Es enthielt einige Bestellungen im Fache ihres Gatten, deren Ausführung freilich einen ziemlich bedeutenden Vortheil abzuwerfen versprach.
Jetzt, Sally, gieb Acht, nun kommt das Beste, rief Master Wood, indem er das Blatt umschlug, und zugleich seine Frau bemerken ließ, wie bis dahin der Brief von dem Handlungsdiener seines geehrten Gönners und Freundes, der nun folgende Zusatz aber von ihm selbst eigenhändig geschrieben sei; dann las er:
»Seit unsrer ersten kommerziellen Verbindung, werther Sir, besonders aber seit ich Sie und Ihre Familie persönlich kennen lernte und von Ihnen eingeladen wurde, bei einem Ihrer Söhne Pathenstelle zu vertreten, habe ich mir immer gewünscht, durch mehr als bloße Worte mein aufrichtiges Wohlwollen und meine Theilnahme Ihnen zu beweisen, und die Gelegenheit dazu hat sich gestern ganz unerwartet gefunden.
Sir John Murray, mein sehr ehrenwerther Freund, dessen großes Übergewicht an der Londoner Börse Ihnen gewiß nicht unbekannt ist, und mit dem ich zuweilen von Ihnen und der zahlreichen Familie gesprochen, mit welcher es dem Herrn gefallen Sie zu segnen, hat mir, in Hinsicht auf Sie, einen Vorschlag gethan, der mir zu annehmbar scheint, als daß man vernünftiger Weise nicht darauf eingehen dürfe.
Ein sehr vornehmer russischer Großer, ungefähr das, was man in unserm Lande einen Lord und Pair des Reiches nennen würde, hat durch den berühmten Banquier Groß in St. Petersburg an unsern Sir John den Auftrag ergehen lassen, ihm einen acht bis zehnjährigen englischen Knaben, von guter ehrbarer Familie, herüberzuschicken, den er mit seinen eigenen, ungefähr im nämlichen Alter stehenden Kindern erziehen lassen will, damit diese, gleichsam spielend, auf leichte Weise von ihm englisch reden lernen. Denn Sie müssen wissen, werther Sir, unsre Sprache wird auf dem Kontinente, besonders aber in Rußland, mit jedem Jahre beliebter, und es ist dort in großen Häusern gebräuchlich, junge Ausländer, besonders englische oder deutsche Knaben, zu dem nämlichen Zwecke in ihren Familien aufzunehmen.
Sir John, dem meine Vorliebe für Sie und die Ihrigen nicht unbekannt ist, kam gleich nachdem er diesen Auftrag erhalten zu mir, um sich zu erkundigen, ob einer Ihrer Söhne sich vielleicht zur Erfüllung desselben eignen möchte, fügte aber hinzu, daß kein langes Bedenken hier statt finden könne, sondern im Gegentheil der Entschluß gleich auf der Stelle gefaßt werden müsse. Die schon weit vorgerückte Jahreszeit möchte einer so bedeutenden Seereise nicht lange mehr günstig genug bleiben, um sie mit vollkommner Ruhe und Sicherheit unternehmen zu können; überdem liegt das nach Petersburg bestimmte gute Schiff, der Delphin, in diesem Augenblicke segelfertig auf der Themse, dessen Kapitain, der mir und Sir John wohlbekannte Simon Hill, ganz der Mann dazu ist, das Kind unterwegs wohl zu verpflegen, und ungefährdet an Ort und Stelle zu bringen.
Vor Allem bitte ich Sie, werther Freund, bei diesem Vorschlage, auch nicht auf die allerentfernteste Weise, an entehrende Dienstbarkeit zu denken. Ihr Sohn wird gewiß nicht den jungen russischen Lords zur Aufwartung beigegeben; er soll weder ihr Tiger, wie unsre Dandys das nennen, noch ihr Jokey werden, sondern, in allen Stücken ihnen gleich gehalten, alle Vortheile einer liberalen Erziehung mit ihnen zugleich genießen, wie nur sehr reiche und vornehme Eltern sie ihren Kindern zu gewähren vermögen. Hat er dereinst das dazu gehörige Alter erreicht, so kann er fest darauf rechnen, im dortigen Lande durch die edle Familie, in welcher er aufgewachsen, eine anständige, seinen Wünschen und Talenten angemessene Versorgung zu erhalten, oder für seine Zukunft wohl ausgestattet, in sein Vaterland zurück gesandt zu werden wenn er, als ächter Britte, dieses vorziehen sollte.
Die einleuchtend großen Vortheile dieses Anerbietens können Ihrem guten soliden Verstande unmöglich entgehen. Nicht nur daß Sie dadurch den mit jedem Jahre zunehmenden Ausgaben für die Erziehung eines ihrer Söhne überhoben werden; was bei einer so zahlreichen Familie keinesweges unbedeutend ist; ihr Sohn gewinnt dadurch auch eine Aussicht für sein ferneres Fortkommen in der Welt, wie Sie ihm solche, auf dem gewöhnlichen Wege, schwerlich gewähren könnten.
