Nach dem Tode
Ebner-Eschenbach, Marie von
Nach dem Tode
Marie von Ebner-Eschenbach
Nach dem Tode
»Still, mein guter Fürst! Sie wissen, ich halte die Liebe für das grausamste von allen Mitteln, welche die zürnende Gottheit erfunden hat, um ihre armen Geschöpfe heimzusuchen. Wäre sie jedoch, wie Sie behaupten, das Schönste, das es auf Erden gibt, dann würde es Ihnen in meiner Gegenwart vollends verboten sein, ein Glück zu preisen, das ich niemals kennengelernt habe.«
Fürst Klemens stieß einen Seufzer aus, der ein minder kaltblütiges Wesen als Gräfin Neumark gewiß gerührt hätte; er blickte zum Plafond empor und gab, aus scheinbarem Gehorsam, dem Gespräch eine andere Wendung: »Was halten Sie von Sonnbergs Bemühungen um Thekla?« fragte er. »Ich bin von dem Ernste seiner Absichten überzeugt. Machen Sie sich darauf gefaßt: dieser Tage – morgen vielleicht – kommt er, wirbt um Ihre Tochter, und im Frühjahr fliegt das junge Paar über alle Berge.«
»Möglich, möglich.«
»Und – Sie?«
»Und ich fahre nach Wildungen.«
»Sie werden sich dort sehr verlassen fühlen!« rief der Fürst triumphierend aus. »Sie werden zum erstenmal die Langeweile, am Ende sogar die Sehnsucht kennenlernen. Sie werden sich sagen, daß Sie eines Wesens bedürfen, das Ihrer bedarf, und« – er richtete sich auf – »die Hand ergreifen, die ich Ihnen, wir wollen nicht fragen wie oft, angeboten habe. Seien Sie aufrichtig –« setzte er hinzu: »Könnten Sie wohl etwas Vernünftigeres tun?«
»Vernünftigeres«, wiederholte die Gräfin langsam »- schwerlich.«
»Nun denn!«
»Nun denn? Sie sprachen vorhin von Liebe, und jetzt sprechen Sie von Raison? Das sind Gegensätze, lieber Freund.«
»Keineswegs! Gegensätze lassen sich nicht verbinden, Liebe und Raison hingegen sehr gut; wir wollen es beweisen – Sie und ich!«
Marianne hob das Haupt und richtete ihre glanzvollen Augen auf ihn; unter diesem Blicke fühlte Klemens seine Zuversicht schwanken; einigermaßen verwirrt und ohne rechten Zusammenhang mit seiner früheren Rede schloß er: »Früh oder spät, auch Ihre Stunde kommt.«
»Beten Sie zu Gott, daß sie ausbleibe!« entgegnete die Gräfin munter. »Wenn eine alte Frau anfängt zu schwärmen, dann geschieht es gewiß zu ihrem Unglück und zu ihrer Schmach, für irgendeinen undankbaren Phaon, irgendeinen flüchtigen Aeneas. Stellen Sie sich vor, wie Ihnen zumute wäre, wenn Sie mich fänden in Verzweiflung wie Sappho oder – wie Dido, im Begriffe, den Scheiterhaufen zu besteigen. Stellen Sie sich das vor!«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sprach der Fürst.
»Es wäre Ihnen zu gräßlich. Aber Sie können ruhig sein. Keine falschere Behauptung als die, jeder Mensch müsse im Leben wenigstens einmal lieben. Im Gegenteil, die wahre, die furchtbare Liebe gehört zu den größten Seltenheiten, und ihre Helden sind an den Fingern herzuzählen wie überhaupt alle Helden. Mit jener Liebe hingegen, die wir kleinen Leute fähig sind zu fühlen, sind wir kleinen Leute, wenn wir nur wollen und beizeiten zum Rechten sehen, auch fähig fertigzuwerden.«
Der Fürst streckte mit würdevoll ablehnender Gebärde die Hand aus, als wolle er diese Sophismen von sich weisen, und antwortete: »Wir werden fertig mit ihr, oder sie wird fertig mit uns.«
Abermals glitt ihr Blick über sein rundes Gesicht, über seine breiten Schultern, die so rüstig die Last eines halben Säkulums trugen: »Das hat gute Wege, noch bin ich unbesorgt«, sagte sie.
