Richard Wood
Schopenhauer, Johanna
Richard Wood
Johanna Schopenhauer
Richard Wood
Roman
Die Zeit ist aus den Fugen: Schmach und Gram,
Daß ich zur Welt, sie einzurichten, kam!
Hamlet.
Erster Theil
Der Winter war, gegen Ende des Märzmonats, nach kurzem Scheiden, mit verdoppeltem Inngrimm wiedergekehrt; gewaltige Eiszapfen schwebten von allen Dächern herab, und flimmerten im klaren kalten Mondenlicht, kristallnen Girandolen vergleichbar. Der alles überkleidende Schnee blitzte, wie mit Diamanten übersäet, unter dem knisternden Fußtritt einzelner Wanderer, die, Pelz, Bart und Haar mit Reif bepudert, ihrer Wohnung zueilten. Öde und vereinsamt lagen Moskaus sonst so lebensreiche Straßen wie ausgestorben da, denn Menschen und Thiere drängten, von grimmiger Kälte getrieben, im Innern der Gebäude, zwischen den wärmenden vier Wänden sich zusammen, die Keiner verließ, den Nothwendigkeit nicht hinaustrieb.
In der Vorhalle der großen, aus der Asche wieder aufgestiegenen Kaserne, welche zur Militairschule gehört, standen indessen dennoch zwei junge Männer, ohne die große Kälte anscheinend zu bemerken, in eifrigem Gespräch lange bei einander. Der eine derselben, vom Kopfe bis zum Fuß in reiche Pelze gehüllt, vermochte zwar wohl der rauhen Winterluft Trotz zu bieten, doch nicht so der Andere, eine jugendlich zarte schlanke Gestalt, in der leichten Uniform der Lanzenreiter vom Bug; und doch war es gerade dieser, der, als ob er die Kälte gar nicht empfände, seinen wohl bepelzten Freund festhielt, und immer wieder – und immer fester an die Brust drückte.
Nun, so gehe denn, weil es nicht anders sein kann! sprach er endlich, indem er sich nicht ohne Anstrengung zusammennahm: mein Freund, mein Bruder, mein Eugen! gehe zurück zu den Deinen, zurück zum Palast Deines Vaters! gehe, aber verlaß mich nicht ganz. Reiche mir zuweilen die Freundeshand über die Kluft hin, welche der heutige Abend zwischen uns öffnet, – damit ich nicht ganz verstoßen mich fühle! setzte er, unwillkürlich sehr weich werdend, hinzu; und wandte unmuthig sich ab, vielleicht um eine aufsteigende Thräne in seinem Auge zu verbergen.
Eugen trat ein Paar Schritte zurück und sah ernst und forschend ihm ins Gesicht. Du bist krank! rief er, gewiß Richard, Du bist wieder krank, denn mit gesunden fünf Sinnen kannst Du auf solche ganz absurde Gedanken nicht verfallen. Nun, so steige nur gleich in den Schlitten, und fahre mit mir wieder nach Hause; ich will es bei Deinem Rittmeister schon verantworten.
Mein Gemüth, meine Seele sind voll trüber Gedanken und Trennungsweh', doch körperlich krank bin ich nicht: erwiederte Richard, wehmüthig lächelnd.
Ob Du wunderlich bist! rief Eugen; warum geberdest Du Dich denn so? spricht der Mensch nicht von Kluft! von Verlassensein! von lauter Jammer und Noth, als ob Gott weiß was für ein großes Unheil über ihn hereingebrochen wäre! Kannst Du denn wirklich befürchten, weil Du in der Kaserne jetzt wohnst und nicht mehr bei uns, würde Dir es an irgend etwas mangeln? recht wie ein Muttersöhnchen, das von Mama weg auf die Hochschule soll, und nun meint es wäre aus mit allem irdischen Glück.
Für solch ein Jammerbild wirst Du mich doch nicht halten, rief Richard bitter lächelnd.
Freilich nicht, erwiederte ebenfalls lachend Eugen, aber, nimm's nicht übel, seit einer Stunde ist dieses das erste vernünftige Wort, das ich von Dir höre. Soll ich Dich abermals daran erinnern, daß Keiner dieser Prüfungszeit, die Du jetzt antrittst, beim Anfange seiner militairischen Carrière sich entziehen kann? und auch daß es Mittel giebt, sie in gewissen Fällen sehr abzukürzen? Du kennst meinen Vater, an seiner herzlichen Liebe zu Dir kannst Du nicht zweifeln, also – fasse Muth, sei vernünftig und hoffe das Beste.
