Minna von Barnhelm
Gotthold Ephraim Lessing
Minna von Barnhelm
Ein Lustspiel in fünf Aufzügen
© 2009 buecher.de, Augsburg
Textquelle: DigBib.Org Die freie digitale Bibliothek
Die Erstausgabe wurde 1767 bei Christian Friedrich Voß in Berlin herausgegeben.
1. Akt
1. Szene
(Just sitzet in einem Winkel, schlummert und redet im Traume.)
Just.
Schurke von einem Wirte! Du, uns?--Frisch, Bruder!--Schlag zu, Bruder!
(Er holt aus und erwacht durch die Bewegung.) Heda! schon wieder?
Ich mache kein Auge zu, so schlage ich mich mit ihm herum. Hätte er
nur erst die Hälfte von allen den Schlägen!--Doch sieh, es ist Tag!
Ich muß nur bald meinen armen Herrn aufsuchen. Mit meinem Willen soll
er keinen Fuß mehr in das vermaledeite Haus setzen. Wo wird er die
Nacht zugebracht haben?
2. Szene
(Der Wirt. Just.)
Wirt.
Guten Morgen, Herr Just, guten Morgen! Ei, schon so früh auf? Oder
soll ich sagen: noch so spät auf?
Just.
Sage Er, was Er will.
Wirt.
Ich sage nichts als "Guten Morgen"; und das verdient doch wohl, daß
Herr Just "Großen Dank" darauf sagt?
Just.
Großen Dank!
Wirt.
Man ist verdrießlich, wenn man seine gehörige Ruhe nicht haben kann.
Was gilt's, der Herr Major ist nicht nach Hause gekommen, und Er hat
hier auf ihn gelauert?
Just.
Was der Mann nicht alles erraten kann!
Wirt.
Ich vermute, ich vermute.
Just.
(kehrt sich um und will gehen). Sein Diener!
Wirt.
(hält ihn). Nicht doch, Herr Just!
Just.
Nun gut; nicht Sein Diener!
Wirt.
Ei, Herr Just! ich will doch nicht hoffen, Herr Just, Daß Er noch von
gestern her böse ist? Wer wird seinen Zorn über Nacht behalten?
Just.
Ich; und über alle folgende Nächte.
Wirt.
Ist das christlich?
Just.
Ebenso christlich, als einen ehrlichen Mann, der nicht gleich bezahlen
kann, aus dem Hause stoßen, auf die Straße werfen.
Wirt.
Pfui, wer könnte so gottlos sein?
Just.
Ein christlicher Gastwirt.--Meinen Herrn! so einen Mann! so einen
Offizier!
Wirt.
Den hätte ich aus dem Hause gestoßen? auf die Straße geworfen? Dazu
habe ich viel zu viel Achtung für einen Offizier und viel zu viel
Mitleid mit einem abgedankten! Ich habe ihm aus Not ein ander Zimmer
einräumen müssen.--Denke Er nicht mehr daran, Herr Just. (Er ruft in
die Szene.) Holla!--Ich will's auf andere Weise wiedergutmachen. (Ein
Junge kömmt.) Bring ein Gläschen; Herr Just will ein Gläschen haben;
und was Gutes!
Just.
Mache Er sich keine Mühe, Herr Wirt. Der Tropfen soll zu Gift werden,
den--Doch ich will nicht schwören; ich bin noch nüchtern!
Wirt.
(zu dem Jungen, der eine Flasche Likör und ein Glas bringt). Gib her;
geh!--Nun, Herr Just, was ganz Vortreffliches; stark, lieblich, gesund.
(Er füllt und reicht ihm zu.) Das kann einen überwachten Magen
wieder in Ordnung bringen!
Just.
Bald dürfte ich nicht!--Doch warum soll ich meiner Gesundheit seine
Grobheit entgelten lassen?--(Er nimmt und trinkt.)
Wirt.
Wohl bekomm's, Herr Just!
Just.
(indem er das Gläschen wieder zurückgibt). Nicht übel!--Aber, Herr
Wirt, Er ist doch ein Grobian!
Wirt.
Nicht doch, nicht doch!--Geschwind noch eins; auf einem Beine ist
nicht gut stehen.
Just.
(nachdem er getrunken). Das muß ich sagen: gut, sehr gut!--Selbst
gemacht, Herr Wirt?--
Wirt.
Behüte! veritabler Danziger! echter, doppelter Lachs!
Just.
Sieht Er, Herr Wirt; wenn ich heucheln könnte, so würde ich für so was
heucheln; aber ich kann nicht; es muß raus:--Er ist doch ein Grobian,
Herr Wirt!
Wirt.
In meinem Leben hat mir das noch niemand gesagt.--Noch eins, Herr Just;
aller guten Dinge sind drei!
Just.
Meinetwegen! (Er trinkt.) Gut Ding, wahrlich gut Ding!--Aber auch die
Wahrheit ist gut Ding.--Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!
Wirt.
Wenn ich es wäre, würde ich das wohl so mit anhören?
Just.
O ja, denn selten hat ein Grobian Galle.
Wirt.
Nicht noch eins, Herr Just? Eine vierfache Schnur hält desto besser.
Just.
Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's Ihn, Herr Wirt? Bis auf
den letzten Tropfen in der Flasche würde ich bei meiner Rede bleiben.
Pfui, Herr Wirt, so guten Danziger zu haben und so schlechte Mores!--
Einem Manne wie meinem Herrn, der Jahr und Tag bei Ihm gewohnt, von
dem Er schon so manchen schönen Taler gezogen, der in seinem Leben
keinen Heller schuldig geblieben ist; weil er ein paar Monate her
nicht prompt bezahlt, weil er nicht mehr so viel aufgehen läßt--in der
Abwesenheit das Zimmer auszuräumen!
