Er sagte mir, daß der Gouverneur
unerbittlich gewesen sei, die Sache noch einmal untersuchen zu lassen;
daß er aber endlich, um nicht ungerecht zu erscheinen, bewilligt
habe, wenn man in den Büchern der florentinischen Geschichte einen
ähnlichen Fall finde, so solle meine Strafe sich nach der Strafe, die
dort ausgesprochen sei, richten. Er und sein Vater haben nun Tag und
Nacht in den alten Büchern gelesen und endlich einen ganz dem
meinigen ähnlichen Fall gefunden. Dort laute die Strafe: Es soll ihm
die linke Hand abgehauen, seine Güter eingezogen, er selbst auf ewig
verbannt werden. So laute jetzt auch meine Strafe, und ich solle
mich jetzt bereiten zu der schmerzhaften Stunde, die meiner warte.
Ich will euch nicht diese schreckliche Stunde vor das Auge führen, wo
ich auf offenem Markt meine Hand auf den Block legte, wo mein eigenes
Blut in weitem Bogen mich überströmte!
Valetty nahm mich in sein Haus auf, bis ich genesen war, dann versah
er mich edelmütig mit Reisegeld; denn alles, was ich mir so mühsam
erworben, war eine Beute des Gerichts geworden. Ich reiste von
Florenz nach Sizilien und von da mit dem ersten Schiff, das ich fand,
nach Konstantinopel. Meine Hoffnung war auf die Summe gerichtet, die
ich meinem Freunde übergeben hatte, auch bat ich ihn, bei ihm wohnen
zu dürfen; aber wie erstaunte ich, als dieser mich fragte, warum ich
denn nicht mein Haus beziehe! Er sagte mir, daß ein fremder Mann
unter meinem Namen ein Haus in dem Quartier der Griechen gekauft habe;
derselbe habe auch den Nachbarn gesagt, daß ich bald selbst kommen
werde. Ich ging sogleich mit meinem Freunde dahin und wurde von
allen meinen Bekannten freudig empfangen. Ein alter Kaufmann gab mir
einen Brief, den der Mann, der für mich gekauft hatte, hiergelassen
habe.
Ich las: "Zaleukos! Zwei Hände stehen bereit, rastlos zu schaffen,
daß Du nicht fühlest den Verlust der einen. Das Haus, das Du siehest,
und alles, was darin ist, ist Dein, und alle Jahre wird man Dir so
viel reichen, daß Du zu den Reichen Deines Volkes gehören wirst.
Mögest Du dem vergeben, der unglücklicher ist als Du." Ich konnte
ahnen, wer es geschrieben, und der Kaufmann sagte mir auf meine Frage:
Es sei ein Mann gewesen, den er für einen Franken gehalten, er habe
einen roten Mantel angehabt. Ich wußte genug, um mir zu gestehen,
daß der Unbekannte doch nicht ganz von aller edlen Gesinnung entblößt
sein müsse. In meinem neuen Haus fand ich alles aufs beste
eingerichtet, auch ein Gewölbe mit Waren, schöner als ich sie je
gehabt. Zehn Jahre sind seitdem verstrichen; mehr aus alter
Gewohnheit, als weil ich es nötig habe, setze ich meine Handelsreisen
fort; doch habe ich jenes Land, wo ich so unglücklich wurde, nie mehr
gesehen. Jedes Jahr erhielt ich seitdem tausend Goldstücke; aber,
wenn es mir auch Freude macht, jenen Unglücklichen edel zu wissen, so
kann er mir doch den Kummer meiner Seele nicht abkaufen, denn ewig
lebt in mir das grauenvolle Bild der ermordeten Bianka.
—————————————Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte
seine Geschichte geendigt. Mit großer Teilnahme hatten ihm die
übrigen zugehört, besonders der Fremde schien sehr davon ergriffen zu
sein; er hatte einigemal tief geseufzt, und Muley schien es sogar,
als habe er einmal Tränen in den Augen gehabt. Sie besprachen sich
noch lange Zeit über diese Geschichte.
"Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd' um ein so
edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?"
fragte der Fremde.
"Wohl gab es in früherer Zeit Stunden", antwortete der Grieche, "in
denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über
mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in
dem Glauben meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu
lieben; auch ist er wohl noch unglücklicher als ich."
"Ihr seid ein edler Mann!" rief der Fremde und drückte gerührt dem
Griechen die Hand.
Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er
trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich
nicht der Ruhe überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo
gewöhnlich die Karawanen angegriffen würden, auch glaubten seine
Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen.
Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der
Fremde, aber wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, daß sie
so gut geschätzt wären, daß sie einen Trupp räuberischer Araber nicht
zu fürchten brauchten.
"Ja, Herr!" entgegnete ihm der Anführer der Wache. "Wenn es nur
solches Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen;
aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und
da gilt es, auf seiner Hut zu sein."
Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte
Kaufmann, antwortete ihm: "Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke
über diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein
übermenschliches Wesen, weil er oft mit fünf bis sechs Männern zumal
einen Kampf besteht, andere halten ihn für einen tapferen Franken,
den das Unglück in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist
nur so viel gewiß, daß er ein verruchter Mörder und Dieb ist."
"Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten", entgegnete ihm Lezah,
einer der Kaufleute. "Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch
ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen,
wie ich Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu
geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift,
darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt
er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den
Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet
weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste."
Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die
um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein
ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der
Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager
zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt,
um zu verkünden, daß sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die
Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen
entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei
älteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und
Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem
Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten
Sternen aus seinem Gürtel hervor, band es an eine Lanze und befahl
einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben
zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen,
ruhig vorüberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave
aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im
Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter
Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf
dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen plötzlich von ihrer Richtung
auf das Lager ab und zogen in einem großen Bogen auf der Seite hin.
Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald
auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig,
wie wenn nichts vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die
Ebene hin.
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