In der Gesellschaft sicherten ihm seine Geburt und sein Vermögen eine bevorzugte Stellung. Aber sein Fuß war zu schwer für den parkettierten Boden des Salons. Er hätte die große Welt bald geflohen, wäre nicht Thekla darin zu finden gewesen. Wenn je zwei Menschen, so waren die füreinander geboren, urteilte ihre Umgebung. Beide zu gleichen Ansprüchen berechtigt, beide jung, schön, hochbegabt, mit Glücksgütern reich gesegnet; Namen, Rang, Verhältnisse in vollkommenster Übereinstimmung. Mit der Unbefangenheit eines Mannes, der eine Zurückweisung nicht besorgt, legte Sonnberg seine Bewunderung an den Tag; mit sichtbarem Wohlgefallen wurde sie aufgenommen. Alle anderen Bewerber Theklas traten zurück, und jede leise Hoffnung auf die Gunst der Gefeierten erlosch, als man Paul dem Fürsten Eberstein auf die Frage: »Wie gefällt sie Ihnen?« antworten hörte: »Wie das Schönste, das ich jemals sah!«
Der Ball, auf dem Fürst Klemens eine entscheidende Wendung seines Schicksals zu erleben hoffte, ging zu Ende; er war der letzte und zugleich der glänzendste dieser Saison. Marianne erwartete nur den Schluß des Kotillons, um das Fest zu verlassen, und dieselbe Absicht hatte Sonnberg ausgesprochen, der, an ihrer Seite sitzend, dem Tanze zusah. Sie führten ein eifriges Gespräch, das die Gräfin von allgemeinen Gegenständen auf besondere und endlich auf persönliche zu lenken verstand. Paul bemerkte bald, daß er einem kleinen Verhör unterzogen wurde, doch geschah dies in so freundlich teilnehmender Weise, daß es unmöglich war, auf eine Frage die Antwort schuldig zu bleiben. Besonders warm und herzlich lauteten die Erkundigungen Mariannens nach den Eltern Sonnbergs und nach seinem Töchterchen; sie wollte wissen, ob die Kleine ihrer verstorbenen Mutter ähnlich sehe; sie wollte etwas hören von ihrer Gemütsart, ihren Eigentümlichkeiten.
Ein überlegenes Lächeln umspielte seinen Mund, und er entgegnete: »Sie lag in Windeln, als ich sie zum letzten Male sah; ich kann Ihnen demnach über das Äußere der jungen Person nichts verraten. Ihre Eigentümlichkeiten aber, ihre Gemütsart werden wohl die der Leute ihres Alters sein.«
»Und die ihrer eigenen kleinen Individualität.«
»Individualität? Ich denke, daß sie noch keine hat. Zu drei Jahren sind alle Kinder einander gleich.«
»Nicht zwei«, sprach die Gräfin bestimmt, »auf der ganzen Erde nicht zwei!«
»Wahrhaftig?« versetzte er zerstreut. Sein Auge verfolgte mit dem Ausdruck eifersüchtigen Entzückens die schöne Thekla, die jetzt in den Armen ihres Tänzers an ihm vorüberwirbelte.
Marianne verglich die heiße Leidenschaft, die aus seinen Blicken funkelte, mit der Kälte, die sie angefröstelt hatte, als er von seinen Eltern, seinem Kinde sprach, und dachte: – Was für eine Art Mensch bist du eigentlich? Es liegt etwas Unfertiges, Unaufgeschlossenes in dir. – Ah! tröstete sie sich, er hat zuviel in Büchern gesteckt; er kennt das Leben nicht. Die Schule und ein einsames Schloß auf dem Lande, das war bisher seine ganze Welt. Er steht zum ersten Male im Menschengewühl, und mit all seiner Weisheit ist er doch nur ein Neuling darin. Aber – wo hat er Wurzeln geschlagen? Was ist sein eigentliches Element? Die Familie nicht – er scheint sehr gleichgültig gegen alle, die ihm angehören. Wahrlich, ein Mann, der Mariannen auf dem Balle von den Süßigkeiten des Familienlebens vorgesäuselt hätte, wäre ihr lächerlich vorgekommen; aber so trocken, wie dieser Sonnberg es tat, sollte niemand diejenigen abfertigen, die ihn an die Seinen erinnern.
