Ich fragte den Holzhändler, ob er ihn gesprochen habe. Freilich habe er ihn gesprochen und Wohlwend ihm erzählt, wie ihm durch diese glückliche Heirat nicht nur ein hübsches Weibchen, sondern auch ein artiges Weibergut zuteil geworden sei. Er habe aber nicht viel mit ihm reden können, weil jener sich kurzerhand entfernt. In einer Gaststube der Sache nachfragend, sei sie ihm von seßhaften Leuten bestätigt worden mit der näheren Angabe, der Schwiegervater Wohlwends, ein Schweinehändler, habe einer seiner Töchter vor der Hochzeit ein schönes Vermögen nicht nur vorbestimmt, sondern gerichtlich verschrieben als künftiges Erbe, und sich zugleich verpflichtet, bis zu seinem Ableben dem Wohlwend die Zinsen davon jährlich zukommen zu lassen. Einige bezweifeln allerdings die Geschichte, weil der Schwiegervater keineswegs für so wohlhabend gelte, daß er jeder Tochter ein solches Erbe zuteilen könnte; andere dagegen weisen darauf hin, daß das betreffende Frauenzimmer eine Tochter aus erster Ehe sei und nur ihr Mütterliches beziehe, während eine dritte Partei behaupte, sie sei gar nicht das rechte Kind des Schweinehändlers. Eine vornehme Dame habe es heimlich zur Welt und bei dem Manne untergebracht.«
»Kurz und gut,« ergriff Martin Salander das Wort, »mein Louis Wohlwend hat ohne Zweifel im Osten Europas einen Schweinehändler drangekriegt!«
»Hm!« machte der Rechtsanwalt, »ich möchte fast lieber sagen, ein östlicher Schweinehändler hat den Meister Louis drangekriegt!«
»Ei wieso denn?«
»Nun, wieso denn? Wie wäre es, wenn er seine beiseitegebrachten Raubgelder, die schönen Contos de Reis des Herrn Martin Salander, ganz still an die Grenze der Türkei geschleppt und auf diese geniale Weise in Weibergut verwandelt hätte? Und wie wäre es, wenn der Ferkelkrösus den Schlaukopf um Kapital und Zinsen zu prellen wüßte und ihm obendrein das Weibchen auf dem Halse ließe? Was mich allein stutzen macht, ist die Schwatzhaftigkeit, mit welcher er sich dem Holzhändler entdeckt hat, nach dem, was ich vorhin von dem Psychiater erzählte. Er muß eben ungemein fidel gewesen sein oder wie Homer ein Schläfchen getan haben! Der Umstand, daß wahrscheinlich hier zwei Hechte am nämlichen Karpfen stehen, hindert mich auch, Herr Wighart, Sie jetzt schon zu ersuchen, Sie möchten Ihren Gewährsmann um genaue Bezeichnung von Orts- und Personennamen angehen. Ich will nur meine Phantasiearbeit noch einige Tage überlegen und werde mir dann erlauben, bei Ihnen anzuklopfen, natürlich im Einverständnis meines Herrn Klienten, sofern er sich überhaupt noch als solchen betrachtet! Eigentlich aber würde es sich sofort um eine Kriminalsache handeln und für die Behörden der Anlaß dasein, von sich aus vorzugehen.«
»Überlegen Sie, Herr Fürsprech!« erwiderte Salander; »am Ende schadet es nichts, wenn wir den Schadenmüller, den Hecht, wenigstens ein bißchen aufstören und herumjagen können!«
Die drei Männer unterhielten sich noch eine Viertelstunde und brachen dann auf, um sich, jeder an geeigneter Stelle, zu verabschieden. Martin Salander ging nach Hause.
Der Eindruck, den er von seinem Gang durch das neue Volk und von dem Auftritt mit dem Maulhelden davongetragen, erwachte wieder, als er unter dem alten Sternenhimmel dahinschritt, und das quälende Verhältnis zu dem alten Freunde Wohlwend, an den er wie mit eisernen Ketten gebunden schien, verdunkelte die trübe Stimmung noch mehr, die ihn befallen. Er nahm sich vor, den Advokaten von der weiteren Verfolgung Wohlwends abzumahnen, damit der Mensch aus seinem Gedächtnis eher verschwinde. Aber trotz dieses Vorsatzes bedurfte es des freundlich erleuchteten Wohngemaches, in das er trat, und der um den Tisch versammelten Kinder, die seiner harrten, um ein leichteres Herz zu gewinnen. Die Gattin, die seine trüben Augen noch schnell gesehen, kam mit einer sorglichen Ansprache schon zu spät.
Als Martin bald darauf zu seinem Advokaten ging, fand er diesen schon selbst von dem Gedanken abgekommen, amtliche Nachforschungen über die Natur des Wohlwendschen Frauenvermögens zu veranlassen. Es schien ihm doch nicht tunlich, auf Grund unbestimmter Gerüchte und einer bloßen witzigen Vermutung in entlegenen Ländern so vorzugehen. »Wenn wir die Angel jetzt auswerfen,« sagte er, »so wird sie uns kurz abgerissen; halten wir sie aber noch zurück, so kann sie uns unversehens einmal nützlich werden.«
VII
Martin säumte nun nicht, seine Handelsgeschäfte wiederaufzunehmen, d.h. sich für deren Fortführung auf dem Platze Münsterburg einzurichten. Er mietete die nötigen Räume für Kontor und Magazine, und bald saß auch ein Schreiber am Pult und lief ein Lehrling ab und zu. Frau Marie bat sehr, ihr die kleine Handelsanstalt im Hause zu lassen, und er tat es mit Vergnügen, da er ihr gewisse Gegenstände zuzuweisen gedachte, deren Bewältigung ihm selbst zu umständlich und wenig lohnend schien. Aber es stellte sich heraus, daß die wackere Frau nicht so leicht auf alles einging, sondern bereits so gut ihre Grundsätze besaß wie ein altbewährtes Handelshaus. Sie wollte sich mit nicht vielen, aber als gut bekannten Waren begnügen, für welche sie eine sichere Kundschaft wußte; diese vermehrte sich unausgesetzt, aber gemächlich und ohne Gedränge, so daß sie nie genötigt war, den Bedarf in ungeordneter Weise zu decken; kurz, ihr Geschäft war eines von denen, welche man ein stilles Goldgrüblein zu nennen pflegt.
