Sieh diesen Wagen, dieses Gespann, diese Riemen, diese Schnallen! Ist das nicht alles korrekt und tadellos, pünktlich, charaktervoll? Auch Klemens hat englische Kupees und Pferde aus edelstem Blut, aber wie ist das alles zusammengestellt? Ohne rechten Geschmack, ohne die Strenge, die unerbittlich auf Sorgfalt bis ins kleinste dringt. Der Weichling verrät sich überall!
Sie wandte sich vom Fenster weg und begann im Zimmer auf und ab zu schreiten. Ihre Phantasie zauberte ihr einen noch viel schöneren Anblick vor als den, welchen sie eben genossen: die Equipage der Gräfin Sonnberg und bald auch das Palais, durch dessen Einfahrt diese Equipage rollte, während die Glocke dreimal anschlug und der dicke Portier sich ehrerbietig verneigte in seinem roten Pelze mit goldgesticktem Bandelier... Rot und Gelb sind die Sonnbergischen Farben, das Wappen ist eine goldene Sonne, aufsteigend am purpurnen Horizont. Dieses Sinnbild prangt über dem Tore des majestätischen Bauwerks, eines Juwels altertümlicher Architektur, des Palais, dessen Gebieterin sie werden sollte, Gebieterin des Gebieters und aller, die dem Gebieter dienten ...
Thekla war an Reichtum und Behagen gewöhnt, aber im Witwenhause ihrer Mutter hatte sich allmählich ein Domestikenregiment und mit ihm so mancher Mißbrauch eingeschlichen. Es fehlte der kräftige Mann, der die Herrschaft in starken Händen hält. Graf Sonnberg wird das verstehen, er wird für die Ordnung und nach außen für den Glanz seines Hauses sorgen. Den Mittelpunkt dieses Glanzes gedenkt Thekla zu bilden und von ihm umgeben sich der Welt zu zeigen, in der Stadt zur Winterszeit, im Sommer auf ihren Schlössern ... Dort will sie leben, wie der Adel im vorigen Jahrhundert auf seinen Schlössern zu leben pflegte, einen zahlreichen Freundeskreis gastfrei um sich versammeln, täglich neue Feste ersinnen, den Hasen jagen auf der Heide, den Hirsch im Walde und sich lächelnd der Zeiten erinnern, in denen sie in Wildungen zwischen ihrer Mutter und Madame Dumesnil saß und Weihnachtsjacken und Neujahrshauben für die armen Dorfkinder häkelte und strickte.
Die Uhr auf dem Schreibtische hob aus zum Stundenschlag... drei Uhr ... die Unterredung zwischen dem Grafen und ihrer Mutter dauerte lang – was hatten sie einander zu sagen?... Ihr wurde angst – sollten alle ihre schönen Träume in Luft zerrinnen?... Aber da pochte es an der Tür, der Kammerdiener erschien und sprach: »Die Frau Gräfin lassen bitten ...«
Thekla fand ihre Mutter im kleinen Salon, an ihrem gewöhnlichen Platze, in ihrer gewöhnlichen Haltung, aber mit geröteten Wangen, ja sogar mit leicht geröteten Augen. In hoher Erregung schritt Sonnberg auf das junge Mädchen zu, er war sehr bleich, und seine Lippen bebten.
»Ihre Mutter teilt Ihr Vertrauen zu mir nicht, Gräfin Thekla«, sprach er. »Sie verurteilt mich zu einer Probezeit ... Ich soll dienen um mein Glück. Sie will es.«
Thekla runzelte die Stirn, ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, und sie entgegnete leise, aber festen Tones: »Und was wollen Sie?«
Paul ergriff ungestüm ihre Hand. »Ich will mich bemühen«, rief er, »die Probezeit möglichst abzukürzen...«
»Sie fügen sich also«, sagte Thekla und schüttelte mißbilligend das Haupt.
»Ich füge mich, da ich die Zustimmung Ihrer Mutter nicht erzwingen und noch viel weniger – Ihnen entsagen kann ... Helfen Sie mir«, flehte er leidenschaftlich, »helfen Sie mir, den hohen Preis, den ich im Sturme erringen wollte, nun wenigstens nicht zu verscherzen!... Ich will alles lernen, sogar geduldig sein, wenn Sie mir liebevoll zur Seite stehen, ich will alles tun, um mich allmählich Ihrer wert zu zeigen, nicht nur zu zeigen, es zu werden, sosehr mir dies überhaupt möglich ist; denn ganz und völlig Ihrer wert ist kein Mann auf Erden – das weiß ich wohl.«
Er sprach abgebrochen, hastig, und Thekla trat einen Schritt zurück, erstaunt, erschrocken über den Sturm heißer Empfindungen, der in ihm zu kämpfen schien. Seine Blicke ruhten auf ihr, beschwörend: Sprich! Antworte mir!... Aber Thekla verstand ihre glühende Sprache nicht, denn sie schwieg. Sie stand da, um einen Ton blässer als gewöhnlich, sie dachte: Das ist peinlich; und als sie die gesenkten Augen erhob, war es nicht zu ihm, der darauf harrte wie auf die Erlösung, sondern zu ihrer Mutter – war es ratlos und hilfesuchend ...
Marianne erhob sich, ging auf Sonnberg zu und legte beschwichtigend die Hand auf seinen Arm.
»Sie sind ein Kind, mein lieber Graf«, sagte sie, »trotz Ihrer dreißig Jahre, trotz ihres großen Verstandes.«
»Ich liebe zum ersten Male, das macht jung in meinem Alter; es macht aber auch weich, nachgiebig und gehorsam ... Ich kenne mich selbst nicht mehr – Sie haben ein Wunder getan, Thekla!« rief er und breitete die Arme aus. Einen Augenblick ruhte ihr Haupt an seiner Brust, im nächsten schon hatte sie sich losgemacht und war zu ihrer Mutter getreten, verwirrt, in großer Bestürzung.
»Thekla!« wiederholte Sonnberg.
Marianne beeilte sich, dem Vorwurf zu begegnen, der auf seinen Lippen schwebte: »Vergessen Sie nicht«, sprach sie, »daß Menschen nur unbewußt Wunder tun. Es beängstigt sie, wenn man ihnen dafür dankt«, setzte sie lächelnd hinzu.
In der Stadt ließ sich's niemand nehmen, daß Paul und Thekla verlobt seien, daß ihr Brautstand nur noch aus irgendeinem unbekannten Grunde nicht deklariert werde. In der Tat brachte Sonnberg täglich einige Stunden im Hause der Gräfin Neumark zu. Er fühlte bald, daß er Fortschritte machte in der Gunst Mariannens, und das beglückte ihn.
Thekla blieb sich immer gleich.
Vom Augenblick an, in welchem er in das Zimmer trat, war sie einzig und allein mit ihm beschäftigt, war freundlich und aufmerksam und widersprach ihm nie; sie gewöhnte sich sogar, Urteile zu wiederholen, die er gefällt hatte. Eine Zeitlang begnügte er sich mit diesem für ihn so schmeichelhaften Begegnen, nach und nach aber begann er hinter all dieser Rücksicht und Fügsamkeit große Kälte zu ahnen. Gräßlich durchblitzte ihn, glückvernichtend, ein Zweifel an Theklas Liebe.
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