Es war Rudi, der es ihm brachte. Gransfeld sprach ihn an. »Sie hatten heute ein unangenehmes Zusammentreffen mit dem langen Engländer. Ist alles wieder in Ordnung, oder haben Sie sich etwa über ihn beschwert?«

Der Junge zuckte die Achseln. »Es kommt nichts dabei heraus, Herr. Am liebsten hätte ich dem Menschen sofort einen soliden Kinnhaken verpaßt, aber meine Stellung an Bord … Ich darf mir so etwas nicht erlauben. Gott sei Dank hat unser Doktor ihm wenigstens die Meinung gesagt.«

Es waren nur wenige Fahrgäste auf Deck, und die Dienste des Jungen wurden kaum beansprucht. So konnte sich Gransfeld ungestört mit ihm unterhalten und erfuhr im Verlauf einer halben Stunde seine ganze Lebensgeschichte. Er hieß Rudi Wagner und war ein gebürtiger Berliner, achtzehn Jahre alt. Schulbildung? Hier wurden die Angaben Rudis lückenhaft; nur das Wort Obertertia war gefallen. Dann kam eine Lehrzeit in einem Berliner Hotel. Vor Jahresfrist waren beide Eltern schnell hintereinander gestorben. Da hielt ihn nichts mehr in Berlin. Durch die Vermittlung eines Verwandten in Hamburg hatte er die Stellung als Steward auf der »Usakama« bekommen. »Warum soll ich in Berlin kleben, Herr Doktor? Man ist jung und will die Welt kennenlernen. Außerdem habe ich hier Gelegenheit, mich in Sprachen zu vervollkommnen, die für bessere Hotelstellungen nötig sind. Zwei Reisen mache ich noch mit der ›Usakama‹. Dann will ich auf einem der großen afrikanischen Dampfer unserer Linie anmustern.«

Als Rudi ihn verließ, um andere Gäste zu bedienen, ging Doktor Gransfeld das Gehörte noch geraume Zeit durch den Kopf. Ein netter, anstelliger Junge! dachte er. Der wird mal seinen Weg machen.

Andere Leute an Bord dachten anders über Rudi. Mister Morton und der Obersteward Rasati standen in einem Winkel im Mitteldeck. Rudi, der Erfrischungen auf das Promenadendeck brachte, kam an ihnen vorbei.

»Rasati, versteht der Lümmel da Französisch?«

»Selbstverständlich. Spricht nicht gerade fließend, aber doch einigermaßen.«

»Würde er es verstehen, wenn man ihn fragte: ›Was machen Sie hier?‹«

»Natürlich, Morton, das muß er verstehen; hat ja lange genug französische Gäste bei Tisch bedient.«

»So? Der Bursche versteht Französisch?« Danach gab es im Flüsterton ein langes vertrauliches Gespräch zwischen Rasati und Morton, dessen Gegenstand Rudi bildete.

*

Geräuschlos glitten die nackten Sohlen des indischen Boys über die Veranda des Bungalows. Schweigend setzte er eine mit Eiswasser gefüllte Karaffe vor seinen Herrn hin und blieb abwartend stehen.

»Es ist gut, Himati. Du kannst gehen.«

Der Boy verschwand, George Gransfield blieb allein zurück. Mühsam, als ob er Schmerzen dabei empfände, richtete er sich von seinem Lager empor, schenkte ein Glas voll und stürzte den kühlen Trunk hinab. Dann ließ er sich in das Kissen zurückfallen, während seine Blicke die helle Landschaft vor ihm umfaßten.

Breit und wuchtig strömten die grünen Wassermassen des Nils zu Tale. Von den Strahlen der Abendsonne beleuchtet, zogen sich jenseits des Flusses die rötlichen Berge bis zum Osthorizont. Grellweiß wie ein gewaltiger, von Titanenhand dorthin gestellter Würfel reckte sich am Flußufer das große Kraftwerk von Syut. Dreißigtausend Pferdestärken waren in ihm Tag und Nacht an der Arbeit, das Nilwasser zu heben, weithin in das Land zu treiben und Fruchtbarkeit zu verbreiten.

Lange blieb der Blick des Liegenden an dem weißen Bau hängen, glitt dann weiter an Dämmen und Wällen entlang, zwischen denen das von den Pumpen gehobene Wasser landeinwärts bis hin zu den rosig schimmernden Ostbergen strömte.