Ein schwerer Seufzer, der hörbar den tiefsten Tiefen seiner Brust sich entwand, war Richards Antwort. Eugen sah zweifelnd ihn an, und blieb still und gedankenvoll vor ihm stehen.
Richard, sprach er nach kurzem Schweigen sehr sanft, beinahe verlegen, es muß heraus, was ich auf dem Herzen habe; bereuest Du gerade diese Bahn zu Deinem ferneren Fortkommen Dir erwählt zu haben? Ist dem so, wie eine leise Ahnung in meiner Seele behaupten will? Warum solltest Du Dich scheuen, es Deinem Freunde schnell und offen zu gestehen. Es war Deine eigne Wahl, Niemand hat versucht sie leiten zu wollen. Aber in der Ferne sehen die Dinge anders aus als in der Nähe, und man mißversteht oft sich selbst und das eigne Herz.
Nein, nein, und Tausendmal nein! rief Richard mit großer Heftigkeit; ich bin kein wankelmüthiger Knabe, kein schwankendes Rohr. Ich habe alles wohl durchdacht, geprüft, überlegt, als ich den einzigen Weg einschlug, der mir, dem Namenlosen, dem Armen, eine entfernte Möglichkeit bot, ihn dem hohen Fürstenhause einigermaßen zu nähern, dem Du, dem die Deinen angehören, zu dem auch ich einst durch meine seltsame Stellung verleitet – –. Ach! laß jene qualvollen Tage mich vergessen! Laß mich hoffen, Zeit und Glück werden mir günstig sein. Und wahrlich, fuhr er, sich plötzlich hochaufrichtend, mit warmer Begeisterung fort: wahrlich, stellt sich mir die Gelegenheit, stellt sie sich mir, in welcher Gestalt es sei, ich werde nicht schwachmüthig sie mir entschlüpfen lassen. Bei der Stirnlocke will ich die Flüchtige schon zu fassen und zu halten wissen. Ich erreiche das Ziel, das ich mir gesetzt, oder gehe unter im Streben danach.
Bravo! bravo! so ist es Recht, so gefällst Du mir; erwiederte Eugen und schüttelte ihm kräftig die Hand. In kurzen flüchtigen Worten ermahnte er ihn nochmals, so guten Muthes zu beharren; erinnerte, daß er Morgen zur Mittagstafel erwartet werde, um selbst zu berichten wie seine neue Wohnung ihm gefalle, und daß Helene fest darauf rechne, noch vorher die gewohnte musikalische Übungsstunde mit ihm zu halten. Dann warf Eugen sich in den schon längst seiner harrenden Schlitten, und jagte wie auf Sturmesflügeln davon.
Richard starrte in die kalte schweigsame Mondnacht hinein, bis seinem Auge die flüchtige Freundesgestalt entschwunden, und auch der letzte Ton des silbernen Schellengeläutes verhallt war. Dann wandte er sich, und stieg langsam die zu seinem Zimmer führende Treppe hinan.
Auf alles, was in demselben zu seiner Bequemlichkeit beitragen konnte, war mit liebender Sorgfalt Rücksicht genommen. Zwischen Schlaf und Wachen harrte im Vorsaal der alte Paul seiner Befehle, ein treuer Diener, der schon seiner Kindheit gepflegt hatte, und ihm jetzt zur Bedienung zugegeben worden war. Vom großen Ofen ging eine überall gleichverbreitete wohlthätige Wärme aus, wohlverwahrte Doppelfenster hielten das Eindringen der rauhen Winterluft ab, und ein dicker Teppich deckte den Fußboden. Auch fehlte es weder an einem mit seinen Lieblingsschriftstellern wohl besetzten Bücherschranke, noch an einem bequemen Schreibtische.