Wirt.
Da ich aber das Zimmer notwendig brauchte? da ich voraussähe, daß der
Herr Major es selbst gutwillig würde geräumt haben, wenn wir nur lange
auf seine Zurückkunft hätten warten können? Sollte ich denn so eine
fremde Herrschaft wieder von meiner Türe wegfahren lassen? Sollte ich
einem andern Wirte so einen Verdienst mutwillig in den Rachen jagen?
Und ich glaube nicht einmal, daß sie sonstwo unterkommen wäre. Die
Wirtshäuser sind jetzt alle stark besetzt. Sollte eine so junge,
schöne, liebenswürdige Dame auf der Straße bleiben? Dazu ist Sein
Herr viel zu galant! Und was verliert er denn dabei? Habe ich ihm
nicht ein anderes Zimmer dafür eingeräumt?
Just.
Hinten an dem Taubenschlage; die Aussicht zwischen des Nachbars
Feuermauern--
Wirt.
Die Aussicht war wohl sehr schön, ehe sie der verzweifelte Nachbar
verbaute. Das Zimmer ist doch sonst galant und tapeziert--
Just.
Gewesen!
Wirt.
Nicht doch, die eine Wand ist es noch. Und Sein Stübchen darneben,
Herr Just; was fehlt dem Stübchen? Es hat einen Kamin, der zwar im
Winter ein wenig raucht--
Just.
Aber doch im Sommer recht hübsch läßt.--Herr, ich glaube gar, Er
vexiert uns noch obendrein?--
Wirt.
Nu, nu, Herr Just, Herr Just--
Just.
Mache Er Herr Justen den Kopf nicht warm, oder--
Wirt.
Ich macht' ihn warm? der Danziger tut's!--
Just.
Einen Offizier wie meinen Herrn! Oder meint Er, daß ein abgedankter
Offizier nicht auch ein Offizier ist, der Ihm den Hals brechen kann?
Warum waret ihr im Kriege so geschmeidig, ihr Herren Wirte? Warum war
denn da jeder Offizier ein würdiger Mann und jeder Soldat ein
ehrlicher, braver Kerl? Macht euch das bißchen Friede schon so
übermütig?
Wirt.
Was ereifert Er sich nun, Herr Just?--
Just.
Ich will mich ereifern.--
3. Szene
(v. Tellheim. Der Wirt. Just.)
Tellheim.
(im Hereintreten). Just!
Just.
(in der Meinung, daß ihn der Wirt nenne). Just?--So bekannt sind wir?--
Tellheim.
Just!
Just.
Ich dächte, ich wäre wohl Herr Just für Ihn!
Wirt.
(der den Major gewahr wird). St! st! Herr, Herr, Herr Just--seh Er
sich doch um; Sein Herr--
Tellheim.
Just, ich glaube, du zankst? Was habe ich dir befohlen?
Wirt.
Oh, Ihro Gnaden! zanken? da sei Gott vor! Ihr untertänigster Knecht
sollte sich unterstehen, mit einem, der die Gnade hat, Ihnen
anzugehören, zu zanken?
Just.
Wenn ich ihm doch eins auf den Katzenbuckel geben dürfte!--
Wirt.
Es ist wahr, Herr Just spricht für seinen Herrn, und ein wenig hitzig.
Aber daran tut er recht; ich schätze ihn um so viel höher; ich liebe
ihn darum.--
Just.
Daß ich ihm nicht die Zähne austreten soll!
Wirt.
Nur schade, daß er sich umsonst erhitzt. Denn ich bin gewiß
versichert, daß Ihro Gnaden keine Ungnade deswegen auf mich geworfen
haben, weil--die Not--mich notwendig--
Tellheim.
Schon zuviel, mein Herr! Ich bin Ihnen schuldig; Sie räumen mir in
meiner Abwesenheit das Zimmer aus; Sie müssen bezahlt werden; ich muß
wo anders unterzukommen suchen. Sehr natürlich!--
Wirt.
Wo anders? Sie wollen ausziehen, gnädiger Herr? Ich unglücklicher
Mann! ich geschlagner Mann! Nein, nimmermehr! Eher muß die Dame das
Quartier wieder räumen. Der Herr Major kann ihr, will ihr sein Zimmer
nicht lassen; das Zimmer ist sein; sie muß fort; ich kann ihr nicht
helfen.--Ich gehe, gnädiger Herr--
Tellheim.
Freund, nicht zwei dumme Streiche für einen! Die Dame muß in dem
Besitze des Zimmers bleiben.--
Wirt.
Und Ihro Gnaden sollten glauben, daß ich aus Mißtrauen, aus Sorge für
meine Bezahlung?--Als wenn ich nicht wüßte, daß mich Ihro Gnaden
bezahlen können, sobald Sie nur wollen.--Das versiegelte Beutelchen--
fünfhundert Taler Louisdor stehet drauf--welches Ihro Gnaden in dem
Schreibepulte stehen gehabt--ist in guter Verwahrung.--
Tellheim.
Das will ich hoffen; so wie meine übrige Sachen.--Just soll sie in
Empfang nehmen, wenn er Ihnen die Rechnung bezahlt hat.--
Wirt.
Wahrhaftig, ich erschrak recht, als ich das Beutelchen fand.--Ich habe
immer Ihro Gnaden für einen ordentlichen und vorsichtigen Mann
gehalten, der sich niemals ganz ausgibt.--Aber dennoch--wenn ich bar
Geld in dem Schreibepulte vermutet hätte--
Tellheim.
Würden Sie höflicher mit mir verfahren sein.
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