In seinem Wesen liegt etwas, das ihm das Ansehen eines Mannes von Stande giebt.
Das ist er aber auch, fiel Iwan, froh dem Gespräche eine andere Wendung geben zu können, hastig ein; sie nennen ihn alle Herr Baron, seinen Namen habe ich aber noch nicht erfahren können.
Sei er was und wer er wolle, sprach Richard sehr unmuthig, er ist mir tief in der Seele zuwider. Was man eigentlich häßlich nennen könnte ist er nicht, aber sein versteinertes Gesicht sieht wie der verödete Wahlplatz aller nur möglichen gehässigen Leidenschaften aus, die jemals eine enge Menschenbrust durchtobten. Nimm dazu den gleißenden Heuchlerschein, mit dem er seine innere Verworfenheit zu überkleistern strebt; recht wie ein getünchtes Grab, von außen Schaumgold, von innen Greuel der Verwesung. Dich in seiner Nähe zu sehen, kann ich nun einmal gar nicht ertragen.
Still! denk' an das Sprichwort vom Wolf; wenn nicht alles mich täuscht, biegt er dort, zwanzig Schritte vor uns, um die Ecke, flüsterte Iwan, und strengte seine, durch das frühere Leben im Gebirge mit der Schärfe eines Wilden begabten Augen und Ohren an, um die neblige Dämmerung die vor ihm lag zu durchdringen. Richard sah nur undeutliche Umrisse einer vor ihnen sich bewegenden Gestalt. Ich höre seine Stimme, ich höre auch eine weibliche klagende; schnell, da müssen wir hin, rief Iwan plötzlich, und riß seinen Freund im Sturmschritt mit sich vorwärts.
Sie erreichten in wenig Secunden eine seltsame Gruppe; eine schlanke, jugendliche, in Mantel und Schleier sittsam verhüllte Gestalt, eine kurze, dicke, theatralisch bunt aufgeputzte ältliche Frau von durchaus nicht einladendem Äußern, und neben ihnen den eben besprochenen Baron, der eben hinzutrat. Das Mädchen zitterte in sichtbarer Angst, die Alte keifte, der Baron suchte mit einschmeichelnder Rede das Mädchen zu beruhigen.
Ich danke Ihnen sehr, gewiß ich bin Ihnen recht dankbar, liebe Madame, sprach es fast weinend in gebrochnem Russisch; aber lassen Sie sich erbitten, und nennen mir endlich den Namen der Straße, wohin ich will und Sie die Güte haben wollen, mich zu führen; ich habe ihn zwar vergessen, aber ich besinne mich gleich wieder darauf, wenn ich ihn höre; es ist nur, damit ich gewiß weiß, daß Sie sich nicht vergebliche Mühe mit mir machen.
Was für Umstände! was denken Sie denn, wofür halten Sie mich? meinen Sie ich hätte Zeit und Lust, stundenlang hier mit Ihnen zu verweilen? erwiederte mit harter keifender Stimme die Alte. Wenn ich Ihnen nun sage, Herr Lange ist mein guter Bekannter und nächster Nachbar, ist das nicht genug? Kurz und gut, Jungfer, entweder Sie gehen mit mir, oder Sie bleiben hier allein, mitten unter dem betrunkenen Volke, das gleich hier aus den Branntweinskneipen herauskommen wird.
Frau Marina ist heftig, aber grundgut, sie ist meine alte Freundin, und Sie können sich ihr sicher anvertrauen, nahm jetzt der Baron das Wort.
Ach, ich fürchte mich so! seufzte das Mädchen.
Aber wovor? fragte der Baron, der erst seit ein paar Minuten den beiden sich zugesellt hatte; ich höre an Ihrem Dialekte, daß Sie eine Deutsche sind, und so bitte ich Sie, vertrauen Sie dem Worte eines Landsmannes Sie sind unter Freunden, fuhr er in deutscher Sprache fort, die gute. Frau wird Sie sicher führen. Ich selbst will sie beide begleiten, setzte er in russischer Sprache hinzu, der Weg ist zwar ein wenig weit, aber wir treffen wohl bald einen Wagen –
Ach, mein Herr, weit von hier kann es nicht sein, das ist nicht möglich, unterbrach ihn das Mädchen; ich habe mich verirrt, und kann mich allein nicht wieder zurecht finden, aber ich bin gar nicht lange gegangen; weit von Hause bin ich gewiß nicht.
Wenn man in der Angst vorwärts läuft, zählt man weder Schritte noch Minuten, erwiederte der Baron, daher nehmen Sie nur ganz unbesorgt den Arm an, den die gute Frau Marina Ihnen bietet, und lassen Sie uns machen, daß wir fort kommen.