Der Fürst beendete den Wortstreit mit der Erklärung: zu überreden verstehe er nicht. Und in der Tat, dazu fehlte ihm das Talent und – die Gewissenlosigkeit. Ach, es ließ sich nicht leugnen, daß er trotz seiner verzehrenden Leidenschaft, besonders seit einiger Zeit, erstaunlich gedieh; ja, er mußte sich's gestehen, sogar in den Tagen, wo diese Leidenschaft am heftigsten gelodert, hatte sie nicht vermocht, ihm die Freude zu verderben an seinen Jagdpferden, an der zunehmenden Anzahl Hochwildes in seinen Tiergärten, an seinem ganzen fürstlichen Junggesellenhausstand auf dem Lande wie in der Stadt.
Klemens war nicht im Reichtum, sondern als ein aussichtsloser Sprosse der gänzlich unbegüterten jüngeren Linie Eberstein geboren worden. Von Kindheit an für die militärische Laufbahn bestimmt, brachte er's bis zum Rittmeister, nach siebenundzwanzig meist in elenden Garnisonen verlebten Jahren. Im Verlaufe derselben lernte er alles Mißliche des durch »unfreie Assoziationen« gebildeten Standes aus dem Grunde kennen, setzte dem jedoch den ruhigen Gleichmut eines aufrechten Mannes entgegen und verstand es, die etwas schiefe Stellung des zugleich vornehmsten und ärmsten Offiziers im Regimente mit würdevollem Takte zu behaupten. Der brave Schwadronskommandant stand bereits in reifem Alter, als eine Reihe von unerwarteten Todesfällen, die Verzichtleistung eines näheren Agnaten, die Mißheirat eines anderen ihn zum Eigentümer des zweiten Majorats seines Hauses machten. Sofort verließ der Fürst den Militärdienst und widmete sich mit fast jugendlichem Eifer dem Dienste der großen Welt. Die Begeisterung, mit welcher er dort aufgenommen wurde, berauschte ihn anfangs, doch begann er nur allzubald an dem Werte seiner Erfolge zu zweifeln. Die Frage, die einen geborenen Majoratsherrn, der sich ohne sein Erbgut so wenig denken kann wie seine Seele ohne seinen Leib, nie beunruhigt, die Frage: Was gelte ich? bedrängte ihn und brachte ihn endlich um alle Zuversicht, um all sein unbefangenes Selbstvertrauen.
Da zum ersten Male trat ihm in schwüler Ballatmosphäre, umrauscht von den Klängen der Musik, umweht von Blumendüften, umstrahlt von Kerzenschimmer, die glänzende Gräfin Marianne von Neumark entgegen, und er schloß sich sofort der dichtgedrängten Reihe ihrer Bewerber an. Wohl hieß es, Marianne habe kein Herz, ihre Liebenswürdigkeit sei wertlos, denn sie bestehe nur in Worten und werde gleichmäßig an alle, die ihr nahten, verschwendet; aber dennoch vermochte keiner, der einmal von ihrem Zauber berührt worden, sich ganz aus demselben zu lösen. Der Fürst war kaum in den Bereich von Mariannes Anziehungskraft gelangt, als er sich mächtig ergriffen fühlte. Mit geradezu blendender Klarheit leuchtete es ihm ein, er habe das Weib gefunden, das für ihn geschaffen sei, und vierzehn Tage nach ihrer ersten Begegnung stellte er sehr beklommen, sehr bewegt – wenn auch nicht ohne Siegesgewißheit – seinen Heiratsantrag.
Er wurde ausgeschlagen, und Eberstein kränkte sich, zürnte, verlangte die Gründe der erlittenen Abweisung zu kennen. Mit sanfter Ruhe setzte Marianne ihm dieselben auseinander, und es waren lauter triftige Gründe: Sie hatte sich an Unabhängigkeit gewöhnt, sie taugte nicht mehr für die Ehe, längst stand bei ihr fest, daß ihr Töchterchen keinen Stiefvater erhalten durfte ... Und so weiter!
Klemens reiste nach England, kehrte von dort erst zur Winterszeit zurück und stürzte sich nach seiner Heimkehr mit erneuerter Unerschrockenheit in die große Welt. Man sah es ihm an den Augen an, es verriet sich in jedem seiner Worte, daß er entschlossen war, aus diesem Fasching als Bräutigam hervorzugehen. Aber – wieder erwachten seine Zweifel, wieder stellte die Ernüchterung sich ein. Die Wahl war zu groß, um nicht zu schwer zu sein, ein erster Schritt zu bindend, um nicht reiflichste Überlegung zu fordern.
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