Ratlos stand Kamnitzky vor ihm. Er hätte so gern etwas gesagt! etwas Gutes, Gescheites! aber die Zunge war ihm wie gelähmt. Was würde er gegeben haben für das rechte, das erlösende Wort!

Kamnitzky fand es nicht, und mit einer Gebärde der Verzweiflung griff er endlich nach seinem Hute: »Leb wohl also«, sagte er.

Wie aus dem Schlafe aufgeschreckt, fuhr Paul empor.

»Wann reisest du?«

»Morgen früh.« Der bewegte Klang von Pauls Stimme wirkte wohltuend auf seinen kriegerischen Freund. Er war noch zu rühren, der verlorene Sohn, der Abtrünnige! Man konnte ihn schon noch packen, nur bedurfte es dazu einer geschickten und kräftigen Hand. »Morgen früh. Wenn du einen Auftrag hast für deine alten Leute, ich besorge ihn... Was soll ich ihnen ausrichten? Im Laufe der nächsten Woche komme ich wohl einmal hinüber ...«

Paul sah ihn spöttisch lächelnd an und sagte: »Im Laufe der nächsten Woche erst? – Geh mir! So lange wirst du nicht zögern, den Zweck deiner Reise zu erfüllen.«

»- Zweck? was meinst du? Ich verstehe dich nicht.«

»Du verstehst mich recht gut.«

Verwirrt und fassungslos wie ein ertappter Verbrecher wandte sich Kamnitzky ab. Er war durchschaut. Sein prächtig angelegter Plan gescheitert!... Wie hatte er sich alles so schön eingerichtet! Den alten Nachbarn, deren Kümmernissen er ein Ende machen wollte, von den Geschäften erzählt, die ihn nach der Stadt riefen, versprochen, »bei dieser Gelegenheit – vorausgesetzt, daß ihm Zeit dazu übrigbliebe«, den Paul zu besuchen. »Aber ja nicht sagen, daß sein Schweigen uns Sorge macht!« – »Sorge macht es Ihnen? Ist das möglich? Nein! nein! kein Wort, das versteht sich ...« In der Stadt war er mehrere Tage herumgezogen, die Pflastersteine zählen seine beste Unterhaltung, um nur mit gutem Gewissen sagen zu können: Ich bin schon lange da! um nur nicht merken zu lassen, daß er Eile habe, ihn zu sehen, den Renegaten. Und nun... Was sind Entwürfe? Was ist ein menschlicher Vorsatz? Das ganze Gewebe seiner Intrige lag kläglich nackt am Tage! So schlau angelegt, so diplomatisch ausgeführt – das heißt, wie man's nimmt: bei der Ausführung, da hat es gehapert ... da hat ihm sein »verfluchtes Temperament« einen Streich gespielt...

Stumm grollend empfahl sich Kamnitzky. Von dem überraschten Hausherrn gefolgt, eilte er durch den Salon, das Vorzimmer in das Treppenhaus. Er nahm die Hand nicht, die Paul ihm beim Abschiede bot, drückte seinen Hut fest in die Stirn und eilte stolzen Schrittes die Treppe hinab.

An die Rampe gelehnt, blickte Paul ihm nach. Ein Diener, der den Besucher an das Haustor begleitet hatte, kam zurück. »Packe eine leichte Reisetasche«, befahl sein Herr, »ich fahre heute abend für einige Tage auf das Land.«

 

Im Laufe des Nachmittags begab Sonnberg sich zu Gräfin Marianne. »Sind Gäste da?« fragte er an der Tür des ersten Salons den voranschreitenden Kammerdiener. Dieser zog die Hand zurück, die er bereits auf die Klinke gelegt hatte, und in bedauerndem Tone, aus dem es trotz aller schuldigen Ehrfurcht deutlich klang: Dir ist's nicht recht, wir verstehen uns! sprach er: »Frau Gräfin Erlach, Durchlaucht Eberstein und der Herr Graf Neffe. Haben hier gespeist, werden wohl bald aufbrechen; der Wagen der Frau Gräfin Erlach ist schon vor einer halben Stunde gemeldet worden.«

