"Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der
Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiß ich selbst nicht;
nur so viel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen reiset, unter
mächtigem Schutze steht."
Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter.
Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, daß wohl die
Karawane nicht lange hätte Widerstand leisten können.
Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die
Sonne zu sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich,
brachen sie auf und zogen weiter.
Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem
Ausgang der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem
großen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort:
"Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler
Mann sei, erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der
Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er
hatte drei Kinder. Ich war der Älteste, ein Bruder und eine
Schwester waren bei weitem jünger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt
war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum
Erben seiner Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu seinem Tode
bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst
vor zwei Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wußte,
welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie gütig
Allah es gewendet hatte." Die Errettung Fatmes
Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich
begrüßten die Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten
Bäume, deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In
einem schönen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager
wählten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot,
so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je;
denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise
durch die Wüste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen
geöffnet und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der
junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder
dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln entlockten.
Aber nicht genug, daß er seine Gefährten durch Tanz und Spiel
erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten,
die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen
Luftsprüngen sich erholt hatte, also zu erzählen an: Die Geschichte
von dem kleinen Muck.
"So erzählte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue über mein
rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte
mir die andere Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich
erzählte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und
wir gewannen ihn so lieb, daß ihn keiner mehr schimpfte. Im
Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm
immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebückt."
Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu
machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die
gestrige Fröhlichkeit ging auch auf diesen Tag über, und sie
ergötzten sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie
dem fünften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich
den übrigen zu tun und eine Geschichte zu erzählen. Er antwortete,
sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als daß er ihnen
etwas davon mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes
erzählen, nämlich: Das Märchen vom falschen Prinzen.
Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach
Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei
Stunden Weges nach Kairo waren—Man hatte um diese Zeit die Karawane
erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus
Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch
das Tor Bebel Falch; denn es wird für eine glückliche Vorbedeutung
gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen,
weil der Prophet hindurchgezogen ist.
Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von
dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit
ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute
Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der
Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet
habe, zu erscheinen.
Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er
auf der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die
Speisen und Getränke in gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte
er sich, seinen Gast zu erwarten.
Langsam und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu seinem
Gemach führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich
entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll
Entsetzen fuhr er zurück, als er die Türe öffnete; denn jener
schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick
auf ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt,
die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote
Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus
den schrecklichsten Stunden seines Lebens.
Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit
diesem Bild seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben, und
doch riß sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene
qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Blüte seines
Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele
vorüber.
"Was willst du, Schrecklicher?" rief der Grieche aus, als die
Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. "Weiche
schnell von hinnen, daß ich dir nicht fluche!"
"Zaleukos!" sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor.
"Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?" Der Sprechende nahm
die Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der
Fremde.
Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden;
denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte
vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte;
er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen.
"Ich errate deine Gedanken", nahm dieser das Wort, als sie sich
gesetzt hatten. "Deine Augen sehen fragend auf mich—ich hätte
schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen können, aber ich
bin dir Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die
Gefahr hin, daß du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu
erscheinen. Du sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Väter
befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl unglücklicher als ich;
glaube dieses, mein Freund, und höre meine Rechtfertigung!
Ich muß weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich
bin in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der
jüngere Sohn eines alten, berühmten französischen Hauses, war Konsul
seines Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an
in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verließ erst
einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit
meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war,
über dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll
Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der
Franzosen entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten
wir. Aber ach! Ich fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es
sein sollte; die äußeren Stürme der bewegten Zeit waren zwar noch
nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter hatte das Unglück mein
Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein junger,
hoffnungsvoller Mann, erster Sekretär meines Vaters, hatte sich erst
seit kurzem mit einem jungen Mädchen, der Tochter eines
florentinischen Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte,
verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war diese auf einmal
verschwunden, ohne daß weder unsere Familie noch ihr Vater die
geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte endlich, sie
habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in Räuberhände
gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für meinen armen
Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde.
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