Da hatten die beiden Flüchtlinge auch den Sturmwind nicht zu fürchten, der den schwer fallenden Regen in schiefen Strähnen über den Berghang peitschte. Erschöpft sank Adelgunde von Kleesberg auf ein Restchen Heu, das vom Wildfutter des letzten Winters noch verblieben war; das Gesicht drehte sie gegen den finsteren Winkel, um die Blitze nicht zu sehen. Kitty hatte rasch ihre gute Laune wiedergefunden. »Das ist lieb von Papa, daß er so zärtlich für seine Hirsche sorgt – und für mich, wenn ich zufällig in den Regen komme!« Sie lauschte.

Was war das? Eine Stimme? Dazu noch eine singende! Und eine jener Weisen, wie sie in den Bergen heimisch sind. Nun erblickte Kitty den Sänger. Geradeswegs kam er den steilen Bergwald heruntergestürmt, den Schutz der Hütte suchend. Es war ein Jäger in grauer Lodenjoppe und kurzer Lederhose, die Büchse hinter dem Rücken, in den Händen den Bergstock, den er klirrend zwischen die Steine stieß, um sich auf dem abschüssigen Hang hinwegzuschwingen über Felsbrocken und gestürzte Bäume. Mit großen Augen sah Kitty ihm entgegen und wußte nicht, ob sie mehr über die eiserne Kraft dieses Burschen staunen sollte oder über den sorglosen Mut, mit dem er bei jedem Sprung um Hals und Glieder spielte.

Jetzt hatte er die Hütte erreicht. Ohne die Damen zu gewahren, trat er unter das vorspringende Dach. Gewehr und Bergstock lehnte er an die Bretterwand, schüttelte sich, daß die Tropfen von der Joppe flogen, und während er das grüne Filzhütl abnahm, um das Wasser fortzuschleudern, das sich in der hohlen Krempe angesammelt hatte, lachte er: »Sakra noch amal, jetzt hätt mich aber 's Wetter bald erwischt!«

Bald erwischt? Er troff vor Nässe am ganzen Leib. Dabei trug er den aus grobem Loden geschnittenen Wettermantel sorgfältig gerollt zwischen den Riemen des Rucksackes. Für sich selbst hatte er nicht gesorgt; aber das blaue Taschentuch hatte er um das Schloß der Büchse gebunden, damit die Waffe von der Nässe nicht leiden möchte. Lachend blickte er hinaus in das Strömen und Gießen. Die lichtbraunen Haare, die sich sonst in widerspenstigen Ringeln durcheinanderkräuselten, klebten ihm feucht und glatt an Stirn und Schläfen, ein hübsches, männliches Gesicht umrahmend. Aufgezwirbelt saß ein braunes Bärtchen über dem lachenden Mund. Hell und offen blitzten die Sterne seiner dunklen Augen in die Welt, und ihr froher Blick milderte den Ernst der Stirne.

Ein greller Blitz fuhr über den Bergwald hin, der Donner schmetterte, und aus dem Schuppen klang Tante Gundis Wimmerschrei.

Der Jäger spitzte die Ohren. »Mir scheint, da hör ich wen?« Rasch griff er nach Bergstock und Büchse und trat in die Hütte.

Kitty erkannte ihn. »Aber das ist doch unser Franzl!«

Der Jäger machte verblüffte Augen. »Mar' und Joseph! Gnädigs Fräuln! Ja, wie kommen denn Sie daher?«

»Das Gewitter überraschte uns. Ich wollte Papa erwarten.«

»Da hätten S' lang warten dürfen! Der Herr Graf kommt heut nimmer runter.«

»Kommt nicht?« Ein Schatten flog über Kittys Züge. »Er weiß doch, daß ich gestern in Hubertus eingetroffen bin. Ich habe heut früh den alten Moser mit der Nachricht zur Hütte hinaufgeschickt.«

»Ja, der Herr Graf hat 's Briefl kriegt.«

»Und kommt nicht?« Kitty fragte erschrocken: »Papa ist krank?«

Franzl lachte. »Aber Fräuln Konteß! Unser Herr Graf? Und krank? Der reißt Bäum aus mit seine sechzig Jahr. Ah na! Dem fehlt kein Haarl net!«

»Aber weshalb kommt er nicht? Es muß ihm doch Freude machen, mich wiederzusehen.«

Betroffen schaute Franzl in Kittys Augen; der Klang ihrer Worte brachte ihn aus seiner fröhlichen Ruhe. »Aber freilich,« stammelte er, »gwiß freut er sich! Aber gwiß!«

Kitty stand schweigend; ihre Finger knitterten an den Blättern des Fächers.

»Aber schauen S', Fräuln, deswegen müssen S' Ihren Hamur net verlieren!« tröstete Franzl. »Der Herr Graf hat halt an sakrisch guten Gamsbock im Wind. Sie wissen ja, wie er is. Da laßt er net aus, bis der Bock sein Kügerl net droben hat.«

»Ein Gemsbock!« Kittys Augen füllten sich mit Tränen.

»Aber Fräuln Konteß!« Franzl nahm den Hut ab und kraute sich hinter dem Ohr. »Ich kann ja nix dafür!« Nun hörte er aus der Tiefe des Schuppens ein leises Gewimmer. »Was is denn?« Er trat näher.