsse in Hinsicht auf meine
Person gegeben zu haben; denn man behandelte mich an diesem Tage
mißtrauischer und strenger. Ich berief mich zu meiner Rechtfertigung
auf meine Papiere, die sich in meinem Zimmer finden müßten; aber man
sagte mir, man habe nachgesucht und nichts gefunden. So schwand mir
am Schlusse dieses Gerichts alle Hoffnung, und als ich am dritten Tag
wieder in den Saal geführt wurde, las man mir das Urteil vor, daß ich,
eines vorsätzlichen Mordes überwiesen, zum Tode verurteilt sei.
Dahin also war es mit mir gekommen. Verlassen von allem, was mir auf
Erden noch teuer war, fern von meiner Heimat, sollte ich unschuldig
in der Blüte meiner Jahre vom Beile sterben.
Ich saß am Abend dieses schrecklichen Tages, der über mein Schicksal
entschieden hatte, in meinem einsamen Kerker; meine Hoffnungen waren
dahin, meine Gedanken ernsthaft auf den Tod gerichtet. Da tat sich
die Türe meines Gefängnisses auf, und ein Mann trat herein, der mich
lange schweigend betrachtete. "So finde ich dich wieder, Zaleukos?"
sagte er; ich hatte ihn bei dem matten Schein meiner Lampe nicht
erkannt, aber der Klang seiner Stimme erweckte alte Erinnerungen in
mir, es war Valetty, einer jener wenigen Freunde, die ich in der
Stadt Paris während meiner Studien kannte. Er sagte, daß er zufällig
nach Florenz gekommen sei, wo sein Vater als angesehener Mann wohne,
er habe von meiner Geschichte gehört und sei gekommen, um mich noch
einmal zu sehen und von mir selbst zu erfahren, wie ich mich so
schwer habe verschulden können. Ich erzählte ihm die ganze
Geschichte. Er schien darüber sehr verwundert und beschwor mich, ihm,
meinem einzigen Freunde, alles zu sagen, um nicht mit einer Lüge von
hinnen zu gehen. Ich schwor ihm mit dem teuersten Eid, daß ich wahr
gesprochen und daß keine andere Schuld mich drücke, als daß ich, von
dem Glanze des Goldes geblendet, das Unwahrscheinliche der Erzählung
des Unbekannten nicht erkannt habe. "So hast du Bianka nicht
gekannt?" fragte jener. Ich beteuerte ihm, sie nie gesehen zu haben.
Valetty erzählte mir nun, daß ein tiefes Geheimnis auf der Tat liege,
daß der Gouverneur meine Verurteilung sehr hastig betrieben habe,
und es sei nun ein Gerücht unter die Leute gekommen, daß ich Bianka
schon längst gekannt und aus Rache über ihre Heirat mit einem anderen
sie ermordet habe. Ich bemerkte ihm, daß dies alles ganz auf den
Rotmantel passe, daß ich aber seine Teilnahme an der Tat mit nichts
beweisen könne. Valetty umarmte mich weinend und versprach mir,
alles zu tun, um wenigstens mein Leben zu retten. Ich hatte wenig
Hoffnung; doch wußte ich, daß Valetty ein weiser und der Gesetze
kundiger Mann sei und daß er alles tun werde, mich zu retten. Zwei
lange Tage war ich in Ungewißheit: Endlich erschien auch Valetty.
"Ich bringe Trost, wenn auch einen schmerzlichen. Du wirst leben und
frei sein; aber mit Verlust einer Hand." Gerührt dankte ich meinem
Freunde für mein Leben.
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