Diese schlecht belohnte Liebe habe Zeit und Entfernung, habe Mariannens Ehe mit einem ehrenwerten Manne überdauert und den einzigen Schatten geworfen, der jemals in ihr glückliches Dasein fiel. Was an alledem Wahres sei, erfuhr die neugierige Dumesnil nie und blieb in dieser Sache auf die Gedanken angewiesen, welche sie sich selbst darüber machte. Nahrung gab ihnen allerdings die Unruhe, in die Marianne durch Theklas kindische Herzensverwirrung versetzt wurde. So ängstlich behütet man ein geliebtes Haupt nur vor selbsterfahrenem Übel. Die Gräfin stand nachts auf und wachte stundenlang am Bette ihrer schlafenden Tochter. Sie führte eine strengere Kontrolle denn je über die Bücher, die Thekla las, über die Musikstücke, die sie spielte, einen lebhafteren Kampf denn je gegen Überspanntheit und Schwärmerei. Und sie mußte sich endlich sagen, daß dieser Kampf siegreich gewesen war.
Mit achtzehn Jahren trat Thekla in die Welt, gefiel außerordentlich und bewegte sich in der neuen Umgebung wie in ihrem ureigensten Elemente. Nichts blendete, nichts überraschte sie. Ruhig nahm sie die Huldigungen hin, die ihr dargebracht wurden, lächelte über den Neid minder Bevorzugter und hielt mit kühler Majestät jeden fern, der sich aus einer weniger glänzenden Sphäre hervor in die ihre wagte.
Einige »sehr annehmbare« Bewerber waren von Thekla bereits ausgeschlagen worden, als Paul Sonnberg zum ersten Male in der Gesellschaft erschien. Ihm ging der Ruf eines Mannes voran, der zu einer großen Laufbahn bestimmt sei. In seinem Leben war alles anders gewesen als in dem der meisten seiner Standesgenossen. Eine Jugend voll Arbeit und Mühen lag hinter ihm. Er hatte als Kind die öffentlichen Schulen besucht und dann eine deutsche Universität bezogen.
»Obwohl er Ihr einziger Sohn, der einzige Erbe eines großen Vermögens ist?« sprachen die Leute zu seinem Vater.
»Weil er das ist«, lautete die Antwort. »Vermögen ist Unvermögen in der Hand eines Menschen, der nichts vermag. In meiner Hand zum Beispiel, in der Euren!«
Schwer lastete auf dem alternden Manne das Bewußtsein, den Anforderungen der neuen Zeit, die für ihn unversehens hereingebrochen war, nicht genügen zu können. Das Gefühl der Ohnmacht, das ihn niederdrückte, sollte sein Sohn niemals kennenlernen; gerüstet sollte der in das streitbare Leben treten, arbeitsgewohnt in die tätigkeitsfrohe Welt. Der Vater meinte ihn nicht zeitig genug auf eigene Füße stellen, auf eigene Kraft anweisen zu können.
»Es mußte sein! es geschah für ihn!« Damit tröstete der Graf sich und seine Frau nach dem Abschied von dem geliebten Kinde, das ihnen – eine spät erfüllte Hoffnung – noch im Alter geschenkt worden war.
Paul verstand die Wünsche und Erwartungen der Seinen und übertraf sie alle. Jahr um Jahr kehrte er zurück, reicher an errungenen Ehren. Daheim empfing ihn vergötternde Liebe; die Mutter lebte auf, der Vater vermochte kaum sein Entzücken über den herrlichen Sohn hinter still billigendem Ernste zu verbergen; alle Gesichter verklärten sich, das ganze Haus schimmerte im Freudenglanze. Wie ein verwunschener Prinz in den Tagen der Entzauberung zu seinem Königreiche kommt, so kam auch Paul für kurze Zeit in den Besitz seiner angestammten Rechte. Nach absolvierter Universität ging er nach England, um dort Agronomie zu studieren, und traf endlich, heiß und ungeduldig ersehnt, zu bleibendem Aufenthalte im Elternhause ein. Nun hieß es zeigen, was er gelernt hatte! Es hieß Neuerungen einführen, die wirtschaftlichen Zustände seines Erbgutes verbessern, der ganzen Gegend ein Beispiel geben zu heilsamer Nachahmung. Der stumpfe Widerstand, der seinem Eifer, das Mißtrauen, das seinem guten Willen entgegengebracht wurde, entmutigten ihn nicht – lange nicht! Als er aber nach Jahren rastlosen Fleißes immer wieder an die eingebildete und doch unübersteigliche Scheidewand zwischen Theorie und Praxis anrannte, als jeder seiner Erfolge mit Spott, jeder seiner Mißerfolge mit Schadenfreude begrüßt wurde, da riß ihm die Geduld, und Überdruß stellte sich ein. Dieser wurde noch erhöht durch die Unsicherheit der allgemeinen Lage, durch die trostlosen Verhältnisse des ganzen Landes. Österreich stand damals am Abgrund, an den die Sistierungspolitik es geführt; im Innern war der Hader der Nationalitäten entbrannt, von außen drohten Kämpfe auf Leben und Tod.
In der Ehe, die Paul, den heißesten Wunsch seiner Eltern erfüllend, mit ihrer Ziehtochter, einer armen Verwandten, geschlossen hatte, fand er kein Glück. Seine junge Frau war von ihm niemals geliebt worden, und er fühlte sich durch ihre Liebe nur gequält. So war ihm der Aufenthalt in der Heimat in jeder Weise vergällt, und freudig beinahe, als die Kriegsanzeichen sich mehrten, eilte er nach Wien und ließ sich als gemeinen Soldaten in ein Regiment anwerben, das eben nach Italien abmarschierte. Auf dem Wege erreichte ihn die Nachricht, daß ein Töchterchen ihm geboren sei und daß er seine Frau verloren habe.
Nach beendetem Feldzuge quittierte Paul die Offizierscharge, zu welcher er auf dem Schlachtfelde von Custozza befördert worden, und nahm im Reichsrate seinen Platz unter den Männern der Opposition ein. Sein Wissen, die Energie, mit welcher er seine Meinungen vertrat, erregten Aufmerksamkeit. Daß er ideale Zwecke verfolgte, setzte man auf Rechnung seiner Jugend; daß er freisinnige Politik trieb, wurde als eine Art Sport angesehen und dem Edelmanne verziehen, der den Augenblick schon finden werde, in die rechte Bahn einzulenken.
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