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Bitterkeit bemächtigte sich seiner, er wurde hart und wandte sich grollend ab. – –
Wohl ihm, daß sie vorüber, diese schwüle Zeit! Wohl ihm, daß es ihr Widerspiel ist, dem er hoffnungstrunken entgegenlebt! In Theklas Armen werden ihn die Erinnerungen nicht aufsuchen, die jetzt oft schmerzlich und störend herübergleiten aus der Vergangenheit. In der hellen Atmosphäre ihrer Lebensfreudigkeit wird er vergessen, daß er einst ein Herz neben sich darben ließ ... Dieses Mal ist er der Dürstende und Verlangende! Thekla liebt ihn nicht, wie er sie liebt, wenn auch so sehr, als sie zu lieben fähig ist. Hatte sie ihn nicht gewählt aus freiem Entschlusse? Hatte nicht ihr erster Blick ihm gesagt: Du bist's – ihr Jawort es nicht bestätigt? Was wollte er mehr als den Besitz ihres ganzen schönen Selbst? Sie leidenschaftlicher wünschen hieße, sie anders wünschen, und so, ganz so wie sie war, bezauberte und entzückte sie ihn.
»Bleib wie du bist!« rief er laut mit überwallender Empfindung... »Zärtlichkeit und Schwärmerei von dir verlangen hieße, Duft und Blüte des Rosenstrauches von der hochragenden Palme fordern und wärmendes Licht von den leuchtenden Sternen ...«
Das Geräusch der sich öffnenden Tür weckte ihn aus seinen Träumereien. Ein Diener meldete: »Herr Baron Kamnitzky«, und schnaubend vor Ungeduld trat ein kleines, schwächlich gebautes Männchen in das Zimmer und sprach: »Lauter neue Gesichter, lauter Leute, die mich nicht kennen... daß sie nicht nach meinem Passe fragen, das ist alles. Ein nächstes Mal will ich mich damit versehen. Hätte nicht geglaubt, daß es so schwer sei, vorzukommen bei einem liberalen Abgeordneten.« Das Wort »liberal« betonte er ausnehmend giftig und wegwerfend.
»Nun, du bist da«, sagte Paul beschwichtigend, »und sehr willkommen.«
Er rückte einen Fauteuil zurecht, in dem der Freiherr brummend Platz nahm, nachdem sein im Zimmer umhersuchender Blick ihm die Überzeugung verschafft, daß auch nicht ein ordentlicher Sessel vorhanden sei, auf dem sich »ein altmodischer Landjunker, der gewohnt ist, zu sitzen und nicht zu lümmeln«, mit Annehmlichkeit niederlassen könnte.
»Wo ist dein Michel?« fragte er nach einer kleinen Pause in inquisitorischem Tone, fuhr aber sogleich fort, ohne die Antwort abzuwarten: »Nicht residenzfähig natürlich... Hier braucht man ganz andere Leute, Gamaschen tragende geschniegelte Theaterbediente ...«
»Michel ist auf dem Lande, bei seiner Familie«, unterbrach ihn Paul. »Und nun erzähle! Wie sieht es aus bei uns daheim?«
Er hatte dem Gaste eine Zigarre angeboten, welche dieser mit einer Art Entrüstung ablehnte.
»Du rauchst nicht?« fragte Paul.
»Nur meine Zigarren, wie du wissen könntest«, antwortete Kamnitzky unwirsch, zog ein Etui hervor und aus diesem eine schwarze Zigarre von nichts weniger als einladendem Aussehen, die er mit heftiger Anstrengung seiner Atmungswerkzeuge in Brand setzte. Ihr zweifelhafter Duft schien anregend auf ihn zu wirken, er wurde redselig, sprach von den Geschäften, die ihn nach der Stadt geführt, vom Wetter, von den Ernteaussichten, er sprach von allerlei und doch – es war unschwer zu erraten – von dem nicht, was ihm am Herzen lag, was ihm auf den Lippen brannte, die sich nach jedem wie mit Gewalt ausgestoßenen Satze fest zusammenpreßten, um sich bald wieder zu öffnen und – etwas Gleichgültiges zu sagen. Dabei errötete er alle Augenblicke wie ein ängstliches Mädchen und empfand darüber den innigsten Verdruß.
