Eine Sturzwelle füllt sie; sie kentert; man hört einen Schrei; es wird ganz still. Nach einer Weile sieht man das Boot, den Kiel oben, einhertreiben.

Peer Gynt taucht in der Nähe des Bootes auf.

 

PEER GYNT.

Helft! Boot vom Land! Helft, eh's zu spät!

Herr, hilf mir, – wie geschrieben steht!

 

Klammert sich am Kiel des Bootes fest.

 

DER KOCH taucht auf der andern Seite auf.

Mir sind zu Hause Kind und Weib, –

Herr Gott, mach', daß ich leben bleib'!

 

Hält sich am Kiel.

 

PEER GYNT.

Weg!

DER KOCH.

Weg!

PEER GYNT.

Ich schlag'!

DER KOCH.

Ich auch, wenn's not!

PEER GYNT.

Wenn Du nicht gehst, ich tret' Dich tot!

Der Bootsbauch trägt nicht zwei! Laß los!

DER KOCH.

Ich weiß. Fort.

PEER GYNT.

Selbst fort!

DER KOCH.

Komm Du bloß!

 

Sie kämpfen miteinander; der Koch schlägt sich eine Hand lahm; er klammert sich mit der andern fest.

 

PEER GYNT.

Hand weg!

DER KOCH.

Ach, Liebster, – sei doch gut!

Bedenk, wie's einem Vater tut –

PEER GYNT.

So wär's für mich noch größre Pein;

Denn ich soll erst noch Vater sein.

DER KOCH.

Laß los! Du hast gelebt; ich nicht!

PEER GYNT.

Marsch; pack' Dich; sink, – verwünscht Gewicht!

DER KOCH.

In Gottes Namen, räum' das Feld!

Dich mißt kein Mensch auf weiter Welt –

 

Schreit und läßt los.

 

Ich sink' –!

PEER GYNT packt ihn.

Ich halt' Dich fest beim Schopf;

Bet' flugs Dein Vaterunser, Tropf!

DER KOCH.

Ich weiß kein Wort mehr – mir wird nacht – –

PEER GYNT.

Nur schnell die Hauptsach' abgemacht –!

DER KOCH.

Herr, gib uns –

PEER GYNT.

Mach Dir's Herz nicht schwer;

Du kriegst, was nötig noch zur Zehr.

DER KOCH.

Herr, gib uns unser –

PEER GYNT.

Immer noch?

Man merkt's, Du warst Dein Lebtag Koch.

 

Läßt ihn fahren.

 

DER KOCH versinkend.

Uns unser täglich –

 

Geht unter.

 

PEER GYNT.

Amen, Mann!

Du warst und bliebst Du selbst. – Wohlan!

 

Schwingt sich auf den Bauch des Bootes hinauf.

 

Wo Leben ist, darf Hoffnung sein –

DER FREMDE PASSAGIER legt die Hand aufs Boot.

Gutmorgen!

PEER GYNT.

Hui!

DER PASSAGIER.

Ich hörte schrein; –

Es war doch hübsch, daß ich Sie fand.

Nun? Hatt' ich vorhin recht erkannt?

PEER GYNT.

Fort! Fort! Ich hab' kaum Platz allein!

DER PASSAGIER.

Ich rudre mit dem linken Bein.

Ich schwimme, wenn ich bloß die Spitze

Des Fingers halt' hier in der Ritze.

Ich komm' betreffs des Leichnams –

PEER GYNT.

Still!

DER PASSAGIER.

Da es nun doch zu End' gehn will –

PEER GYNT.

Mund halten!

DER PASSAGIER.

Wie Sie wünschen, Herr.

 

Stillschweigen.

 

PEER GYNT.

Nun, und –?

DER PASSAGIER.

Ich schweig.

PEER GYNT.

Entsetzlicher! –

Was woll'n Sie?

DER PASSAGIER.

Warten.

PEER GYNT rauft sich das Haar.

Das ist doch –!

Was sind Sie, Herr?

DER PASSAGIER nickt.

