"Der Abendwind wehet kühl, und
wir könnten noch eine gute Strecke Weges zurücklegen." Seine
Gefährten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen,
und die Karawane machte sich in der nämlichen Ordnung, in welcher sie
herangezogen war, auf den Weg.
Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwül am
Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen
endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und
legten sich zur Ruhe. Für den Fremden aber sorgten die Kaufleute,
wie wenn er ihr wertester Gastfreund wäre. Der eine gab ihm Polster,
der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut
bedient, als ob er zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages
waren schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie
beschlossen einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie
miteinander gespeist hatten, rückten sie wieder näher zusammen, und
der junge Kaufmann wandte sich an den ältesten und sprach: "Selim
Baruch hat uns gestern einen vergnügten Nachmittag bereitet, wie wäre
es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzähltet, sei es nun aus Eurem
langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es
auch ein hübsches Märchen." Achmet schwieg auf diese Anrede eine
Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel wäre, ob er dies oder jenes
sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen:
"Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue
Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will
ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und
nicht jedem erzähle: die Geschichte von dem Gespensterschiff."
Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fürder
gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim,
der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute, also zu sprechen:
"Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und
wißt für uns gewiß irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß
er uns erquicke nach der Hitze des Tages!"
"Wohl möchte ich euch etwas erzählen", antwortete Muley, "das euch
Spaß machen könnte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen
Dingen; darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben.
Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht
erzählen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen
Kummer, wenn er solchen hat, lindern können; denn gerne dienen wir
dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens ist."
Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren
Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein
Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine
Reisegefährten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und
Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine Hand, und einige
seiner Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn so
ernst stimme.
Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: "Ich bin sehr
geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen,
von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch
weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch
einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin
als andere Leute. Ihr sehet, daß ich meine linke Hand verloren habe.
Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den
schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld
davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es
meine Lage mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr
vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand."
Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt.
Mit großer Teilnahme hatten ihm die übrigen zugehört, besonders der
Fremde schien sehr davon ergriffen zu sein; er hatte einigemal tief
geseufzt, und Muley schien es sogar, als habe er einmal Tränen in den
Augen gehabt. Sie besprachen sich noch lange Zeit über diese
Geschichte.
"Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd' um ein so
edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?"
fragte der Fremde.
"Wohl gab es in früherer Zeit Stunden", antwortete der Grieche, "in
denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über
mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in
dem Glauben meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu
lieben; auch ist er wohl noch unglücklicher als ich."
"Ihr seid ein edler Mann!" rief der Fremde und drückte gerührt dem
Griechen die Hand.
Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er
trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich
nicht der Ruhe überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo
gewöhnlich die Karawanen angegriffen würden, auch glaubten seine
Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen.
Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der
Fremde, aber wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, daß sie
so gut geschätzt wären, daß sie einen Trupp räuberischer Araber nicht
zu fürchten brauchten.
"Ja, Herr!" entgegnete ihm der Anführer der Wache. "Wenn es nur
solches Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen;
aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und
da gilt es, auf seiner Hut zu sein."
Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte
Kaufmann, antwortete ihm: "Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke
über diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein
übermenschliches Wesen, weil er oft mit fünf bis sechs Männern zumal
einen Kampf besteht, andere halten ihn für einen tapferen Franken,
den das Unglück in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist
nur so viel gewiß, daß er ein verruchter Mörder und Dieb ist."
"Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten", entgegnete ihm Lezah,
einer der Kaufleute. "Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch
ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen,
wie ich Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu
geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift,
darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt
er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den
Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet
weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste."
Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die
um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein
ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der
Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager
zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt,
um zu verkünden, daß sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die
Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen
entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei
älteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und
Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem
Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten
Sternen aus seinem Gürtel hervor, band es an eine Lanze und befahl
einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben
zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen,
ruhig vorüberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave
aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im
Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter
Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf
dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen plötzlich von ihrer Richtung
auf das Lager ab und zogen in einem großen Bogen auf der Seite hin.
Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald
auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig,
wie wenn nichts vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die
Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. "Wer bist du,
mächtiger Fremdling", rief er aus, "der du die wilden Horden der
Wüste durch einen Wink bezähmst?"
"Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist", antwortete Selim
Baruch.
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