– Lieber Bruder, ich habe immer gefunden, daß der Mensch sich jeden Schritt im Leben erschwert, wenn er ihn recht genau überlegt. Am Ende ist doch alles nur einfältig, wir mögen es auch anfangen, wie wir wollen, und Glück und Zufall machen unsre Pläne nur gescheit oder unbesonnen.
ANTON. Bruder, solche Reden stehen einem Manne nicht an.
LEOPOLD. Ja, was ihr euch immer so unter Mann denkt: ein altes, verjährtes Tier, das über die Jugend weggekommen ist wie über eine Brücke, die zusammenfallen will, und das sich nun herzlich freuet, daß es ein sauer Gesicht machen darf und Rat erteilen, sitzen und zuhören, wenn andre sprechen, und alles links und unrichtig finden. So ein Mann nach eurer Vorstellung darf sogar den Kater tadeln, daß er die Mäuse nicht auf die rechte Art und nach seinem Sinne fängt. Es wird mir immer seltsam zumute, wenn ich die Redensarten höre: Er handelt wie ein Mann. Er ist das Muster eines Mannes. – Meistenteils sind es doch nur verdorbene ausgewachsene Knaben, die durch die Welt auf allen vieren kriechen, statt aufrecht zu gehn, und die daher weit mehr Steine des Anstoßes finden – und dann rufen die Umherstehenden: »Um Gottes willen, seht, wieviel Erfahrung der Mann hat!«
ANTON. Das wäre nach deiner Meinung also auch das Bild von mir?
LEOPOLD. Ach nein, du bist im Grunde gescheiter, aber du willst es dir selber nicht gestehn. So halten die meisten Menschen die langsame Einfalt für verständiger als die rührige Unachtsamkeit, und der Unterschied liegt doch wahrhaftig nur im Gange.
ANTON. Aber du wirst doch zugeben, daß dem Unachtsamen manches mißlingt.
LEOPOLD. O ja, natürlicherweise, weil er viel unternimmt; eurem bedächtigen Manne kann nichts mißlingen, weil er nur immer rechnet und mit allen seinen Gedanken, mit aller Belesenheit wie mit Fühlhörnern immer vorausfühlt. Ach Bruder, wenn wir sehen könnten, wie vielleicht schon alles im voraus bestellt und in Richtigkeit gebracht ist, wie lächerlich würden uns da wohl unsere tief angelegten Pläne vorkommen?
ANTON. Eine schöne Philosophie.
LEOPOLD. Eine Philosophie, die mich lehrt, daß nichts den Menschen so einfältig mache wie sein Verstand. – Doch wir wollen abbrechen, und ich will Abschied von euch nehmen, mir ist so leicht, daß ich gewiß glaube, ich werde glücklich sein. Simon tritt ein.
SIMON. Du willst verreisen, Bruder?
LEOPOLD. Ja.
SIMON. Mir scheinen die Umstände nicht günstig.
LEOPOLD. Wieso?
SIMON. Es ist so ein Wesen, so ein Klagen, so ein Zittern in der Luft.
AGNES. Wie meinst du das, Bruder?
ANTON. So, wie er alles meint – er weiß nicht warum; er meint es nur so.
SIMON. Sieh, man kann eigentlich nicht sagen, warum man Unglück vorausahnt, aber es ist doch manchmal etwas im Herzen – das –
LEOPOLD. Nun?
SIMON. Ach! Wer kann dir das deutlich machen.
ANTON. Sollte man unter diesen närrischen Geschöpfen nicht selber närrisch werden?
LEOPOLD. Nun, weil du's also nicht recht beschreiben kannst, so lebe wohl.
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