»Ihr Mann macht Ihnen gewiß kein Geheimnis aus den poetischen Huldigungen, die er Ihnen darbringt.«
»Doch!« entgegnete die Gräfin, »wenn auch sehr unwillkürlich. Er besteht nämlich darauf, mir das alles vorzulesen; und ich, sehen Sie, ich kann nicht zuhören, wenn mir jemand vorliest, ich kann nicht. Meine Gedanken fliegen davon, sobald die Lektüre beginnt, und stellen sich um keinen Preis wieder ein, bevor sie beendet ist. Dann natürlich sage ich auf gut Glück: ›Charmant, charmant, sehr schön geschrieben – besonders das letzte!‹«
Man lachte, auch Paul nahm teil an der allgemeinen Heiterkeit, etwas gezwungen allerdings; und er wandte sich plötzlich mit den Worten an Gräfin Erlach: »Eigentlich muß ich Ihnen aber sagen, daß die schriftstellerischen Versuche Ihres Mannes aller Aufmerksamkeit wert sind und die Ihre erwecken sollten.«
Die Gräfin sah ihn an mit jenem unbeschreiblichen Erstaunen, das Leute ergreift, die ihr ganzes Leben hindurch nur gespielt haben und entschlossen sind, bis an ihr Ende weiterzuspielen, wenn ihnen plötzlich zugemutet wird, irgendeiner ernsthaften Sache Interesse zu schenken. Jetzt lächelte nicht mehr ihr Mund allein, ihr ganzes nicht regelmäßig schönes, aber äußerst anziehendes Gesicht und ihre großen schalkhaften Augen lächelten mitleidig, spöttisch, übermütig, lächelten auf jede Art. Sie warf den Rest ihrer Zigarette in den Kamin, begann sorgfältig und mit Bedacht ihre Handschuhe anzuziehen und sprach in ihrer langsamen und nachlässigen Weise: »Fremde haben leicht reden.« Sie glättete die Falten ihrer Handschuhe und setzte nach einer Pause hinzu: »Mein Mann ist sehr leicht auswendig zu wissen, und ich weiß ihn auswendig – seit vier Jahren! Trotzdem sagt er sich mir täglich auf, in Versen und in Prosa. Das befriedigt zuletzt auch die brennendste Neugier.«
Die Gräfin erhob sich, und die Damen riefen bedauernd wie aus einem Munde: »Sie wollen schon fort?«
»Es ist höchste Zeit, ich muß meine Schwiegermutter abholen in die Oper ...« Sie versenkte sich in die Betrachtung ihres Fächers, warf einen langen Blick in den Spiegel: »Meine Schwiegermutter behauptet, eine Oper ohne Ouvertüre sei wie ein Mittagsessen ohne Suppe ... und meine Schwiegermutter hält etwas auf Suppe wie alle alten Leute.«
Der Fürst blinzelte nach der Uhr, die eben acht schlug, gab seinem Neffen einen Wink und sprach: »Alfred wird die Ehre haben, Sie an Ihren Wagen zu bringen.«
Alfred verneigte sich. Sie wollen mich weg haben, dachte er und murmelte etwas von »besonderem Vergnügen«.
Als die beiden sich entfernt hatten, sagte Thekla zu Sonnberg mit einer ihr ungewohnten Lebhaftigkeit: »Wie schade, daß Sie nicht früher kamen! Sie hätten sich unterhalten. Julie war heute so gut aufgelegt, so witzig!«
»Witzig nennen Sie das?« entgegnete Paul. »Es ist schale Spaßmacherei; und auf wessen Kosten spaßt die Gräfin? – sie macht ihren Mann lächerlich.«
»Oh, das besorgt er wohl selbst.«
»Wodurch?«
»– Und wenn sie es tut, geschieht es aus Notwehr ...«
»Wodurch?« wiederholte er – »wodurch?« Sein Gesicht färbte sich dunkler, die Adern an seinen Schläfen schwollen an: »Lieben – geliebt werden – macht das lächerlich?«
Thekla sah mit Erstaunen, daß er zürnte. Was hat er denn? Was liegt ihm an dem armen kleinen Erlach?... er versetzt sich doch nicht an seine Stelle, vergleicht sich doch nicht mit dem?... Eine solche Möglichkeit darf von Thekla nicht angenommen werden – oh – nicht einmal geahnt! Mit etwas unsicherer Stimme und mit der unschuldig altklugen Miene eines Kindes, das fremde Weisheit von seinen Lippen strömen läßt, sprach die junge Gräfin: »Ach nein, Liebe zu empfinden ist nicht lächerlich, aber es zur Schau tragen, das ist's!«
»Wer sagt Ihnen, daß Erlach seine Liebe absichtlich zur Schau trägt? Vielleicht fehlt ihm nur die Kraft, sie zu verbergen, wie er's sollte, dieser Frau gegenüber. Verspotten Sie ihn nicht – bedauern Sie ihn.«
»Ach!« rief Thekla, »ich bedauere niemand, der Gedichte macht.«
»So?« Paul schwieg eine Weile, dann fragte er plötzlich: »Was ist's mit den Gedichten, die ich Ihnen neulich brachte? Haben Sie darin gelesen?«
»Ja«, antwortete sie zögernd.
