»Jegerl, 's alte Fräuln!« Gundi Kleesberg hielt das Gesicht tief eingedrückt in das Heu, und Franzl suchte die Wimmernde aufzurichten. »Fräuln! Um Herrgotts willen! Was haben S' denn? Is Ihnen was gschehen?«

Die Kleesberg stöhnte: »O Gott, o Gott, dieses entsetzliche Gewitter!«

Nun mußte der Jäger lachen. »Aber sind S' doch gscheit! Dös hört schon wieder auf. In die Berg kommt so was gschwind, aber lang dauert's net. Da, es wird schon aber bißl lichter im Gwölk!«

Zögernd richtete Tante Gundi sich auf. Im gleichen Augenblick fuhr nahe bei der Hütte ein Blitz herunter; aller Grund schien verwandelt in Flammen, und Erde und Luft erzitterten unter einem rasselnden Donnerschlag. Ächzend warf Gundi Kleesberg sich wieder über das Heu; auch Kitty wich mit einem leisen Aufschrei in die Tiefe der Hütte zurück.

»Macht nix!« lachte Franzl. »Is schon gschehen!«

Mit diesem letzten Schlag hatte das Unwetter sich ausgetobt. Es folgten nur noch schwache Blitze, die matt hinleuchteten über das wogende Gewölk und einen sanft verrollenden Donner weckten.

Während Franzl unter geduldigem Trösten neben der Kleesberg stehenblieb, trat Kitty unter das Vordach der Hütte hinaus und trank in tiefen Zügen die würzige Luft, die den Wald durchhauchte. Die Wolken klüfteten sich, helles Licht floß über Berg und See, und der Regen versiegte. In sachten Stößen strich der Wind durch die Bäume und schüttelte die Tropfen von allem Gezweig.

Rings um die Hütte hatte sich eine breite Pfütze gebildet, und überall auf dem Berghang sprudelten die Regenbäche.

»Da wird sich der Heimweg hart machen,« meinte Franzl, »wie, zeigen S' amal her, gnädigs Fräuln, was haben S' denn für Schucherln an?«

Kitty hob das Kleid und streckte das Füßchen vor.

»Da schaut's schlecht aus!« jammerte Franzl. »Hundert Schritt in so einer Nässen, und 's Schucherl fallt Ihnen wie Zunder vom Füßl.«

Sorgenvoll betrachtete Kitty den überschwemmten Grund. »Aber wie kommen wir nach Hause?«

»Gar net schlecht! Passen S' nur auf!« Franzl zog den Wettermantel aus dem Bergsack und warf die Büchse hinter den Rücken. Dann rollte er den Mantel auseinander und schlang das weiche Tuch mit scheuer Achtsamkeit um Kitty. Gleich einer grauen Mumie stand sie von den Schultern bis zu den Füßen eingehüllt, und wie sie das Köpfchen reckte, um Kinn und Wangen aus den Falten des Mantels frei zu bekommen, war sie einem Schmetterling zu vergleichen, der aus der Puppe schlüpfen will. Noch ehe sie recht begriff, was mit ihr geschehen sollte, hatte Franzl sie auf seine Arme gehoben wie ein Kind, dessen Last er kaum zu spüren schien. Lächelnd ließ sie ihn gewähren; dann plötzlich stammelte sie: »Aber was geschieht mit Tante Gundi?«

»Alles der Reih nach!« erwiderte Franzl.

Jetzt wurde Gundi Kleesberg lebendig. Händeringend kam sie und schwor die heiligsten Eide, daß sie um alles in der Welt nicht allein bliebe in diesem »gräßlichen« Wald.

Franzl tröstete: »Wölfe und Bären gibt's net bei uns, und die Mäus haben noch nie an Menschen anpackt. Bleiben S' nur schön da, bis ich wiederkomm! Ich trag 's gnädig Fräuln nunter ins Kapuzinerhäusl, da kann's warten unter Dach, bis a Schiffl kommt. In zehn Minuten bin ich wieder da.«

Während die Kleesberg wie eine Niobe jammerte, trat er hinaus in den Wald und wanderte mit sicherem Schritt davon. Als eine steilere Stelle kam, blickte er lachend zu Kitty auf und sagte: »Es geht schon! Meine Füß haben Augen im Wald und eiserne Zähn zum Beißen! Tun S' Ihnen net fürchten, gnädigs Fräuln!«

Lächelnd schüttelte Kitty das Köpfchen, schob eine Hand aus den Falten des Mantels heraus und nahm den Strohhut ab; der Wind, der ihre Wangen umwehte, tat ihr wohl; träumend blickte sie in den stiller werdenden Wald, und ihre Züge nahmen einen sinnenden Ausdruck an: »Sag' mir, Franz – der Förster Anton Hornegger, das war dein Vater?«

»Ja, gnädigs Fräuln! Wie kommen S' jetzt da drauf?«

»Ich bin dort oben bei der Buche gewesen. Das war ein schweres Unglück für dich und deine Mutter!«

Franzl antwortete nicht gleich. »D' Mutter hat's freilich schwer verwunden, und 's Unglück hat aus ihr an alts und stills Weiberl gmacht. Ich, mein Gott, ich war selbigsmal noch a kleiner Bub, der net recht verstanden hat, was er verliert. Jetzt weiß ich, was dös heißt, kein Vater nimmer haben. Manchmal kommen so Sachen über ein', wo man kein Rat nimmer weiß, und wo jeder andere Bursch zum Vater geht und fragt. Wen frag denn ich? D' Mutter will ich net veralterieren mit meinen Sorgen. Sonst hab ich kein Menschen net.« Die Worte waren ruhig gesprochen; dennoch klang aus ihnen etwas empor wie aus dem Schacht eines Brunnens.

Herzlich hingen Kittys Augen an dem Gesicht des Jäger. »Man weiß noch immer nicht, wer es getan hat?«

»Nix! Net der gringste Verdacht! Aber leben tut er schon noch, derselbig! Und wann mich unser Herrgott liebhat, führt er mich amal zamm mit ihm.« Kitty fühlte den Arm erzittern, der sie umschlungen hielt. »Und wenn der Strich, der bei der Rechnung gmacht wird, weg geht über mich – auf so was muß unsereiner gfaßt sein alle Tag.