Paul nickte dem Alten, für die Auskunft freundlich dankend, zu und trat ein. Die Portieren zwischen dem Saale, in dessen Mitte das Klavier stand, und dem kleinen Salon waren zurückgeschlagen. Marianne saß der Gräfin Erlach gegenüber am Kamine, Thekla etwas abseits frei und aufrecht, die Arme leicht gekreuzt. Der junge Graf Eberstein stand neben ihr, zupfte an seinem kleinen Schnurrbart, spielte mit der Uhrkette, warf von Zeit zu Zeit einen Blick in den Spiegel und senkte dann mit bescheidener Zufriedenheit die Augen. Der Fürst hatte seinen Sessel in die Nähe des Fauteuils gerückt, in dem Gräfin Erlach ruhte, und stützte den Arm auf die Lehne desselben. Die lächelnden Gesichter aller Anwesenden verrieten, daß die ausgezeichnete Unterhaltungsgabe, die man der jungen Dame nachrühmte, sich eben wieder bewährte.

Paul nahm an ihrer Seite Platz, nachdem er die Damen des Hauses begrüßt hatte, und sagte in jenem leichten Tone, den sich Männer so gern gegen Frauen erlauben, deren Ehrgeiz darin besteht, »amüsant« gefunden zu werden: »Bravo, Gräfin, bravo – ein vortrefflicher Einfall!«

»- Was denn?«

»Was Sie eben sagten.«

»Sie haben ja nichts davon gehört.«

»Was tut's? Ich kann dennoch bei dem – wenigen, was Ihnen heilig ist, schwören: es war vortrefflich!«

Klemens lachte schallend und sah dabei Thekla mit Blicken an, die deutlich sagten: Lachen Sie doch auch! Ach, dem Fürsten war Thekla zu kühl, Paul zu geduldig, er fand es längst an der Zeit, der Brautwerbung ein Ende zu machen, er konnte nicht oft genug wiederholen: die jungen Leute hätten sattsam Gelegenheit gehabt, einander kennenzulernen. Worauf wartete man noch, um Gottes willen? Wodurch sollte Sonnberg noch beweisen, daß er Theklas würdig sei? Ein Mann, wie man ihn weit suchen könne, charaktervoll, edel, verläßlich... Klemens wurde so maßlos in dem Lobe seines Schützlings, daß Marianne ihm einmal sagte: »Wenn es ein Mittel gibt, einem Sonnberg zu verleiden, dann sind Sie im Besitze desselben, mein armer Freund ...«

Die Gräfin Erlach beantwortete Pauls Kompliment mit einem spöttischen Lächeln. Sie schien immer spöttisch zu lächeln, sogar wenn sich ihr Gesicht in vollkommener Ruhe befand. Dann ging sie zu einem andern Thema über und sagte zu Marianne: »Tonchette kommt morgen aus Paris zurück.«

»Haben Sie große Bestellungen bei ihr gemacht?«

»Große nein – nur ein paar Toiletten, das Notwendigste.«

»Was man ins Haus braucht, um seinen Mann zu bezaubern«, bemerkte Klemens, und Paul fiel ein: »Das heißt, um ihn in der Bezauberung zu erhalten, denn bezaubert ist er ja längst.«

»Schreibt der Graf noch immer?« fragte Alfred schüchtern und zugleich dreist wie ein kaum flügge gewordenes Spätzchen, das, kämpfend zwischen anerzogener Bescheidenheit und angeborener Keckheit, nicht ohne Zögern sein Stimmlein im Kreise älterer Gefährten erhebt, »schreibt er noch immer so viele Gedichte an Sie, Gräfin?«

»An mich? was fällt Ihnen ein? – Ich weiß nichts davon.«

»Wer das glaubte!« sprach Marianne mit einem Anflug von Sarkasmus.