»Und was sagen Sie dazu? Ich habe das Buch jahrelang besessen und es nicht zu würdigen verstanden. Vor wenig Tagen kam es mir zufällig in die Hand, und mir war, als hätte ich einen Schatz entdeckt. Es ist herrlich... finden Sie nicht?«
»Herrlich – ja, zu herrlich für mich.«
»Was heißt das?«
»Es heißt...«
»Nun? Vollenden Sie doch!«
Thekla warf den Kopf zurück: »Ich bin überhaupt keine Freundin von Gedichten«, sagte sie.
Er zuckte die Achseln. »Sache des Geschmacks!«
»Jawohl!«
»Und es gibt guten und schlechten.« Paul war wieder in den herben Ton verfallen, den er ihr gegenüber nie mehr anschlagen wollte.
Dieser kleine Wortwechsel berührte den Fürsten Klemens sehr unangenehm. Er rückte auf seinem Stuhle hin und her, räusperte sich mißbilligend und warf der Gräfin einen bedauernden Blick nach dem andern zu. Plötzlich rief er aus, in der Weise eines nachsichtigen Vaters, der streitende Kinder zu beschwichtigen sucht: »Jedes von euch hat recht – gewissermaßen jedes!
Oh«, wandte er sich ernsthaft zu Marianne, »das kann leicht sein; es trifft sich wohl – – ja, wenn man die bezüglichen Standpunkte ins Auge faßt, trifft sich's eigentlich immer. Was meinen Sie?« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern erhob sich: »Aber wir müssen ja fort... Auch Sie haben bereits die Ouvertüre versäumt, was freilich nicht für ein Unglück gilt im Burgtheater ... Es ist doch heut Ihr Logentag?«
»Nicht der unsere, der unserer Kammerjungfern, denn man gibt ein Trauerspiel. Wir bleiben zu Hause und wollten Sie beide«, Marianne nickte Paul freundlich zu, »bitten, uns Gesellschaft zu leisten.«
»Wir sind bereit! Oh, mit Vergnügen!« rief der Fürst und ließ sich sofort in einen bequemen Fauteuil nieder, der zwischen dem Kamin und dem Arbeitstischchen der Gräfin stand. Sie nahm ihre Tapisserie zur Hand, über welche Klemens viel Schmeichelhaftes zu sagen wußte. Er fand die Zeichnung »wirklich, man muß gestehen! geschmackvoll, und erst die Farben!« – er hatte niemals zwei Farben gesehen, die so gut harmonierten – nicht einmal auf einem englischen Plaid – wie dieses Blau und dieses Grün ... Mit hausfreundlichem Behagen und mit dem Interesse für den Inhalt von Nähtischen und Arbeitskörben, das beinahe alle Männer auszeichnet, die Talent zur Weichlichkeit besitzen, begann er das zierliche Necessaire aus Elfenbein zu öffnen und zu schließen, die goldenen Scherchen und Büchschen ein- und auszuräumen; er zog die bunten Seidensträhnchen, die sich die Gräfin zurechtgelegt hatte, durch seine Finger und spielte so lange mit den kleinen Knäueln und Spulen, bis Marianne endlich ungeduldig ausrief: »Ich beschwöre Sie, Klemens, lassen Sie mein Handwerkszeug in Ruhe.«
Er gehorchte resigniert, als ein ritterlicher Mann, der gewöhnt ist, in strenger Zucht gehalten zu werden und gleich wieder den kurzen Zügel zu fühlen, sobald er sich ein wenig gehen lassen möchte. Seine Aufmerksamkeit wandte sich dem »anonymen Brautpaare« zu, wie er Paul und Thekla nannte. Die jungen Leute hatten sich in den Saal begeben.
Thekla nahm Platz am Klavier: die ersten Takte einer Bertinischen Etüde erklangen unter ihren Fingern.
1 comment