Richard wollte der thätigen Theilnahme sich freuen, mit der hier für ihn, den dunkeln Fremdling, gesorgt worden war; aber das sonst so warme, jedem frohen Gefühl offne Herz lag für jetzt wie todt und erstarrt ihm in der Brust. Mit einer gewissen Ängstlichkeit suchte er nach irgend etwas, das ihn lebhaft genug anregen könne, um die innere Trostlosigkeit zu bekämpfen, die immer mächtiger werdend, sich seiner ganz zu bemeistern drohte; da fiel in einer etwas dunkeln Ecke des Zimmers eine schön gearbeitete Schatulle ihm auf, die er bis dahin übersehen, und zugleich erinnerte er sich eines Schlüssels, den Eugen, ehe er von ihm ging, ihm übergeben und zu sichrer Aufbewahrung anempfohlen hatte.
Unbeschreiblich freudig überrascht, erkannte er in dem zierlichen Behältniß ein sonst hochgehaltenes Eigenthum der Fürstin Eudoxia, der Mutter Eugens. Es war das Meisterstück eines jungen Ebenisten, der unter dem Schutze ihres Gemahls sich kürzlich in Moskau niedergelassen hatte; ein Kästchen von Ebenholz, mit einem gleich Diamanten blitzenden stählernen Netze überzogen. Aus jedem der hellpolirten Stahlplättchen leuchtete, wie aus so vielen freundlichen Augen, ein Strahl jener sonnenhellen Tage seiner Jugendzeit ihm entgegen, die er in banger Vorahnung mit dem heutigen geschlossen gewähnt, und eine Thräne der reinsten gefühltesten Freude umdunkelte sein Auge, als er vor dem Inhalte des Kästchens stand, beinahe laut aufjauchzend, wie ein glückliches Kind vor der unerwartet reichen Weihnachtsbescheerung.
Im kleinen Raum lag hier seine ganze glückliche Knaben- und Jünglingszeit ausgebreitet vor ihm; von den mit mühseliger Künstlichkeit aus Rennthierknochen geschnitzten Figürchen der Lappländer an, die er einst als vortreffliche Meisterstücke bewundert hatte, bis zu den glänzenden Terzerolen des Fürsten Alexis, Eugens älterem Bruder, zu denen er oft in kindischer Sehnsucht seufzend hinaufgeblickt, und dem prächtigen, mit Rubinen und Smaragden besetzten Türkendolch, sonst Eugens liebstes Eigenthum, das ohne seine Erlaubniß Niemand zu berühren, kaum anzublicken wagte. Dicht daneben kauerten auch die kleinen glattköpfigen Chinesen von Speckstein in einer Ecke beisammen, die viele Jahre lang auf einem Ecktischchen im Zimmer der Fürstin Eudoxia ihren Platz gehabt hatten, und wurden von ihm als kleine stumme Gesellen seiner glücklichsten Stunden mit einer Art von Rührung begrüßt. Denn nur wenn er ganz ausgezeichnet folgsam und fleißig gewesen war, wurde es ihm erlaubt, zu den Füßen seiner hohen Pflegemutter damit zu spielen.
Nichts von Allem fehlte, was in früher Jugend ihm besonders werth oder bedeutend erschienen. Da war die eigne Uhr des väterlichen Beschützers seiner Kindheit, des Fürsten Andreas; wie oft hatte dieser sie geöffnet, um dem auf seinem Knie sich schaukelnden Knaben das feine innere Räderwerk derselben bewundern zu lassen! Auch das einfache Taschenbuch, das er täglich in dessen Händen gesehen; Richard war in diesem Augenblicke zu bewegt, um den reichen Inhalt desselben zu bemerken. Da war auch noch eine kunstreiche Stickerei von den eignen Händen der Fürstin Eudoxia, eine von der Fürstin Natalie, der ältesten Tochter jenes edlen Paares, gezeichnete Landschaft, ein silberner Becher vom Fürsten Konstantin, ihrem verlobten Bräutigam; Richard hatte einst bei diesem den Becher gesehen, und die schöne getriebene Arbeit daran bewundert.
Sogar keines der entfernteren Mitglieder der Familie hatte sich davon ausgeschlossen, ihn, der so lange in ihrer Mitte gelebt hatte, durch ein Andenken an vergangne Tage zu erfreuen. Der Tisch war bald mit einer Menge jener eben so zierlichen, als größtentheils unbrauchbaren kleinen Geräthschaften aus Bronze und Vermeille bedeckt; glänzendes Spielzeug für große Kinder, das die Mode überall, besonders aber in Rußland eingeführt hat.
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