Schloß Hubertus
Ganghofer, Ludwig
Schloß Hubertus
Ludwig Ganghofer
Schloß Hubertus
Roman
Erstes Buch
1
Schwül und dunstig lag der heiße Nachmittag über dem Bergwald. An den Buchen rührte sich kein Blatt, an den dunklen Fichten schwankte kein Wipfel.
Aus der Tiefe des Tales klang zuweilen ein verschwommener Laut herauf – die schwere Luft erstickte jeden Ton zu einem unbestimmten Geräusch. Sonst keine Stimme des Lebens, kein Vogelruf im Bergwald. Nur manchmal ein leises Rascheln, wenn ein dürrer Zweig durch die Blätter fiel.
In dieser Stille ein leichter Schritt. Auf dem tiefer liegenden Pfad, zwischen sonnigem Laubwerk, schimmerte ein weißes Gewand.
»Gundi?«
Der fragende Ruf klang durch den stillen Wald wie der Ton einer silbernen Glocke. Dann ein perlendes Lachen. An einer Wendung des Pfades erschien eine schlanke Mädchengestalt in duftigem Sommerkleid. Hut und Fächer flogen ins Moos, und zu Füßen einer riesigen Buche, die mit weitgespannten Ästen den Platz überschattete, ließ sie sich niedersinken. Leuchtend hob sich die weiße Gestalt mit ihren feinen Linien aus dem grünen Grund; unter dem Saum des Kleides lugten die schmalen Füßchen hervor, deren zierliche Schuhe von den scharfen Steinen des Bergpfades übel gelitten hatten; zwischen dem kurzen, fein gefälteten Ärmel und dem hohen blaßgelben Lederhandschuh zeigte sich ein schmaler Streif des rosigen Armes; unter raschen Atemzügen, von denen sie jeden wie eine Erquickung zu genießen schien, hob und senkte sich die junge Brust. Gleich einer Blume, die in der Sonne dürstet, hing das Köpfchen auf die Schulter; ein schmales, edles Gesicht, nun freilich glühend wie Purpur, umrahmt von aschblondem Haar, dessen losgesprungene Löckchen sich schimmernd um die Stirne kräuselten; darunter zwei große blaue Augen, lichter als das Blau der Veilchen, dunkler als die Bläue des Himmels und staunend, strahlend in heiterer Lebensfreude.
Als sie den Schatten gesucht, war es diesen lachenden Augen entgangen, daß an dem Stamm der Buche ein Täfelchen befestigt hing, ein »Marterl«. Das verwitterte Bild mit der halb erloschenen Schrift erzählte, daß an dieser Stelle vor Jahr und Tag der Tod ein Leben zerbrochen habe. Hier ruhte sie, lächelnd und träumend in ihrer Jugend und Schönheit. Und die Erde, auf der sie ruhte, hatte Blut getrunken.
Gewannen die dunklen Schatten, die den Ort umschwebten, Macht über die junge Seele? Das Lächeln schwand von den Lippen des Mädchens, der Frohsinn ihres Gesichtes verwandelte sich in sinnenden Ernst. Ihre Augen blickten ziellos durch eine Bresche des Waldes hinunter in die Tiefe, in der zwischen steilen Ufern der schöne Bergsee gebettet lag, umwoben von Dunst und Sonnenglast. Der glatte Spiegel des Wassers war anzusehen wie straff gespannte, schimmernde Seide.
Da flog es dunkel über den See. Ein schwerer Wolkenball hatte sich vor die Sonne geschoben, die schon nahe dem Grat der westlichen Berge stand. Und das ganze Bild der Landschaft war plötzlich verwandelt. Es schien, als hätte der See sich emporgehoben aus der Tiefe, sein Glanz und Schimmer war erloschen, wie ein riesiger Smaragd, tiefgrün und düster, dehnte sich die wellenlose Flut zwischen den steilen Felsenufern, die näher gerückt erschienen und schwermütige Farben zeigten. Trüber Schatten dämmerte, ein sachtes Flüstern erhob sich in den Blättern, die Wipfel und Zweige der Fichten begannen zu schwanken, und wie eine Unglückskunde den sorglosen Schläfer weckt, so flog ein rauschender Windstoß durch den Wald. Dann wieder Stille. Nur fern aus den Lüften klang noch ein murrender Hall.
Die Einsame blickte scheu umher, hinunter auf den See, den schon ein feines Netz von Linien überkräuselte, und empor zum Himmel, der sich rasch mit Gewölk zu umziehen begann. Ihre Stimme hatte sorgenden Klang, als sie gegen den Pfad hinunterrief:
»Tante Gundi?«
Ein ächzender Laut war die Antwort. Aus der Senkung des Pfades tauchte eine rundliche Gestalt hervor. Ein schillerndes Seidenkleid von altmodischem Schnitt umzwängte die ausgiebigen Formen der ältlichen, mehr als wohlgenährten Dame. Den Strohhut hatte sie am Gürtel befestigt, und während sie mit den Händen das Kleid gerafft hielt, trug sie den Sonnenschirm unter den Arm geklemmt. Die zu einem Nest geschlungenen Zöpfe hatten sich gegen das linke Ohr verschoben, und ihr tiefes Schwarz stach gegen die ergrauende Farbe der glatt über die Schläfe gescheitelten Haare sehr bedenklich ab. Das hochgeborene Fräulein Adelgunde von Kleesberg schien auch sonst mit Toilettenkünsten sehr vertraut; das verrieten die schwarzen Striche über den kleinen, hurtigen Augen und der weiße, flaumige Teint der gepolsterten Wangen. Das war nun freilich eine Kunst, die sich wenig schickte für eine Wanderung durch den steilen Bergwald. Die reichlichen Perlen, die der Erschöpften von der Stirne sickerten, hatten Furchen durch den weißen Teint gezogen, und wo dieser Perlen Weg gegangen war, glühte eine dunkelrote Linie der erhitzten Haut durch den Puder.
Der Anblick, den die alternde Dame bot, rechtfertigte das Lachen, mit dem sie von ihrem harrenden Schützling empfangen wurde. »Tante Gundi, wie siehst du aus!«
Fräulein von Kleesberg schien eine wütende Entgegnung auf der Zunge zu haben, aber Erschöpfung und Atemnot benahmen ihr die Sprache.
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