Zwar unter Zittern und Zagen, aber doch hingerissen von dem vaterländischen Laute, war das Mädchen wirklich schon mehr als halb entschlossen, diesem Rathe zu folgen, als Iwan plötzlich dazwischen trat.
Halt! rief er; auch ich kenne die gute Frau Marina, wenn gleich nur dem Rufe nach; doch das ist genug, um nimmer zugeben zu können, daß eine junge Dame, wie Sie, mit ihr geht. Hier steht mein Kamerad, wir beide sind bereit Sie hinzuführen, wohin Sie wollen, aber mit der da, wenn Ehre und – –
Wahrhaftig ein paar treffliche Begleiter, die sich Ihnen so ganz unverhofft anbieten, schrie die Alte laut auflachend: nun Jüngferchen, Glück zu, wenn Sie etwa lieber bei Nacht und Nebel mit ein paar jungen Militärs die Stadt durchziehen wollen, als mit einer ehrbaren Frau gehen – –
So bin ich wenigstens noch da, um mich meiner Landsmännin anzunehmen, und werde solch einen Scandal nimmermehr zugeben, rief der Baron, und trat auf die beiden Freunde zu, während das geängstete Mädchen jetzt wirklich anfing laut zu weinen. Wie, Ihr Herren, was unterfangt Ihr Euch, fuhr er fort, eine junge Dame auf öffentlicher Straße – wißt Ihr wohl wer und was – –
Was giebt es hier? Worüber weint die junge Person? erscholl plötzlich eine wohltönende, gebietende Stimme. Ein großer, in Mantel und Hut tief verhüllter Mann, der schon lange in einiger Entfernung den beiden Freunden gefolgt war, und wahrscheinlich ihr Gespräch, wenigstens zum Theil mit angehört hatte, stand mitten unter ihnen; alles schwieg, betroffen von der eben so unerwarteten, als imposanten Erscheinung.
Sagen Sie mir, was Sie so traurig macht, Mademoiselle? vielleicht kann ich helfen, wiederholte mild aber ernst der Unbekannte. Wer sind Sie, wie heißen Sie? fragte er nochmals, als er von dem erschrockenen Mädchen keine Antwort erhielt.
Ach ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich bin hier fremd, und habe in der großen Stadt mich verloren, schluchzte das Mädchen besinnungslos.
Nun wie Sie heißen, und bei wem Sie wohnen, werden Sie doch wissen; denken Sie nur ein wenig nach, erwiederte der Unbekannte mit einem gewissen Tone der Stimme, der deutlich verrieth, daß es ihm schwer werde, das Lachen zu unterdrücken.
Mittlerweile war das furchtsame Kind doch wieder zu einiger Fassung gelangt. Ich heiße Julie Reinert, sprach sie rasch und ängstlich hinter einander weg; ich habe keine Eltern, mein Vormund hat mich von Königsberg hieher zu seinem Bruder, dem Musiker Lange geschickt; ich bin erst seit vier Tagen hier; ich habe die Schwester der Frau Lange besucht, und habe auf dem Rückwege mich verirrt.
Also bei dem Pianofortisten Lange wohnen Sie? erwiederte der Unbekannte sehr freundlich; ich kenne ihn, und auch seine Frau; sie war früher eine sehr beliebte Sängerin bei unserm deutschen Theater. Fassen Sie Muth, mein Kind, Sie sind bei braven Leuten. Aber was hatten denn Sie, Madame, mit diesem jungen Frauenzimmer zu streiten? fragte er im Verhör fortfahrend, und wollte an Frau Marina sich wenden, doch die Stelle, wo diese gestanden, war leer, sie sowohl als der Baron waren mittlerweile unbemerkt verschwunden. Hatte der Wind das edle Paar durch die Lüfte fortgeführt? hatte die Erde es verschlungen? keine Spur davon war weder hörbar noch sichtbar.
Sonderbar! sprach der Unbekannte vor sich hin; es waren ihrer zwei, wo sind sie hin? kannten Sie diese Leute? und wer waren sie? fragte er, an den ihm zunächst stehenden Richard sich wendend.
Nur von Ansehen, versicherte dieser in seinem und seines Freundes Namen.