Ihr Freund!

PEER GYNT.

Was noch?

DER PASSAGIER.

Wie, Herr? Erinnr' ich in der Tat an

Nichts Ähnliches?

PEER GYNT.

Ich weiß den Satan –

DER PASSAGIER leise.

Hat er den Brauch, ein Licht zu zünden

Dicht an des Lebens finstern Gründen?

PEER GYNT.

Am End' wird alle Furcht zu nichts, –

Und Sie sind gar ein Geist des Lichts?

DER PASSAGIER.

Freund, – hat jed' Halbjahr Sie bloß einmal

Gebrannt der Angst verzehrend Peinmal?

PEER GYNT.

Furcht fühlt man wohl, wann Schrecken toben; –

Allein wie klingt Ihr Wort verschroben – –

DER PASSAGIER.

Fiel Ihnen einmal bloß im Leben

Der Sieg zu, der in Angst gegeben?

PEER GYNT blickt ihn an.

Wenn Sie mich retten wollten, nun,

So konnten Sie dies früher tun.

Kein Witz, zu wählen seine Stunde,

Wenn einem 's Meer steht bis zum Munde!

DER PASSAGIER.

Sie glauben eher an ein Siegen,

Wann warm Sie hinterm Ofen liegen?

PEER GYNT.

Gut, gut; – jedoch Sie trieben Possen.

Dadurch ward noch kein Herz erschlossen.

DER PASSAGIER.

Wo ich her bin, in jenem Reich,

Gilt Pathos und Gelächter gleich.

PEER GYNT.

Ein jegliches in seinem Falle;

Eins, heißt es, schickt sich nicht für alle.

DER PASSAGIER.

Die schlafen in den Aschenurnen,

Gehn wochentags nicht auf Kothurnen.

PEER GYNT.

Weich von mir, Scheusal! Weg die Hand!

Ich will nicht sterben! Will an Land!

DER PASSAGIER.

Getrost, mein Freund! Ich habe Takt; –

Man stirbt nicht mitten im fünften Akt.

 

Gleitet hinweg.

 

PEER GYNT.

Da kam's heraus, trotz aller List! –

Er war ein öder Moralist.

 

Ein Kirchhof in einem hochliegenden Gebirgssprengel.

Ein Leichenbegängnis. Pfarrer und Gemeinde. Der letzte Vers des Liedes wird gesungen. Peer Gynt kommt des Wegs.

 

PEER GYNT an der Pforte.

Hier legen sie wohl einen Landsmann hin.

Gott Lob und Dank, daß ich's nicht bin.

 

Tritt ein.

 

DER PFARRER spricht am Grabe.

Und nun, da seine Seele lichtwärts fliegt,

Und leer sein Leib gleich einer Hülse liegt,

Nun, liebe Freunde, sei davon gehandelt,

Wie dieser Tote unter uns gewandelt.

Er war nicht reich, nicht sonderlich von Gaben,

Von Stimme schwach, unmännlich im Gehaben,

Sein Wort kam weich und ungewiß heraus,

Und schwerlich war er Herr im eignen Haus;

Ins Kirchlein sah man ihn verlegen treten,

Als wollt' er bitten: Laßt auch mich hier beten.

Vom Gudbrandstal, Ihr wißt, war er gekommen.

Er zog hier zu, beinahe noch ein Knab'; –

Und Ihr besinnt Euch, daß er bis ans Grab

Die rechte Hand nicht aus dem Rock genommen.

Die rechte Hand im Rock, – dies Merkmal war es,

Das diesen Mann von andern unterschied,

Und dazu sein gedrücktes, sonderbares

Benehmen, wenn er uns einmal nicht mied.

Doch waren's stille Weg' auch, die er wählte,

Und blieb er auch in unsrer Mitte fremd,

So hat's uns doch zu wissen nicht gehemmt,

Daß diese Hand nur vier der Finger zählte.

Ich weiß ihn noch, vor nun so manchem Jahr,

Den Morgen des Aushebungstags zu Lunde.