Der Mann hütete sich, sie hierin zu stören, und ließ sie gerne fernerhin ihre besondere Rechnung führen, die er geprüft und in Ordnung gefunden hatte. Freilich mußte er dabei die buchmäßigen Posten des Soll und Haben aus ihren verschiedenen Heften und Büchelchen zusammensuchen, und Marie Salander schaute ihm etwas ängstlich zu, was wohl herauskommen werde; doch lachte sie vergnügt, als schließlich bis auf den letzten Franken alles in schwarzer und roter Tinte an seinem Orte stand, mit Bilanz und Nachweis.
So hauste Martin Salander mit den Seinen wieder auf altem Grunde und konnte beruhigt in die Welt und in die Jahre hinausschauen, soweit es der Mensch verlangen kann; denn wer auch nicht Welt und Zeit zu überholen strebte, dem kamen sie von selbst vor die Füße gerollt.
Trotz der Täuschung, die ihm auf seinem Sonntagsspaziergang ins Volk so trübselig zerflossen war, mußte er die Augen doch wieder auf die öffentlichen Dinge richten und sich näher mit ihnen vertraut machen, wie sie sich nun darstellten. Die neue Verfassung, die die Münsterburger angenommen hatten, wurde von den vorgeschrittensten Staats- und Gesellschaftsfreunden fremder Länder als etwas Zufriedenstellendes belobt, womit sich erreichen lasse, was man mit Entschlossenheit wolle; und die gleichen Grundsätze, welche man dem Volke in einem gemäßigten, ja bescheidenen Sinne hatte belieben können, sollten schon in ihrer jetzigen wörtlichen Gestalt genügen, von Tag zu Tag die ungeheuersten Veränderungen einzuführen, an welche dasselbe Volk nicht gedacht hatte. In diesen ersten Jahren summte es denn auch wie ein Bienenkorb von Gesetzesvorschlägen und Abstimmungen, und Salander sah mit Verwunderung, wie im Halbdunkel eines Bierstübchens zwei Projektenmacher den Entwurf eines kleinen, Millionen kostenden Gesetzes oder Volksbeschlusses fix und fertig formulieren konnten, ohne daß die vom Volke gewählte Regierung ein Wort dazu zu sagen bekam. Dazu erhielten die massenhaften Wahlen aller kleinen und großen Beamten in Verwaltung, Gericht, Schule und Gemeinde, sich in kurzen Zwischenräumen drängend, die stimmberechtigte Bevölkerung unaufhörlich auf den Beinen, und da Martin Salander keine dieser Pflichten versäumte, so befand er sich unvermerkt mitten in der Strömung. Um sich besser zu unterrichten, besuchte er die politischen Versammlungen, fing an mitzureden und Vorschläge zu machen, und da seine Unabhängigkeit bekannt war und man daher wußte, daß er für sich nichts wollte, wurde er in allerhand Ausschüsse gewählt, deren Arbeiten er sich mit ehrlichem Eifer unterzog, obgleich ein Umherreisen im Lande damit verbunden und er eigentlich kein Vagant war.
Auf diesem weitläufigen Wege geriet er in die unmittelbare Volksleitung oder unterschlächtige Regierung hinein, welche in Gestalt von Wanderlehrern dem Volke die schwierigeren Punkte seiner Selbstbestimmung zu erklären, d.h. vom übel unterrichteten an das besser zu unterrichtende Volk zu appellieren hatte.
Zwar gab es Gegenstände, die ihm selber nicht recht geläufig waren, weshalb er sich vorher rasch mit ihnen bekanntmachen oder die gedruckten Aktenstücke auf Treu und Glauben verteidigen mußte. Indessen ließ er sich dergleichen nicht oft zuschulden kommen, während er es an anderen häufiger beobachtete. Zuweilen wollte ihn eine trübe Ahnung beschleichen, als ob das Personal der politischen Ober-, Mittel- und Unterstreber gegen früher im ganzen ein klein wenig gesunken wäre, so daß die etwas geringere Beschaffenheit der einen Schicht diejenige der anderen bedinge und erkläre. Allein er faßte bald wieder guten Mut, auf den unverlierbaren guten Ackergrund des Volkes vertrauend, der stets wieder gradgewachsene hohe Halme hervorbringe. Und er gelobte dann, obschon nun kein Jüngling mehr, auf sich selbst zu achten, wissentlich nie ein gemeiner Streber zu werden und das gedachte Niveau nicht auch herunterdrücken zu helfen.
So löblichem Vorsatze getreu erlebte er aber nochmals einen Verdruß, ähnlich demjenigen des ersten Spazierganges nach seiner Rückkehr aus Brasilien. Ebenfalls an einem Sonntagnachmittage wohnte er in seinem eigenen Heimatorte der Besprechung einer Nahrungsfrage bei, die in allen Kulturstaaten dieselbe ist und die gleiche neutrale und rein sachliche Behandlung erfährt.
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