Daher schmeichle ich mir mit der Hoffnung in Ihrem Sinne gehandelt zu haben, indem ich auf das Anerbieten Sir Johns, der auf augenblickliche Entscheidung drang, in Ihrem Namen eingegangen bin, und alles Weitere mit ihm verabredet und festgestellt habe.
Da mir wohlbekannt ist, wie sehr jede Entfernung von Hause durch Ihre Geschäfte Ihnen erschwert wird, so soll mein Ihnen wohlbekannter Handlungsdiener, James Cox, nächste Mittwoch mit der Mailkutsche bei Ihnen eintreffen, um meinen Pathen Richard abzuholen, und zu mir nach London zu bringen. Er steht gerade in dem gewünschten Alter von circa acht Jahren, und möchte vermöge seiner hübschen Gestalt, seines aufgeweckten Wesens, und seiner übrigen guten Anlagen, für unsern Plan am besten sich eignen. Für die Garderobe des kleinen Reisenden werde ich Sorge tragen; ich werde mit allem, was er für die Reise nöthig haben wird, ihn versehen. Ist er einmal am Orte seiner Bestimmung angelangt, so muß er ohnehin nach dortigem Landesgebrauche gekleidet werden.
Ungeachtet der in die Augen springenden großen Vortheile, welche die Annahme meines Vorschlags Ihnen gewähren muß, versichre ich Sie dennoch, werther Freund, daß ich dieselbe als einen, mir persönlich gewährten Beweis Ihres Vertrauens und Ihrer Achtung ansehen und zu schätzen wissen werde. Zum Zeichen dieser meiner guten Gesinnung erbiete ich mich jetzt aus eignem Antriebe, Ihnen einen Kredit auf die volle Summe auszustellen, deren Sie, wie Sie bei unsrer letzten Zusammenkunft äußerten, bedürfen würden, um Ihrem Geschäft eine größere Ausdehnung zu geben, und durch Erwerbung eines bedeutenden Vermögens zu Ehren und Ansehen gelangend, es binnen kurzem Ihrem hochmüthigen Nachbar Bird wenigstens gleich zu thun. Auch Sir John beauftraget mich Ihnen zu melden, daß er von nun an sich gern bereitwillig zeigen werde, Ihnen bei vorkommenden Gelegenheiten nützlich und hülfreich zu sein.
Das Nähere hierüber mögen Sie vorläufig mit unserm James Cox besprechen, der nicht ermangeln wird, sich nächste Mittwoch mit der Mailkutsche bei Ihnen einzustellen. Sollten Sie aber, freilich ganz gegen mein Erwarten, für gut finden, meine für Sie gethanen Schritte zu mißbilligen, und mein und Sir Johns Anerbieten von sich abzuweisen, so ist es nothwendig, daß Sie in der nämlichen Stunde, in welcher Sie dieses Schreiben erhalten, eine Staffette mit Ihrer abschlägigen Antwort an mich abfertigen; der nächste Tag wäre dazu schon zu spät. Auch kann ich nicht umhin Ihnen offen zu gestehen, daß von Ihrer Seite ein solches Verkennen meines guten Willens mir höchst empfindlich und unangenehm wäre, und obendrein mich, von Seiten Sir Johns, mancherlei Verdrießlichkeiten aussetzen würde.«
Das freundliche Gesicht, mit welchem Mißtreß Wood anfangs zuhörte, wurde immer länger und länger, je weiter Herr Wood las; die arme Frau wurde feuerroth, dann blaß, dann todtenbleich, und saß zuletzt an allen Gliedern zitternd, unfähig ein Wort aufzubringen, wie versteinert da.
Nun, Sally, Liebste, was sagst Du dazu? fragte Master Wood, als er mit dem Briefe fertig war. Sally erwiederte keine Sylbe. Nun? fragte er nochmals und bückte sich, um in das abgewendete Gesicht ihr zu sehen. Sally sprang auf, trocknete mit konvulsivischer Hast die in Thränen schwimmenden Augen, und sah nach der Uhr.
Noch nicht eilf Uhr, Gottlob! sprach sie mit seltsam bedrücktem Ton: im Posthause sind sie noch wach, auch Jemmy kann noch nicht zu Bette sein; ich rufe ihn während Du schreibst, und wäre er schon eingeschlafen, so laufe ich selbst mit unsrer Magd die Paar Schritte hinüber. Schreib nur geschwind, guter Mann; um Nein zu sagen, brauchts nicht vieler Worte. Damit wollte sie zur Thüre hinaus.
Mißtreß Wood! Sally! wo willst Du hin? rief der erschrockne Gatte.
Ich sagte es ja schon, war die entschlossene Antwort: zur Post will ich, das Pferd, die Stafette bestellen; es ist die höchste Zeit, wir haben keinen Augenblick zu verlieren, die Stafette muß gleich fort, mit Sonnenaufgang wäre es schon zu spät; so steht es ja in dem unglücklichen Briefe.