Es war zur Zeit des Kriegs. In aller Munde

Der Zukunft Fragen und des Lands Gefahr.

Ich war zugegen. Vor dem Tisch saß breit

Der Hauptmann zwischen Amtmann und Sergeanten;

Und Bursch auf Bursche ward nach dem bekannten

Gebrauch geprüft, gebucht und eingereiht.

Der Raum war voll, und draußen vor den Scheiben

Scholl lautes Lachen aus dem Jugendtreiben.

Da rief man einen Namen. Einer trat

Hervor, so bleich, wie Schnee vom Gletschergrat.

Man winkte ihm; bis er zum Tisch sich tappte,

Die rechte Hand gewickelt in ein Tuch; –

Doch wie er auch nach Worten würgte, schnappte, –

Er fand nicht eines, trotz des Hauptmanns Fluch.

Bis er zuletzt, mit brennendem Gesichte,

Halb stammelt', halb hervorstieß die Geschichte

Von einer Sichel, die ihm sei entglitten –

Und ihm den Finger glatt hab' abgeschnitten.

Da ward es still – bis auf der Wanduhr Ticken.

Man kniff den Mund zu, sah sich ins Gesicht;

Man steinigte den Mann mit stummen Blicken.

Er fühlte hageln, doch er sah es nicht.

Da stand der Hauptmann auf, alt, grau, – ich seh'

Ihn noch, – spie aus, wies fort und sagte: Geh!

Er ging. Man wich ihm aus, wie einem Schatten,

Und ließ ihn Ruten laufen. Er gewann

Die Tür; da hüb er blind zu rennen an; –

Und nun – hinauf durch Wälder, über Matten,

Hin über Halden, Hänge, Felsgeschütte – –.

Weit droben im Gebirg lag seine Hütte. –

Ein Halbjahr später war's dann, daß er kam,

Mit Mutter, Braut und Kind, der unsre werden.

Er pachtete sich hier ein Streiflein Erden,

Ein Stückchen Brachmark, das sonst keiner nahm.

Er schloß, sobald es ging, den Ehebund,

Er schritt zum Hausbau, brach den harten Grund;

Und mit Erfolg, wie manches Fleckchen Land

Erzählte, das da gelb in Ähren stand.

Zur Kirche kam er nur, die Hand verborgen, –

Allein daheim, wo's keiner mochte sehn,

Da schafften die neun Finger wohl für zehn. –

Da kam der Bach an einem Frühlingsmorgen.

Sein nacktes Leben rettete das Völkchen.

Er aber ging von neuem an sein Werk.

Es fiel das Laub, und aber stiegen Wölkchen

Aus einer Hütte, dicht nun unterm Berg.

Vorm Bach geschützt, – doch auch vor Schneegewehe?

Zwei Jahre später lag sie unterm Schneee.

Allein der Mann stritt weiter, unerschrocken.

Er hackte, karrte, schaufelte, grub aus, –

Und vor des nächsten Winters ersten Flocken

Stand da zum dritten Mal sein schlichtes Haus.

Drei Söhne hatte er, drei flinke Jungen;

Zur Schule sollten die, und das war weit; –

Der Anschluß an den Weg zudem bedungen

Durch einen Felsenschacht, kaum mannesbreit.

Wie half er sich! Der ältste mußt' sich placken,

So gut es ging, und wo der Steig zu steil,

Da nahm der Mann den Kletternden ans Seil;

Die andern trug er hin auf Arm und Nacken.

So stritt er Jahr um Jahr; sie wurden groß.

Verschönte nun ihr Dank des Vaters Los?

Drei reiche Herren in der Welt, der neuen,

Vergaßen bald der Heimat und des Treuen.

Er war von kurzem Blick. Was über seinen

Bezirk ging, – von dem allen sah er nichts.

Wie taube Schellen klang ihm, was für einen

Der Unsern dröhnt wie Glocken des Gerichts.

Volk, Vaterland, uraltgeheiligt Hehres,

Stand wie im Nebel vor ihm, – Blendwerk, leeres.

