Daß er jung ist, daß er reich, schön, vornehm ist, daß er ...«
»Den Ruf eines gescheiten Mannes besitzt«, ergänzte die Gräfin in demselben Tone.
»Den ihm alberne Leute gemacht haben – und der deshalb unerschütterlich ist. Übrigens«, fuhr er ernsthaft fort, »glauben Sie nicht, daß ich ihn unterschätze. Er besitzt ein kostbares und trotz der Behauptung unserer Psychologen äußerst seltenes Gut: eine Seele. Vorläufig ist ihm das noch ein Geheimnis – er weiß es nicht. Aber der Augenblick wird kommen, in welchem er's erfährt, und dieser wird für ihn ein entscheidender sein.«
Mit gesenktem Haupte hatte Marianne seinen Worten gelauscht, die beinahe völlig ihre eigenen Gedanken aussprachen.
»Sie raten mir also –« fragte sie zögernd.
»Zu mißtrauen!« rief er, »dem Schicksal immer dann am ängstlichsten zu mißtrauen, wenn es ein ungetrübtes Glück zu verheißen scheint. Die boshaften Mächte, die über dem Menschendasein walten, geben entweder den Durst oder die Labe, das Schwert oder die Faust, die es führen könnte; sie geben jenem den Wunsch, diesem die Erfüllung, und wo ich äußere Übereinstimmung sehe, weiß ich auch: hier ist innerer Zwiespalt.«
»Etwas geb ich zu von alledem«, sprach Marianne, »ohne deshalb an Ihre ›boshaften Mächte‹ zu glauben. Und – vollkommenes Glück! Wer denkt daran?«
»Nicht wahr?« rief er, »besonders in unserem tugendreichen Zeitalter, das jedes andere Glück verbietet als das pflichtmäßige.«
»Das haben frühere Zeitalter wohl auch getan.«
»O nein! Als noch Leidenschaft, Kraft und Mut auf Erden herrschten, da war es anders. Naivetät entschuldigte die Schuld. Munter verübten die alten Götter ihre Frevel, und die Menschen ahmten ihnen unbefangen nach. Wenn Antonius und Kleopatra sündigten, applaudierten zwei Weltteile. Jetzt schleicht die Sünde lichtscheu umher, und feige Reue heftet sich an ihre Fersen. Wir, denkende Schwächlinge, entnervt durch die Reflexion, wir verstehen auch das schönste Verbrechen nicht mehr zu genießen.«
»Verbrechen genießen?... Das sind wieder ganz Sie selbst!« sagte Marianne.
Die Gereiztheit, die aus ihrer Stimme klang, schien Rothenburg ein lebhaftes Vergnügen zu machen. »Immer nur ich! Mehr denn je!« scherzte er, »seitdem die einzige Hand, die sich zu meiner Rettung ausstreckte, mich aufgegeben hat – völlig aufgegeben. Nicht wahr?«
Marianne begegnete seinem höhnisch herausfordernden Blick; ein Ausdruck unerbittlicher Strenge lag auf ihrem Gesichte; ihre Augen glänzten wie im Bewußtsein eines Sieges, und sie sprach gelassen: »Sie haben sich eben teilnehmend und besorgt um Theklas Wohl gezeigt, was treibt Sie, diesen guten Eindruck zu verwischen?«
»Mein böser Dämon vermutlich«, antwortete er in leichtfertigem Tone. »Aber lassen wir das. Frieden also und ewige Freundschaft!«
»Frieden«, wiederholte sie nachdrücklich, »so guten, als Sie fähig sind zu halten. – Da kommt Thekla!«
Marianne erhob sich und ging ihrer Tochter entgegen, die am Arme des Fürsten Klemens auf sie zugeschritten kam. Einen Augenblick starrte ihr Rothenburg finster nach: »Doch schade!« murmelte er zwischen den Zähnen, dann wandte er sich um mit einer Bewegung, als gälte es, eine unbequeme Last abzuschütteln, und verschwand in der Menge, die den Gemächern zuströmte, in denen das Souper aufgetragen worden.
Die kleine Gesellschaft, die sich noch im Ballsaale befand, schickte sich an, ihn zu verlassen. Sie bestand aus der Gräfin und ihrer Tochter und aus Eberstein und seinem Neffen. Dieser, ein junger Mann mit rundem Kindergesichte, treuherzigen braunen Augen, weit auseinanderstehenden Zähnen und einem dünnen lichtblonden Vollbärtchen, bot nun Thekla seinen Arm, während Marianne den des Fürsten annahm.
Das junge Paar ging dem älteren voran. Schüchtern und leise, dabei jedoch höchst eifrig sprach der kleine Graf zu seiner schweigenden Gefährtin.
»Er macht ihr Vorwürfe«, sagte der Fürst, als sie über die blumengeschmückte Treppe der Halle hinabgestiegen. »Er hat Ursache dazu; sein gutes Recht wäre gewesen, den Kotillon, den er mit ihr tanzte, auch mit ihr zu beschließen. Der arme Junge wartete so ungeduldig, daß sie ihm zurückkehre! Aber als es endlich geschah, da wurde seine Aufforderung zur letzten Walzertour – abgelehnt. Ja, ja – abgelehnt! Majestätisch wie sie sein kann, die junge Hexe, sprach sie: ›Ich danke Ihnen – ich tanze heute nicht mehr...‹«
»Das hat Thekla gesagt?« fragte die Gräfin erschrocken.
»Jawohl!« entgegnete Klemens fröhlich, »und mit einem Blick auf den glückstrahlenden Sonnberg, einem ernsten, huldvollen Blick; ich wollte, Sie hätten ihn gesehen! Verraten Sie mich aber nicht!« flüsterte er Mariannen zu.
Der Wagen war vorgefahren, die Damen stiegen ein. »Morgen also, um zwei Uhr, kommen wir«, rief ihnen der Fürst noch zu, und die Equipage rollte davon.
»Warum sagen Sie wir?« fragte Alfred, »wer begleitet Sie morgen zu der Gräfin?«
Klemens zog sein Cachenez bis zu den Ohren hinauf und erwiderte kurz: »Sonnberg begleitet mich.«
»Wie, lieber Onkel – Sie machen sich zu seinem Freiwerber?« sprach Alfred vorwurfsvoll – »Sie!... Und wissen doch ...«
»Ich kann in dieser Angelegenheit keine Rücksicht auf dich nehmen. Ich kann in dieser Sache nichts für dich tun. Es war ein Unsinn, daß du dich in Gräfin Thekla verliebtest... Zum Teufel, ehe man sich verliebt, sieht man zu in wen!« Das Gespräch, das er heute morgen mit Mariannen gehabt, kam dem Fürsten sehr zu Hilfe, und er schloß: »Mit dieser Empfindung mußt du trachten fertigzuwerden.
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