Ich habe nicht vorgegriffen, sondern gewissenhaft alles gegeben, wie es damals war, und wie ich darüber dachte. Wenige werden vielleicht hier etwas Neues finden, aber gewiß viele sich selbst; und ich bin so stolz, diese für gut zu halten. Hunderttausende denken wie ich, aber niemand hat vielleicht die Pflicht oder die Gelegenheit, es öffentlich zu sagen. Wenn man mich nach meinem Berufe dazu fragt, so ist die Antwort: »Ich bin ein Mensch, ein freier Mann, glaube vernünftig zu sein und will allen meinen Mitbrüdern ohne Ausschluß gleichwohl.« Dessen bin ich mir so innig und fest und wohltätig bewußt, daß ich dafür mein Haupt ohne Reue auf den Block legen würde, wenn es nötig wäre. Stürmen will ich nicht, aber offen sagen, wo ich glaube, daß die Krankheit liegt.

Es ist mir seit langer Zeit ein etwas trauriger Gedanke, ein Deutscher zu sein; und doch möchte ich wieder meine väterliche Nation mit keiner andern vertauschen. Wir haben seit Karl dem Großen in unserm Vaterlande ein so sonderbares Gewebe von Halbgerechtigkeit, Halbfreiheit, Halbvernunft und überhaupt von Halbexistenz gehabt, daß sich die Fremden bei näherer Einsicht schon oft gewundert haben, wie wir noch so lange politisch lebten. Die Krisen waren häufig und sind jetzt gefährlicher als jemals. Solange wir verhältnismäßig noch Kraft und Stempel in Sitten und Verfassung hatten, oder vielmehr solange unsere Nachbarn um uns her auch noch im Chaos lagen, hielten wir uns noch mit Anstand und Würde. Der Dreißigjährige Krieg war die erste unserer großen letalen Nationaltorheiten. Wir wollen den Fürsten nicht vorzugsweise die Last des Unheils aufbürden, denn wo das Volk zur Entscheidung kam, ging es verhältnismäßig nicht besser; das zeigt die alte und neuere Geschichte. Alle tragen ihren Teil der Schuld.

Eine so traurige Rolle, als wir seit den letzten zehn Jahren gespielt haben, liegt kaum in den Annalen, und noch schlimmer ist es, es ist durchaus keine Aussicht, daß es je im einzelnen und im ganzen besser werde. Wir sind wirklich nun ein Spott einer Nation, die uns seit Jahrhunderten mit ihren Torheiten gegängelt hat. Unsere Eupatriden waren ihre Affen, und unsere Übrigen waren nicht viel mehr als die Sklaven unserer Eupatriden. Woher kommt es nun, daß eine Nation, die Friedrich der Zweite, verachtungsweise bei ihnen der kleine Markgraf von Brandenburg, in seinen Kriegen nur als ein Parergon behandelte, jetzt das ganze Europa zittern macht, daß sie in einer neuen Riesengröße dasteht und rundumher alles zu verschlingen droht und wirklich verschlingt? Ich will kein Geschichtsgemälde aufstellen; das liegt leider nur zu grell jedem Sehenden vor Augen. Spanien, Italien, die Schweiz und Holland sind so gut als vernichtet. Es fehlt nur noch die Einverleibung, welche die wohlberechnete Interimsmäßigung bloß aufschiebt. Uns spricht man Hohn, und wir müssen es in unserer Schwachheit dulden. Woher kommt nun diese Schwachheit und die Stärke der Männer an der Seine? Ich will mit tiefem Trauergefühl als deutscher Mann noch ein Wort sprechen – weil ich will und Fug habe. Beherzige man es, oder beherzige man es nicht, ich habe dabei nichts zu verlieren. Nur höchstens meinen Kopf; und dieser fängt an grau zu werden und wird mir täglich entbehrlicher. Tausende müssen ihn mit wenigem Sinn täglich wagen für die Grille eines einzigen, den Wink eines Despoten, das Nicken seines Lieblingshandlangers, vielleicht für den Unterrock seiner Mätresse; ein unbefangener Mann wird ihn doch also wagen dürfen für das, was er nach seiner Überzeugung für Wahrheit hält. Mit Wahrheit ist, nach der alten Erfahrung, freilich keine Gunst zu verdienen, denn sie beleidigt fast überall, weil fast überall Sünde ist. Desto besser, wenn sie nicht gefährdet.

Die Franzosen sind seit fünfzehn Jahren erst zur Nation im höheren Sinne des Worts geworden; freilich durch eine furchtbare Wiedergeburt, um die sie niemand beneiden wird, aber sie sind es geworden. Ich habe hier weder Zeit noch Neigung, mich über den Ursprung, die Ursachen, den Fortgang und das Ende der Revolution auszubreiten. Dem Forscher und fleißigen Bemerker der Geschichte ist alles klar. Sie haben die Nationalkraft gesammelt, und es stehen nun Männer da, die sich als solche denken und fühlen und als solche gehandelt haben und handeln. Das ganze Schibboleth und das Palladium der Staatsveränderung ist ein mathematisch richtiges Steuerkataster. Das übrige ist notwendige Folge. Nur dadurch besteht Freiheit und Gerechtigkeit und höchste Nationalkraft; nur dieses macht gute Bürger, und hält sie. Das hat die große Nation geschaffen und wird sie halten, solange es gehalten wird.