Doch Demut, Demut war in diesem Mann;

Seit damals trug er schon an seinem Bann,

So wahr als Scham auf seiner Wange brannte

Und seine Finger in die Tasche bannte. –

Ein Brecher des Gesetzes? Mag es sein!

Doch etwas leuchtet über dem Gesetze,

Wie dort des Berghaupts starrend Felsgestein

Noch überkrönen lichte Wolkennetze.

Ein schlechter Bürger war er. Unfruchtbar

Für Staat und Kirche. Doch am Berg da droben,

Wo er im engsten Kreis sein Glück gewoben,

Dort war er groß, weil er er selber war; –

Weil der ihm eingeborne Klang nie schwieg;

Ein Klang, wie Geigen seufzen unterm Dämpfer.

Und darum Friede Dir, Du stiller Kämpfer,

Den schuf und brach des Bauern kleiner Krieg!

Wir wollen Herz und Nieren nicht ergründen;

Gott ziemt's allein, das letzte Licht zu zünden; –

Doch dies ist meiner Hoffnung Stern und Kern:

Der Mann steht kaum als Krüppel vor dem Herrn!

 

Das Leichengefolge trennt sich voneinander und geht. Peer Gynt bleibt allein zurück.

 

PEER GYNT.

Sieh da, das nenn' ich noch Christentum!

Da war nichts, was einen peinlich berührte; –

Zumal dem: »Du selbst zu sein, sei dein Ruhm«,

Zu dem am Schlusse die Predigt führte,

Auch an und für sich alles Lob gebührte.

 

Blickt in das offene Grab.

 

War's vielleicht er, der sich damals entstellte,

Als ich im Forst war und Bäume fällte?

Wer weiß es? Ständ' ich nicht mit meinem Stab

Hier an dieses Geistesverwandten Grab,

So könnt' ich denken, ich selbst läge dort

Und hörte des Geistlichen rühmend Wort

Fürwahr, ein schöner christlicher Brauch,

Einen sogenannten Erinnerungsblick

Wohlwollend über ein Leben zu werfen;

Ich hörte gar gern einst auch mein Geschick

Jenen würdigen Hirten dem Volk einschärfen.

Ich tue ja wohl noch so manchen Hauch,

Bis auch mich einst schneidet des Winzers Messer, –

Doch, wie die Schrift sagt: Besser ist besser, –

Und desgleichen: Alles zu seiner Zeit, –

Und endlich: Sorg' für ein ehrlich Begräbnis! –

Ja, die Kirche hat stets einen Trost bereit.

Ich schätzt' sie zu wenig vor diesem Begebnis;

Nun aber fühlt' ich denn doch, wie es tat,

Versichern zu hören von Männern, gelernten:

So wie du gesät hast, so wirst du ernten. –

Man selbst soll man sein, und sich und dem Seinen

In allem nachgehn, im großen und im kleinen.

Will 's Glück sich nicht fügen, so bleibt doch die Ehre,

Daß einer sein Leben geführt nach der Lehre. –

Und nun heim! Steigt der Weg noch so schmal auch und steil,

Und gibt sich das Schicksal auch noch so gefährlich, –

Der alte Peer Gynt kennt sein Sträßlein zum Heil

Und bleibt, der er ist: arm, aber ehrlich.

 

Ab.

Abhang mit dem ausgetrockneten Bett eines Baches.

Eine zusammengestürzte Mühle am Bache. Der Grund aufgerissen; Zeichen der Zerstörung ringsum. Höher oben ein großer Bauernhof.

Oben vor dem Hofe wird eine Versteigerung abgehalten. Viel Volk ist versammelt. Zechen und Gelärm. Peer Gynt sitzt unten auf einem Schutthügel in der Nähe der Mühle.

 

PEER GYNT.

Hin und zurück, 's ist der gleiche Weg;

Hinaus und hinein, 's ist der gleiche Steg. –

Die Zeit, sie zehrt, und der Bach verdorrt.

Geh drum herum, sprach der Krumme.