Aber Mißtreß Wood, aber Sally, aber theures Weib, aber so überlege, so bedenke doch nur! stotterte Master Wood in großer Angst, hielt aber doch die sich heftig sträubende Frau von der Thüre entfernt.
Bedenken? rief sie: giebt es da noch etwas zu bedenken? Ihre weit geöffneten Augen wurden vor Schrecken starr, wie die einer Leiche, indem sie ihm jetzt ins Gesicht sah; heftig schlug sie die Hände über ihrem Haupte zusammen. Wood! Mann! Vater! rief sie völlig außer sich: wie! wäre es möglich? Du wolltest? Du könntest über das Herz es bringen? meinen Richard! meinen süßen Liebling, meinen armen Knaben, weit weg von Alt-England, zu Kannibalen, in das wilde Kosakenland, zu Heiden, zu Mohamedanern oder gar zu Papisten! Nein, nein, nein; nicht nur ich die Mutter, nein, auch Dein eignes Gewissen kann nimmermehr eine solche That zugeben. Aber es ist nicht Dein Ernst, Du scherzest, aber das solltest Du so nicht mit mir, Du weißt wie schwach und furchtsam ich bin, setzte sie mit erzwungener Gelassenheit hinzu, und ein ängstliches Lächeln glitt über ihre verstörten Züge.
Wood war indessen doch zu einiger Fassung gelangt. Schmeichelnd, bittend, sie liebkosend, zog er die arme Mutter aufs Sopha und hielt sie dort fest, indem er durch Zureden und Vernunftgründe sie zu beschwichtigen suchte. Fürs erste bemühte er sich, ihr Vorurtheil gegen Rußland und dessen Bewohner zu bekämpfen, dann setzte er alle Vortheile des an sie beide ergangenen Vorschlages auf das weitläuftigste ihr auseinander. Er wollte mit Hülfe ihres wirklich sehr gesunden Verstandes ihr Mutterherz übertäuben; es gelang ihm nicht; in allem was er vorbrachte, hörte und verstand sie nur, daß er Willens sei ihr Kind aus ihren Armen zu reißen, um es nach einem fernen wilden Lande, zu fremden Leuten zu schicken.
Angst und Schmerz überwältigten endlich ihre physische Kraft. Fürchterlich aufkreischend glitt sie, ehe ihr Mann sich dessen versah, aus seinen Armen auf den Fußboden hin; dort lag sie zu seinen Füßen, konvulsivisch schluchzend, gräßlich lachend, das Gesicht bis zum unkenntlichen durch fürchterliche Zuckungen entstellt, in einem jener hysterischen Anfälle, denen bei heftigen Gemüthsbewegungen die Engländerinnen weit mehr und häufiger, als andre Frauen unterworfen sind.
Dem ehrlichen Wood geschähe himmelschreiendes Unrecht, wenn man ihn hier theilnahmloser Gleichgültigkeit beschuldigen wollte. Im Gegentheil versuchte er alles Erdenkliche, um den traurigen Zustand seiner Frau zu mildern, und als keines der sonst in solchen Fällen gewöhnlichen Hausmittel anschlagen wollte, lief er selbst den Apotheker aus dem Bette zu holen, der überall beim Mittelstande in England die Stelle eines Arztes vertritt.
Aber auch die stärksten Mittel, welche der Stiefsohn Äskulaps anwandte, versagten diesmal ihre Wirkung. Die nächtlichen Stunden vergingen, ohne daß die Leidende zu völligem Bewußtsein gelangte. Und als endlich der Tag darüber anbrach, während der Apotheker den besorgten Ehemann fortwährend durch Versicherungen des völlig gefahrlosen Zustandes seiner Frau zu beruhigen suchte, da, es läßt sich nicht abläugnen, da überkam den guten Master Wood doch eine Art innerer Zufriedenheit darüber, jedes weiteren Kampfes mit seiner Sally durch diesen Zufall überhoben zu sein.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Mißtreß Wood aus todtenähnlichem Schlummer erwachte. Das Geläute der nahen Kirche rief die Gemeine zum Gottesdienst, und tanzende Sonnenstäubchen spielten in dem, durch eine Öffnung der Gardinen, auf ihr Bette schräg hinfallenden Sonnenstrahle; es war eilf Uhr.
Zu spät, zu spät! rief die arme Frau, und ein Strom von Thränen machte ihrem verzweifelnden Gefühle Luft, indem er sie wahrscheinlich zugleich vor einem neuen Anfalle von Krämpfen bewahrte.
Das Ende von diesem Allen ist leicht abzusehen. Ungeachtet des tapfersten, bis zu der verhängnißvollen Mittwoche fortgesetzten Widerstandes, mußte Mißtreß Wood sich doch dem Willen ihres Herrn und Gebieters endlich ergeben.
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