Nur unsere Schwäche macht ihre Stärke. Können wir nun den Gedanken der öffentlichen Gerechtigkeit nicht wagen, so dürfen wir uns nur recht folgsam bescheiden auf das Joch gefaßt machen, das man uns nach der Reihe auflegen wird. So weit sind wir schon erniedrigt, daß unsere Fürsten für jeden ihrer Schritte erst das Wohlgefallen fremder Machthaber einholen müssen, und zwar einer Macht, die sie vor nicht langer Zeit noch echt stiftsmäßig verachteten. So rächt sich Ungerechtigkeit und Inkonsequenz!
Diese Gesinnungen, die vielleicht nicht ganz methodisch geordnet, aber lebendig in meiner Seele sind, will ich hiermit bei meiner Nation niederlegen. Ich für mich selbst habe keinen Gewinn und keinen Verlust an allen Staaten. Meine Äußerungen sind meine Überzeugungen, die sich auf Geschichte und auf Beobachtungen der Menschennatur gründen. Freiheit und Gerechtigkeit sind Schwestern, ihr Vater ist der Geist und ihre Mutter die Vernunft, ihre Kinder sind Fleiß und Mut und Kraft und Glückseligkeit. Die Familie gedeiht nur zusammen und leidet zusammen. Die Furcht hat viele Götter des Himmels gemacht, und noch mehrere Götter der Erde. Wo sie eintritt, ist schon die Hälfte der guten Hoffnung verloren. Nur durch Verachtung des Todes lebt man mit Ehre; und das Leben hat nur Wert, insofern es Würde hat. Wer die Gefahr ohne weise Absicht sucht, ist ein Tollkühner, wer sie auf dem Wege der Pflicht mit Kleinmut scheut, ist ein Feiger; jener verdient lauten Tadel, dieser laute Verachtung. Der Gedanke ist das Eigentum jedes Geistes; selbst der Allmächtige kann ihn nicht rauben, ohne zu vernichten. Gedankenfreiheit ist eine Erfindung der Despotie. Sie ist und wird weder gegeben noch zugestanden: jeder denkt, indem er ist, durch sein Wesen. Wer den Tod nicht fürchtet, denkt auch laut, wenn er erst mit einer moralischen Natur gehörig in Ordnung ist.
Fast jeder Monat bringt jetzt eine neue Katastrophe. Jetzt hält man den Ölzweig empor; wer bürgt uns, daß, ehe Du dieses liesest, lieber Leser, nicht die Flamme über unserm Haupte schlage? Kraft und Mut hilft das Leben tragen; geschlossen ist es bald, wenn das Schicksal will, bei diesem etwas leichter, bei jenem etwas schwerer.
Ich war willens, noch ein Werk zu schreiben, das mir noch einige Zeit nach meinem Tode sollte leben helfen; aber meine Verhältnisse erlauben mir nicht den dazugehörigen Zeitaufwand in Vorbereitung und Ausführung; und die Zeit wird bald kommen, wo auch die Kräfte dem Willen nicht folgen, wenn sich gleich die Muße fände. Ich beruhige mich also mit der Überzeugung, nach der besten Einsicht immer nur das Gute und Rechte gewollt und, wenn es galt, auch getan zu haben. In meiner Jugend führte mich der unbestimmte Tätigkeitstrieb hierher und dorthin. Dieses Mittels bediente sich vielleicht die Natur weise genug zur Ausbildung des Charakters. Die Wahl des Mannes zu bestimmen, der auf gewöhnliche Vorteile längst Verzicht getan hat, gehören höhere Gründe.
Ich liebe nun Ruhe, aber mit offener Liberalität; ohne diese wäre jene Todesschlaf. Was auch mein Los sein mag, ich bleibe fest in meiner Überzeugung: Es gibt nur eine Tugend, und diese Tugend ist Gerechtigkeit. Gebe der Himmel, oder vielmehr, helfen die Menschen, daß sie in Zukunft nicht mehr so oft entweiht werde, als es bis jetzt die Geschichte zeigt!
Den 3ten Januar 1806.
Breslau, den 18. April
Es ist so schön, wenn wir ein Glück uns bauen,
In lichten Höhn;
Doch mehr als Grab fühlt unser Herz mit Grauen
Es untergehn.
