Sein ganzes Wesen empörte sich dagegen, und wie einen Gedanken an erlittene Schmach wies Paul ihn von sich.

Aber einige Bitterkeit blieb doch zurück, ein unwiderstehlicher Wunsch, die Geliebte zu reizen, zur Ungeduld zu bringen, den heiteren Gleichmut zu stören, der ihn anfangs entzückt hatte und der ihm jetzt ein Frevel schien an seinen eignen Gefühlen, an der Sehnsucht, die er um sie litt, an der schwer erkämpften Geduld, zu welcher er sich zwang, er, so gewöhnt an freudiges Entgegenkommen, der Mann des raschen Erfolges, der nie gelernt hatte, zu warten und zu werben, dem man niemals nein gesagt, er, Paul Sonnberg!

Als Thekla das nächstemal einer von ihm aufgestellten, sehr unhaltbaren Behauptung nicht widersprach, rief er herausfordernd und herb: »Das ist meine Meinung, sagen Sie jetzt die Ihre!« Sie erhob die großen Augen zu ihm voll bestürzter Verwunderung, senkte dann hocherrötend den Blick und schwieg. Jede Frage, die er noch an sie stellte, beantwortete sie kleinlaut mit ja oder nein, wohl auch – mit ja und nein. Paul blieb während der Dauer seines Besuches unruhig, bitter und ging endlich, von tausend widerstrebenden Empfindungen erfüllt und gequält.

Am folgenden Tage kam er früher als gewöhnlich und fand Thekla allein. Sie saß auf dem Platze ihrer Mutter in dem kleinen braunen Salon, ihre Arbeit im Schoße. Sie hatte sich aber weder mit dieser beschäftigt noch mit dem Buche, das aufgeschlagen neben ihr auf dem Tischchen lag. Sie saß unbeweglich da wie eine Statue, Ebenmaß in jeder Form, Schönheit in jeder Linie. Als Paul eintrat, erhob sie sich und ging ihm entgegen, lächelnd und freundlich wie immer, in ihrer anbetungswürdigen Herrlichkeit. Er hatte die Nacht in schwerem Kampfe durchwacht, seine Heftigkeit verwünscht und schmerzlich bereut. Er erwartete, Thekla verstimmt zu finden, gekränkt über sein gestriges kindisches Gebaren; er meinte sie versöhnen zu müssen, und er wollte es!... Statt dessen begrüßte sie ihn holdselig und unbefangen, als wäre ihr Einvernehmen nicht durch den leisesten Schatten getrübt worden. Sogleich stieg, mit unsäglicher Bitterkeit, die Frage in ihm auf: Hab ich nicht einmal die Macht, ihr weh zu tun? – doch bezwang er sich und sprach ruhig: »Thekla, ich war gestern widerwärtig, unerträglich – können Sie mir verzeihen?«

Sie wurde ein wenig rot, ein wenig verlegen und antwortete hastig wie jemand, der einer unangenehmen Erörterung auszuweichen sucht: »Ich bin ja gar nicht böse gewesen.«

»Verdanke ich diese Nachsicht Ihrer Barmherzigkeit oder Ihrer Gleichgültigkeit? Antworten Sie mir«, setzte er halb flehend, halb herausfordernd hinzu.

»Wie können Sie von Gleichgültigkeit reden«, erwiderte Thekla, »da Sie doch wissen ...« sie hielt inne.

»Ich weiß«, rief er, »daß Sie mir Ihr Jawort gaben, als ich Sie fragte, ob Sie meine Frau werden wollen. Jetzt frage ich Sie, Thekla: Lieben Sie mich?... Sie haben mir Ihre Hand zugesagt, ist Ihr Herz mein? Fühlen Sie, daß kein Mann auf Erden Sie besitzen kann wie ich, das heißt, Sie besitzen mit allen Ihren Gedanken, Regungen und Empfindungen, mit Ihrem ganzen schrankenlosen Vertrauen?... Ist mein Glück das Ziel Ihrer Wünsche, wie wahrlich das Ihre Ziel und Inbegriff der meinen ist ... lieben Sie mich?«

Er hatte die letzten Worte mühsam hervorgestoßen, sie kamen wie ein dumpfer Schrei aus seiner gepreßten Brust. Thekla hielt den Blick nicht aus, der schmerzlich und zornig auf ihr ruhte, bang wandte der ihre sich nach der Tür, durch welche sie hoffte ihre Mutter endlich eintreten zu sehen – niemals hatte sie ihre Mutter so sehnlich herbeigewünscht!...

»Sie kommt«, sagte Paul, ihre stumme Bewegung beantwortend, »beruhigen Sie sich, sie wird gleich hier sein; ihre Anwesenheit wird mich aber nicht hindern, so zu Ihnen zu sprechen, wie ich es tue... Weil ich muß, weil ich soll!« Er ergriff ihre Hand und drückte sie heftig, ohne zu denken, daß er ihr weh tat. Etwas Drohendes klang aus seiner Stimme, wogegen ihr Stolz sich empörte.

Sie zog mit Gewalt und Entrüstung ihre Hand aus der seinen und sagte: »Ich weiß nicht, was Sie wollen.«

»Ich werde es Ihnen sagen!« rief er ausbrechend. »Die Ehrenhaftigkeit des Weibes besteht darin, dem Manne, der um sie freit aus unaussprechlicher Liebe – nein zu antworten, wenn sie diese Liebe nicht erwidern kann... Verstehen Sie mich jetzt?... Wir würden unglücklich sein – beide –, wenn Sie mich nicht liebten. – Weisen Sie mich ab, Thekla, wenn Sie mich nicht lieben!... Weisen Sie mich ab!«

Sie stand vor ihm mit trotzig aufgeworfenen Lippen, bleich und ruhig – noch immer ruhig... Plötzlich aber zuckte es schmerzlich über ihr Gesicht, ihre Augen wurden feucht, und rasch bedeckte sie dieselben mit ihrer Hand. Ach, auf dieser edlen Hand brannten rote Flecken, die Spuren der schonungslosen Finger, die sie eben umklammert hatten; sie erhob sich wund und weh, um Tränen zu verbergen, die er fließen gemacht, der gequälte Quäler, dessen Herz sich bei diesem Anblick wandte und den tiefe Reue ergriff, nagende Scham ... Er fühlte seinen Zorn erlöschen, den letzten Groll verschwinden und seine Liebe steigen, steigen wie eine reine Flamme, sein ganzes Wesen erfüllen und läutern, er fühlte in ihren göttlichen Gluten alles schmelzen, was in ihm an Selbstsucht, Selbstbetrug und Eitelkeit gelebt hatte ... Er trat auf die Geliebte zu, legte den Arm um sie und küßte mit innigster Zärtlichkeit die Hand, die er ihr von den Augen zog.

»Sagen Sie noch ja?« fragte er leise.

Sie nickte schweigend und sah ihn an.

»Sie wissen, daß ich aus Liebe um Sie werbe, und sagen dennoch: ja?«

»Ich sage dennoch ja«, erwiderte sie mit ihrem bezauberndsten Lächeln.

»So gehörst du mir«, flüsterte er ihr zu, »so bin ich dein – und ich bin es ganz... Gebiete! Herrsche!«

Er beugte sich über sie, sein Mund näherte sich dem ihren ... Sie schloß die Augen, sie hätte fliehen mögen – aber sie wagte es nicht ... Er könnte wieder zürnen, wieder sagen: Weisen Sie mich ab, wenn Sie mich nicht lieben! Ihre Lippen erbleichten, zitterten angstvoll unter der Berührung der seinen ...