Genug davon! Und vielleicht mehr als genug!

Du siehst, die Vorbereitung und vielleicht die Veranlassung zu meiner Ausflucht hätte wohl etwas philosophischer sein können. Wenn es nur der Erfolg ist, mag es noch hingehen; gesetzt auch, daß ich in den Enthusiasmus einer andern Art geriete.

Der Weg nach Dresden ging wie gewöhnlich; und ich bedauerte nur in Meißen, daß man nicht mehr Ästhetik für unsere Porzellanfabrik studiert. Form und Malerei bleibt in dem Grade zurück, als der innere Wert Vorzug hat. Ich erinnere mich, daß ich für eine Tasse, auf welcher nichts als Friedrichs des Zweiten Bildnis stand, für einen reichen Russen in Berlin sechzig Taler bezahlt habe. Etwas ähnliches dürfte in Meißen wohl kaum eintreten.

Hat sich Dresden gebessert oder ich mich? Beides wäre gut, und vielleicht ist beides. Mich deucht, daß der Charakter der Leute daselbst um die Nasenläppchen und Mundwinkel sich merklich zum Vorteil geändert hat; und ich sehe jetzt nicht mehr so viele dumm despotische, vornehme Gesichter als ehemals. Die vornehmen Gesichter mit ihren korrespondierenden Nasen findet man glücklicherweise jetzt meistens nur unter den niedern Halbgebildeten, aber eine komplette, völlig konstituierte, ganz ausgearbeitete vornehme Nase in der höheren Sphäre ist auch das Impertinenteste, was einem ehrlichen, schlichten Manne in der Natur erscheinen kann.

Diesmal besuchte ich die Gallerie und habe sie, ein halbes Dutzend der ersten klassischen Stücke abgerechnet, in den bessern italienischen Schulen bei weitem nicht so reich gefunden, als ich geglaubt hatte: desto reicher an Zahl und Gehalt ist sie aber an Niederländern. Die Pariser Sammlung ausgenommen, ist in Dresden nun doch wohl die erste in Europa. Ich weiß wenigstens in Italien keine, die ihr den Rang streitig machen könnte. Verhältnismäßig noch größer ist der Schatz der Antiken; und hier gilt wieder das obige, zumal nachdem die Mediceerin und die Familie der Niobe nun auch in Paris sind. Der junge Faun, der Torso, die Venus, die Ariadne, die Matrone und einige andere Stücke gehören unstreitig zu dem Kostbarsten, was der Geist der Kunst erschaffen hat. Es ist mir ziemlich wahrscheinlich, daß Canova die schöne Stellung seiner Hebe von dem jungen Faun zu Dresden genommen hat. Sie ist fast ganz dieselbe; und was meine Vermutung bestärkt, er selbst hat vorher die Statue in Dresden wiederholt lange mit stillem Enthusiasmus beschaut. Die Mumien hat man anderwärts besser. Eine antike Büste, die Caligula vorstellen soll, war mir noch besonders merkwürdig, da ich schon vorher im Abguß eine große Ähnlichkeit mit einem großen Manne unserer Zeit zu finden geglaubt hatte, und dieser Glaube gewann mehr, als er verlor durch die Beschauung der Antike selbst. Becker, dessen Verdienste und Urteile in der Kunstgeschichte ich so sehr schätze, als irgend jemand nur kann, sagt: »Wenn man in der alten Kunst nur neun klassische Stücke annimmt, so liefert Dresden davon fünfe.« Das heißt doch wohl die Vorliebe für seine Inspektion etwas weit treiben; und er dürfte zufrieden sein, wenn man ihm den vierten Teil des Ganzen zugestände.

Im grünen Gewölbe sah ich, daß der Kurfürst ein steinreicher Mann ist.

Einen herrlichen Genuß verschaffte mir noch die Probe von Naumann Amphions Schwanenlied, seiner Bethulia, die erst zu Ostern in der Kirche gegeben werden sollte, welches ich aber nicht abwarten konnte. Schuster ließ mit exemplarischer Strenge vieles einige Male wiederholen, was man nicht vollendet gut gemacht hatte. Unmöglich kann ich Dir alle ausgezeichnet schöne Stellen anführen. Vorzüglich gut waren für mich die Arien »Se dio veder tu vuoi« und »Prigionier che fa ritorno dagli orrori al di sereno« und die Erzählung des Mords. Weniger sind ihm vielleicht einige andere Stellen gelungen. Nicht gelungen nenne ich alles, wo der Komponist mit dem Dichter in Widerspruch ist. Wo der Dichter nicht lyrisch ist, welches freilich oft der Fall sein mag, muß ihm der Komponist nichts geben wollen, ehe er es wagt, ihm etwas Falsches zu geben. Der Komponist darf ja wohl mit dem Dichter zuweilen etwas gleichgültiger bleiben; das gibt zufällige Erholungen. Nicht gut ist mir vorgekommen die Stelle »Corriamo al campo!«, aber die Gründe sind mir in Breslau von Dresden aus nicht mehr gegenwärtig. Wenn ich die Stelle wieder höre, will ich Dir die Gründe sagen. Die alte, unangenehme Wirkung tat von neuem auf mich die Stimme des Kastraten. Und wenn der Verschnittene wie eine Flamme durch die Tonleiter läuft und kräht und trillert, ich weiß nicht, wo ich in der Natur mit ihm hin soll; alle Augenblicke erregt er Mitleiden und Widerwillen. Der Mann ist in ihm verdorben und das Weib nicht gegeben. Ich würde mich für verstümmelt an Vernunft halten, wenn ich Wohlgefallen an der Gurgelkunst des Hämlings fände. Psychologisch und naturrechtlich wäre noch weit mehr strenger darüber zu sprechen; ich wollte sogar behaupten, daß man einem solchen unglücklichen Halbgeschöpf moralisch durchaus keine Missetat zurechnen könne.

In Bautzen fand ich nur einen meiner Freunde zu Hause, und in Görlitz sah ich während der Umspannung nur Anton.