Die Gräfin sah ihn von der Seite an: – Verwöhnt wurdest du, das ist's! Zuerst durch das Glück, das dich mit Talent reich ausgestattet hat und mit Mitteln, es geltend zu machen, dann durch übergroße Liebe. Als eine Last empfindest du sie und meinst genug zu tun, wenn du sie nur duldest, nur erträgst.
Wieder betrachtete sie ihn, forschend, aufmerksam. Sein Gesicht drückte die höchste, erwartungsvollste Spannung aus. »Wahltour!« hatte der Vortänzer gerufen – Thekla, eben erst an ihren Platz zurückgeführt, erhob sich. Mehrere junge Leute eilten herbei, umringten sie, und jeder flehte: »Wählen Sie mich! – Mich!« Sie schüttelte verneinend den Kopf; der Kreis, der um sie geschlossen worden war, teilte sich, und sie ging, an all den Enttäuschten vorbei, langsam, in gleichmäßigen Schritten die Breite des Saales durchschreitend, auf Sonnberg zu. Und nun, anmutig und stolz in ihrem duftigen Gewande, die Wangen rosig angehaucht, die herabhängenden Hände leicht ineinandergelegt, stand sie vor ihm und grüßte ihn mit einem kaum merkbaren Neigen des Hauptes. Er sprang auf – aus seinem Antlitz war alle Farbe gewichen – er zitterte, ja, er zitterte! wie nach Atem ringend hob sich seine Brust... Im nächsten Augenblicke jedoch hatte er sich gefaßt, umschlang die reizende Gestalt, und sie flogen im raschen Takte der Musik dahin, von allen, die sich in dem leuchtenden Saale lebensdurstig und lebensfreudig im Tanze bewegten, das schönste Paar.
An der Seite dieses Mannes nahm sich Mariannens blühende Tochter beinahe schmächtig aus, aber friedliche Ruhe lag auf ihrer Stirn, gleichmütig wie immer glänzten ihre klaren blauen Augen, während die seinen zu glühen schienen und sein ganzes Wesen eine gewaltige, tiefe, selige Verwirrung verriet.
Die Gräfin fühlte die bange Sorge schwinden, die ihr Herz beklemmt hatte. – Die wird ihn nicht verwöhnen, sagte sie zu sich selbst, der zweiten Frau wird er sich beugen! ...
Ein hagerer, hochgewachsener Mann, der sich ihr näherte, unterbrach sie in ihren Betrachtungen.
»Er tanzt!« sprach er, auf Sonnberg deutend, »die Statue des Komturs steigt von ihrem Piedestal herab und tanzt!«
Marianne wandte sich langsam beim Klange der wohlbekannten Stimme und entgegnete: »Das ist weniger verwunderlich, Herr von Rothenburg, als daß Sie kommen, um ihr zuzusehen.«
»Deshalb komme ich auch nicht, sondern um, wie gewöhnlich, meine Betrachtungen zu machen beim Schluß unserer Karnevalsausstellung, unseres Kindermarktes von Bethnal Green.«
Die Gräfin zuckte schweigend mit den Achseln; er nahm ohne Umstände Platz neben ihr und fuhr fort: »Immer dasselbe, nicht wahr? Angebot und Nachfrage stimmen niemals überein.«
Wie Kurzsichtige pflegen, zog er seine kleinen, tiefliegenden Augen zusammen und fixierte Marianne mit eigentümlich scharfem Blicke.
»Was fehlt Ihnen, Frau Gräfin? Sie sind aufgeregt. Sollte das Ereignis, das bevorsteht in Ihrer Familie, sich Ihrer unbedingten Zustimmung nicht erfreuen?«
Sie versuchte nicht, Unbefangenheit zu heucheln und zu tun, als verstände sie ihn nicht. Sie antwortete einfach: »Es ist keineswegs ausgemacht, daß überhaupt ein Ereignis bevorsteht.«
»Um so besser dann«, sprach er.
»Warum?« fragte Marianne befremdet.
Er lachte: »Warum? Bin ich der Mann, von dem man Gründe fordert?... Und wenn ich von meinem ahnungsvollen Gemüte spräche, würden Sie mir glauben?«
Eine kleine Pause entstand, dann sagte Marianne wie mit plötzlichem Entschlusse: »Was haben Sie gegen den Grafen Sonnberg?«
Rothenburg antwortete spöttisch: »Alles.
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