Es lag in der Gestalt, im Wesen, in der Sprache des Unbekannten etwas seltsam Überwältigendes, Ehrfurcht und Gehorsam Gebietendes, dem weder Richard noch Iwan zu widerstehen vermochten. Offen und wahr gaben beide ihm alle Auskunft über sich selbst, die er verlangte. Auch Julie Reinert wurde ruhiger, als fühle sie sich unter der Obhut eines mächtigen, ihr wohlwollenden Beschützers. Auf seinen Befehl überließ sie sich ohne Weigerung der Führung der beiden jungen Männer, denen er den Weg zu der wirklich nicht sehr entfernten Wohnung des Musikers Lange deutlich beschrieb. Noch heute werde ich mich erkundigen lassen, ob das Ihrem Schutze empfohlene Frauenzimmer sicher zu Hause gekommen ist; übrigens sind auch Ihre beiden Namen mir nicht fremd, rief er beim Fortgehen mit ernstem Nachdruck den Freunden noch zu, und war nach wenig Augenblicken den ihm nachschauenden Augen, in der schon zur Nacht sich verdickenden nebelhaften Dämmerung verschwunden.
Still und schweigend gingen alle Drei raschen Schrittes den ihnen angedeuteten Weg, und gelangten, ehe sie es vermutheten, aus dem verworrenen Labyrinthe der engen Gäßchen in eine der breiten, hell erleuchteten und volkreich belebten Straßen von Petersburg, ganz nahe an Herrn Langes Wohnung.
Ist mir doch als hätte ich lebendigen Leibes, mit weit offenen Augen, ein Mährchen erlebt, wie man sie sonst wohl auf dem Theater nur aufführen sieht, fing Iwan jetzt an. War es doch als stünde ein mächtiger Zauberer vor uns, dem wir gehorchen und Rede stehen mußten, wie er es verlangte. Und wo sind nur der Baron und die saubre Frau Marina hingekommen? Begreifst Du etwas von dem Allen, Richy? Du bist doch sonst immer viel verständiger als ich.
Es wäre gewiß verzeihlich, wenn man sich hier verleitet fühlte, an eine überirdische Erscheinung zu glauben, die der Unschuld sich annimmt, und böse Geister verscheucht. Wer kann dieser Unbegreifliche sein? erwiederte Richard nachdenklich.
Mein schützender Engel in Menschengestalt! frohlockte Julie Reinert, die, seit sie jenes Gewinde enger Gäßchen hinter sich gelassen hatten, ganz getrost worden war. Ein kleiner, in Mütze und Pelz wohl verwahrter, mit einem keulenartigen Stocke und einem Regenschirme wohl bewaffneter Mann, trat in diesem Augenblicke ganz keck auf sie zu; Julie, sobald sie ihn gewahrte, warf mit einem Freudensprunge sich ihm in die Arme, so daß der Kleine Stock und Regenschirm darüber fallen lassen mußte.
Bist Du es? bist Du es auch ganz gewiß? rief er auf deutsch, und zog sie vorwärts, um beim Schein einer Straßenlaterne sie besser zu betrachten. Ja Du bist es, Du desertirter Kanarienvogel, herein mit Dir in Deinen Käfig; ob Du uns Noth gemacht hast, Du malitiöse Person! Jetzt eben jagte Frau Karoline mich zum Hause hinaus, ohne Dich soll ich ihr nicht wieder vor die Augen kommen. Aber ist das auch eine Art? bis in die sinkende Nacht, so ganz allein – aber wo ist mein Schirm und mein Stock – ei da sind ja auch ein paar Herren, also nicht ganz allein? Guten Abend, meine Herren, wen habe ich die Ehre zu sprechen? damit stellte der kleine bepelzte Mann sich kerzengerade, dicht vor die beiden Freunde, in einer etwas herausfordernden Stellung hin.
Mühsam des Lachens sich erwehrend, beantworteten Iwan und Richard auf das Höflichste die an sie ergangene Frage; berichteten dann in wenigen Worten, wie sie die junge Dame in einiger Verlegenheit getroffen, weil sie sich nicht nach Hause zu finden gewußt, wie sie sich ein Vergnügen daraus gemacht hätten, sie sicher zu begleiten, und wie sie sich jetzt empfehlen wollten, indem sie das Fräulein in Sicherheit bei den Ihrigen sähen.
Aber der Kleine wollte das nicht erlauben; halt, rief er, das gilt nicht; wie der Fuchs vom Taubenschlage wegschleichen, ohne förmlichen Bericht? ohne schuldige Danksagung von unsrer Seite, wollte ich sagen; setzte er sich besinnend hinzu. Die da lacht zwar jetzt, aber das soll ihr schon vergehen, wenn die gestrenge Hausfrau dort oben ein schweres Gericht über sie ergehen lassen wird, wie sie es denn nicht anders verdient.
Die gestrenge Hausfrau, wie Herr Lange seine eigene hübsche Frau nannte, erschien in diesem Augenblicke selbst; ein allerliebstes, kugelrundes Figürchen, nicht zu jung, nicht zu alt. Sie lachte und weinte, sie schalt und liebkoste Julien, alles das in einem Athem, indem sie dieselbe in Empfang nahm.
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