Ach, daß er immer noch erröten konnte, das war für den alten Mann eine fortwährende Kränkung! Dieses unwillkürliche Zeichen kindischer Erregbarkeit stand mit seinen Jahren, mit seinem männlichen Wesen in einem lächerlichen Widerspruch. Und Widerspruch, Disharmonie war alles an dem seltsamen Menschen! Die Fülle der gelockten Haare, die der alte Herr lang trug, ließ den Kopf zu groß erscheinen für die schmalschulterige Gestalt, deren Dürftigkeit durch die eng anliegenden Kleider noch hervorgehoben wurde. Der frische und glatte Teint, der siegreich durch ein langes Leben allen Einflüssen der Hitze und der Kälte getrotzt, stand in auffallendem Gegensatz zu den schneeweißen Haaren des jugendlichen Greises. Die kräftige Adlernase, der martialische Schnurr- und Knebelbart, die braunen Augen, die unter ihren etwas geschwollenen Lidern feurig hervorblitzten, dies alles paßte nicht zu dem weichen Munde mit seinem schmerzlich resignierten Ausdruck. Hände und Füße des Mannes waren klein und schmal, seine Bewegungen unruhig, hart, und deutlich sah man ihm das Bemühen an, seine Befangenheit hinter einem mühsam angenommenen ungebundenen Wesen zu verbergen.
Paul wiederholte seine unbeantwortet gebliebene Frage, und Kamnitzky sprach, an der Zigarre beißend, die längst nicht mehr brannte: »Wie's deinen Eltern geht, meinst du?... Nun, nun, wie es eben kann... Briefe von dir – mehrere nämlich – müssen verlorengegangen sein.«
Er sagte das mit solcher Bitterkeit, daß Paul, dadurch ungeduldig gemacht, trocken antwortete: »Ich habe lange nicht geschrieben.«
Kamnitzky stieß einen Laut des Unwillens aus, seine dichten Augenbrauen zogen sich zusammen: »So«, sagte er; »freilich, freilich – die vielen Geschäfte, die vielen Reden über Menschenrechte, Freiheit, Bildung, Intelligenz! Wie fände man da Zeit, ein paar alte Leute zu beschwichtigen, die so töricht sind, in Sorge um einen zu vergehen ... Ad vocem Intelligenz! – die macht Fortschritte! Wir haben jetzt drei Schullehrer in der Gegend zum Ersatz für den einen, der im vorigen Jahre dort verhungerte! Nun denn! – also lange nicht geschrieben!« Er senkte den Kopf und murmelte unverständliche Worte in den Bart.
»Meine Eltern vergehen vor Sorge?« fragte Paul, »davon merkt man ihren Briefen nichts an. Mir schreiben sie, es ginge ihnen gut und auch dem Kinde ...«
»Dem Kinde?... das war krank. – Man hat dir's verborgen. Aus Schonung ... Wie überflüssig – gelt? Die alten Leute verstehen eben die jungen nicht mehr. Sie wissen nicht, wie die gepanzert sind, inwendig, auswendig, durch und durch, mit einem trefflichen Harnisch: Gleichgültigkeit! ...«
Jeder Nerv in seinem Gesichte zuckte, er sprang auf, rannte ein paar Male im Zimmer auf und nieder und blieb plötzlich dicht vor Paul stehen. Beide Hände in den Taschen, den Oberkörper vor- und rückwärts wiegend, fuhr er in höchster Erregung fort: »Gleichgültig, eine schöne Sache – freilich, man könnt auch sagen: eine erbärmliche! Die Gleichgültigkeit setzt einen überall vor die Tür, sogar vor die des eigenen Hauses... Besitz ich etwas, das mir gleichgültig ist? Haben kann ich's, besitzen nicht!... Die Gleichgültigkeit ist blöd, grausam, frech! geht an der Schönheit vorbei ohne Begeisterung, am Elend ohne Mitleid, am Großen ohne Ehrfurcht, am Wunder ohne Andacht ...«
Paul legte seine Hand auf den Arm Kamnitzkys und sprach: »Gilt deine Strafpredigt mir? Ich bin nicht gleichgültig.
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