O laß mich, liebe Schwester.

AGNES. Wie lange ist er nun schon fort? – Drei Jahre? –

ANNE. Ach!

AGNES. Siehst du, du seufzest noch immer, aber du solltest lieber einmal vernünftig erzählen.

ANNE. Ich bin eine schlechte Erzählerin.

AGNES. Aber im Ernst, es muß mit der Liebe ein äußerst wunderbares Ding sein.

ANNE. Du bist glücklich, daß du es nicht begreifst.

AGNES. Mir ist immer leicht und heiter, aber du bist die Schwerfälligkeit selbst, ohne Leben, ohne Teilnahme für die Welt und ihre Begebenheiten, du lebst nur noch zum Schein, nur ein geringfügiges äußerliches Leben, aber innerlich bist du schon lange abgestorben.

ANNE. Jeder Mensch hat seine eigene Weise, laß mir die meinige.

AGNES. Daß man sich selbst so alle Freuden verderben kann! Die Welt ist so schön und freundlich, alles so mannigfaltig durcheinander, daß mau nicht genug sehen, nicht genug erfahren kann. Ich möchte immer auf Reisen sein, durch unbekannte Städte fahren, fremde Berge besteigen, andre Trachten, andre Sitten kennenlernen. Dann mich wieder ganz allein in einem Palaste einsperren lassen und die Schlüssel zu jedem Gemach, zu jedem Schranke in Händen haben; dann würde eins nach dem andern aufgeschlossen, die Schränke täten sich voneinander, und ich holte von den schönen und seltsamen Kostbarkeiten von Juwelen und Halsgehenken eins nach dem andern hervor, träte damit ans Fenster und besähe es ganz eigen, bis ich seiner überdrüssig wäre und zu einem andern eilte und so immer fort, immer fort, ohne Ende.

ANNE. Und so wolltest du alt werden? Dich durch ein trübes, unzusammenhängendes Leben arbeiten?

AGNES. Ich versteh' dich nicht. – Ich habe mir schon oft gedacht, wenn ich plötzlich in ein fremdes Schloß geriete, wo mir alles neu, alles merkwürdig wäre; wie ich aus einem Zimmer in das andere eilen würde, immer ungeduldig, immer neugieriger, wie ich nach und nach mit den Sachen und Gerätschaften bekannt werden würde. Hier weiß ich ja jeden Nagel auswendig.

ANNE. Gib mir einmal die Laute. Singt.

Beglückt, wer an des Treuen Brust

In voller Liebe ruht,

Kein Kummer naht und stört die Lust,

Nur heller brennt die Glut.

 

Kein Wechsel, kein Wanken,

Zum ruhigen Glück

Fliehn alle Gedanken

Der Ferne zurück.

 

Und lieber und bänger

Drückt Mund sich an Mund,

So inn'ger, so länger;

Von Stunde zu Stund'

Beschränkter und enger

Der liebliche Bund.

AGNES. Das ist eins von den Liedern, die sich leichter singen als verstehn lassen. Anton tritt auf.

ANTON. Das ist hier eine wunderliche Haushaltung: Gesang in allen Zimmern, Simon geht und betrachtet die Wände, Leopold will auf Abenteuer ziehn – wahrlich, wenn ich nicht noch das Ganze, etwas zusammenhielte, es flöge alles wie Spreu auseinander.

AGNES. Dafür bist du auch der älteste von uns allen, du hast den Verstand für die ganze Familie.

ANTON. Wißt ihr denn, was Leopold eigentlich will?

AGNES. Was will er denn?

ANNE. Gewiß einen unbesonnenen Streich ausführen.

AGNES. Ihr nennt mich oft etwas unbesonnen, was nur nicht so ist, wie ihr es alle Tage treibt. Leopold tritt auf.

LEOPOLD. Nun, so lebt wohl auf einige Zeit, ich muß euch auf ein paar Tage verlassen.

ANTON. Aber wo willst du hin?

LEOPOLD. Recht weiß ich's selbst noch nicht.