Da stirbt's in uns, da wird die Schöpfung öde
Melancholei,
Und stumm, als ob die gelbe Seuche töte,
Der vollste Mai.
Noch hangen wir mit Wehmut an dem Saume
Der Lichtgestalt,
Die, nun entflohn, uns magisch nur im Träume
Vorüberwallt.
Der Stolz verbirgt sich scheu in seine Falten;
Und knirschet nach;
Er konnt' es links nicht recht in Ordnung halten,
Wie er versprach.
Die Traub' erfreut, die Herrscherbinde glänzet,
Der Lorbeer ehrt:
Die Weisheit ziert, die Wissenschaft bekränzet,
Paktol betört;
Die Achtung hält, die hehre Tugend leitet
Dem Himmel nah;
Doch ganz wird er erst nur von dir bereitet,
Urania!
Es sterben mir die Funken, die noch flammten,
Nun nach und nach;
Und so gehör' auch ich zu den Verdammten,
Der nichts verbrach.
Wächst mir denn Flaum noch immer an dem Kinne,
Daß ohne Kraft
Ich noch mich in den schönen Zauber spinne,
Nur knabenhaft?
Als Jüngling trug ich trotz der Stoa weise
Das Haupt empor;
Und bin nunmehr, tief in der Lebensreise,
Als Mann ein Tor.
Mir wirds so dunkel und so abgestorben
Und menschenleer.
Bin ich es, oder ist die Welt verdorben
Rund um mich her?
Es liegt in mir wie lauter Totenhügel,
Und ich entflieh
Im Sonnenlichte kaum dem Rabenflügel
Der Phantasie.
Kannt' ich denn nicht das Rad, das alles treibet
In dieser Welt?
Den Griffel nicht, der die Gesetze schreibet,
Und dann sie hält?
Wird Eigennutz mir je den Geist belasten
Mit grober Sucht,
So werde mir, um Rollen Gold zu fasten,
Noch einst geflucht.
Hinaus, hinaus zum Kampf der Elemente!
Dort findest du
Als ob der Tod das Leben zaubern könnte,
Im Sturme Ruh.
Ob mich, den Pilger, wilde Samogeten
In ihrem Reich,
Ob Räuber mich am Fuß des Ätna töten,
Mir ist es gleich.
Und gleich ist's auch, so deucht es mir, für andre,
Ob ich dahin
Hier oder dort durchs schale Leben wandre
Und Niete bin.
Der Nacken brennt, die Wimper glüht; es hebet
Ein Tropfen sich;
Fort, fort, eh er empor zur Träne bebet!
Ermanne dich!
Ich habe mich ermannt. Dieses nehme ich eben für Dich aus meinem Taschenbuche, mein Freund; und die Wahrheit jeder Silbe ohne Dichtung behauptet, will es weiter nichts sagen, als daß ich mit meiner Weisheit etwas in den Brüchen und in der Leidenschaft – leidenschaftlich war. Es gehören Jahre dazu, ehe ich weich werde; dann wirkt es vulkanisch; aber mit einem einzigen heroischen Streiche ist auch die Kur vollendet; ich bin wieder der Alte und halte nicht nur an dem Begriffe der Pflicht und der Männerwürde, sondern lebe auch kräftig darin. Im September werden die Gewitter etwas seltener, und so wird dieses hoffentlich eines der letzten in meiner Natur sein. Weiß der Himmel, wie es zugeht, ich bin bis in mein achtundzwanzigstes Jahr ein Muster von Ernst und Festigkeit gewesen; aber seitdem hat mich einige Male der Geschlechtszauber zwar nicht in die gewöhnliche Sinnlichkeit hinein, aber doch aus meiner alten Euthymie herausgezogen. Zum Glück rette ich immer noch meine Selbständigkeit; und sobald ich mit gehörigem Grunde sage: »Ich will oder ich will nicht«, bringe ich, obgleich mit tiefer Erschütterung meine drei platonischen Seelen sogleich wieder in ziemlich gute Ordnung. Es geht nahe an der Zertrümmerung meines Wesens vorbei; aber es geht.
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