Ich
kehrte in banger Besorgnis nach Florenz zurück; denn schien mir meine
Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie
war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben
Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich
fühlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmütig leiden
sah. Aber damals, als dein Blut in Strömen aufspritzte, war der
Entschluß fest in mir, dir deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was
weiter geschehen ist, weißt du, nur das bleibt mir noch zu sagen
übrig, warum ich diese Reise mit dir machte.
Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, daß du mir noch immer
nicht vergeben habest; darum entschloß ich mich, viele Tage mit dir
zu leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit
dir getan."
Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehört; mit sanftem Blick
bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. "Ich wußte wohl, daß
du unglücklicher sein müßtest als ich, denn jene grausame Tat wird
wie eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir
von Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter
dieser Gestalt in die Wüste? Was fingst du an, nachdem du in
Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?"
"Ich ging nach Alessandria zurück", antwortete der Gefragte. "Haß
gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Haß besonders
gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter
meinen Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in
Alessandria, als jene Landung meiner Landsleute erfolgte.
Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders;
darum sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner
Bekanntschaft und schloß mich jenen tapferen Mamelucken an, die so
oft der Schrecken des französischen Heeres wurden. Als der Feldzug
beendigt war, konnte ich mich nicht entschließen, zu den Künsten des
Friedens zurückzukehren. Ich lebte mit einer kleinen Anzahl
gleichdenkender Freunde ein unstetes und flüchtiges, dem Kampf und
der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die
mich wie ihren Fürsten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so
gebildet sind wie Eure Europäer, so sind sie doch weit entfernt von
Neid und Verleumdung, von Selbstsucht und Ehrgeiz."
Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung, aber er verbarg ihm
nicht, daß er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener
fände, wenn er in christlichen, in europäischen Ländern leben und
wirken würde. Er faßte seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen,
bei ihm zu leben und zu sterben.
Gerührt sah ihn der Gastfreund an. "Daraus erkenne ich", sagte er,
"daß du mir ganz vergeben hast, daß du mich liebst. Nimm meinen
innigsten Dank dafür!" Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe
vor dem Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel
blitzenden Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute.
"Dein Vorschlag ist schön", sprach jener weiter, "er möchte für jeden
andern lockend sein—ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein
Roß gesattelt, erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!" Die
Freunde, die das Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten
sich zum Abschied. "Und wie nenne ich dich? Wie heißt mein
Gastfreund, der auf ewig in meinem Gedächtnis leben wird?" fragte der
Grieche.
Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und
sprach: "Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber
Orbasan."
Kalif Storch
Wilhelm Hauff
Der Kalif Chasid zu Bagdad saß einmal an einem schönen Nachmittag
behaglich auf seinem Sofa; er hatte ein wenig geschlafen, denn es war
ein heißer Tag, und sah nun nach seinem Schläfchen recht heiter aus.
Er rauchte aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trank hier und da
ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkte, und strich sich
allemal vergnügt den Bart, wenn es ihm geschmeckt hatte. Kurz, man
sah dem Kalifen an, daß es ihm recht wohl war. Um diese Stunde
konnte man gar gut mit ihm reden, weil er da immer recht mild und
leutselig war, deswegen besuchte ihn auch sein Großwesir Mansor alle
Tage um diese Zeit. An diesem Nachmittage nun kam er auch, sah aber
sehr nachdenklich aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat
die Pfeife ein wenig aus dem Mund und sprach: "Warum machst du ein so
nachdenkliches Gesicht, Großwesir?"
Der Großwesir schlug seine Arme kreuzweis über die Brust, verneigte
sich vor seinem Herrn und antwortete: "Herr, ob ich ein
nachdenkliches Gesicht mache, weiß ich nicht, aber da drunten am
Schloß steht ein Krämer, der hat so schöne Sachen, daß es mich ärgert,
nicht viel überflüssiges Geld zu haben."
Der Kalif, der seinem Großwesir schon lange gerne eine Freude gemacht
hätte, schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den Krämer
heraufzuholen. Bald kam der Sklave mit dem Krämer zurück. Dieser
war ein kleiner, dicker Mann, schwarzbraun im Gesicht und in
zerlumptem Anzug. Er trug einen Kasten, in welchem er allerhand
Waren hatte, Perlen und Ringe, reichbeschlagene Pistolen, Becher und
Kämme. Der Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif
kaufte endlich für sich und Mansor schöne Pistolen, für die Frau des
Wesirs aber einen Kamm. Als der Krämer seinen Kasten schon wieder
zumachen wollte, sah der Kalif eine kleine Schublade und fragte, ob
da auch noch Waren seien. Der Krämer zog die Schublade heraus und
zeigte darin eine Dose mit schwärzlichem Pulver und ein Papier mit
sonderbarer Schrift, die weder der Kalif noch Mansor lesen konnte.
"Ich bekam einmal diese zwei Stücke von einem Kaufmanne, der sie in
Mekka auf der Straße fand", sagte der Krämer, "Ich weiß nicht, was
sie enthalten; euch stehen sie um geringen Preis zu Dienst, ich kann
doch nichts damit anfangen."
Der Kalif, der in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte hatte,
wenn er sie auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und Dose und
entließ den Krämer. Der Kalif aber dachte, er möchte gerne wissen,
was die Schrift enthalte, und, fragte den Wesir, ob er keinen kenne,
der es entziffern könnte.
"Gnädigster Herr und Gebieter", antwortete dieser, "an der großen
Moschee wohnt ein Mann, er heißt Selim, der Gelehrte, der versteht
alle Sprachen, laß ihn kommen, vielleicht kennt er diese
geheimnisvollen Züge."
Der Gelehrte Selim war bald herbeigeholt. "Selim", sprach zu ihm der
Kalif, "Selim, man sagt, du seiest sehr gelehrt; guck einmal ein
wenig in diese Schrift, ob du sie lesen kannst; kannst du sie lesen,
so bekommst du ein neues Festkleid von mir, kannst du es nicht, so
bekommst du zwölf Backenstreiche und fünfundzwanzig auf die Fußsohlen,
weil man dich dann umsonst Selim, den Gelehrten, nennt."
Selim verneigte sich und sprach: "Dein Wille geschehe, o Herr!" Lange
betrachtete er die Schrift, plötzlich aber rief er aus: "Das ist
Lateinisch, o Herr, oder ich laß mich hängen." "Sag, was drinsteht",
befahl der Kalif, "wenn es Lateinisch ist."
Selim fing an zu übersetzen: "Mensch, der du dieses findest, preise
Allah für seine Gnade. Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft
und dazu spricht: mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und
versteht auch die Sprache der Tiere.
Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er
sich dreimal gen Osten und spreche jenes Wort; aber hüte dich, wenn
du verwandelt bist, daß du nicht lachest, sonst verschwindet das
Zauberwort gänzlich aus deinem Gedächtnis, und du bleibst ein Tier."
Als Selim, der Gelehrte, also gelesen hatte, war der Kalif über die
Maßen vergnügt. Er ließ den Gelehrten schwören, niemandem etwas von
dem Geheimnis zu sagen, schenkte ihm ein schönes Kleid und entließ
ihn.
1 comment