Schon war er bis auf wenige Schritte dem Ufer nahe, da glitt ihm auf dem nassen Baum der Fuß aus. Von Kittys Lippen flog ein Schrei. Im Wanken wagte Franzl den Sprung ans Ufer. Glücklich erreichte er den festen Grund, doch die Bürde, die er trug, raubte ihm beim Aufsprung das Gleichgewicht, und er drohte sich rücklings zu überschlagen. In diesem Augenblick griffen zwei fremde Arme helfend zu und rissen den Stürzenden auf sicheren Grund. Kitty war einer Ohnmacht nahe. Sie fühlte nur, daß sie aus Franzls Armen glitt, und als sie die Augen öffnete, lag sie an der Brust eines jungen Mannes, und neben ihr stand Franzl, lachend, aber mit blassem Gesicht.
In Verwirrung richtete Kitty sich auf. Schwer wie Blei lag ihr die überstandene Angst in allen Gliedern. Sie mußte den Arm ergreifen, den der junge Fremde ihr bot. Was er sagte, konnte sie bei dem Rauschen des Wassers nicht verstehen. Den besten Weg über trockene Plätzchen suchend, führte er sie zur Eremitage und ließ sie auf die Steinbank niedersinken, die neben der Tür in die Mauer des kapellenartigen Häuschens eingelassen war.
Halb aus Bruchsteinen, halb aus dicken Baumklötzen gefügt, mit niederer Tür, zwei kleinen Fenstern und einem zierlichen Glockentürmchen über dem Rindendach, lehnte sich die Klause an die graue Felswand. Unter dem vorspringenden Dach war an den Balken des Firstes eine rote Marmortafel befestigt, die in verblaßter Goldschrift die Worte trug: »Hier wohnt das Glück.«
Wer hatte die Klause erbaut? Wer diese Inschrift angebracht? Und wie reich mußte jenes Glück, das hier erblüht war, gewesen sein, da jene, die es genossen, den Drang empfunden hatten, ihren Dank in Stein zu meißeln. Das Flecklein Erde, das diese Hütte trug, schien wie geschaffen, um ein verschwiegenes Glück vor dem Blick der Menschen zu bergen. Vom rauschenden Wildbach, vom weiten See, den das Gezweig der Bäume verschleierte, und von ragenden Felswänden umgrenzt, schob sich das kleine, samtgrüne Tal in das Herz des Berges, wie ein feines Kämmerchen inmitten eines riesigen Palastes, versteckt und abgeschieden, geschmückt mit allen Reizen der Natur.
Frischer und würziger hauchte nach dem vertobten Gewitter die reine Bergluft, saftiger leuchtete alles Grün an Busch und Bäumen. Hell glitzerten die über alle Felsen niederrinnenden Wasserfäden, und in buntem Feuer leuchteten die vom Dächlein der Klause fallenden Tropfen.
Nun erlosch der rote Sonnenschein, und alle Farben der Umgebung dämpften sich wie von einem zarten Schleier überzogen.
2
Kitty vermochte noch immer kein Wort zu sprechen; die Hände im Schoß und ohne Bewegung saß sie auf der Steinbank und sah dem Jäger nach, der den Wetterbach schon wieder überschritten hatte.
Auch der junge Fremde schwieg. Er stand neben der Bank und betrachtete forschend den gesenkten Mädchenkopf, als möchte er diese feingeschwungenen Linien und die schimmernden Töne des gewellten Haares in sein Gedächtnis prägen. Hätte nicht der Feldstuhl, die zusammengeklappte Staffelei und der Malkasten, der an der Mauer im Trockenen lag, den Beruf des jungen Mannes bezeichnet – schon dieser prüfend gleitende Blick und die schlanken Hände hätten den Künstler verraten. Er mochte einige Jahre über zwanzig zählen; seiner Jugend widersprach die stille Schwermut der dunklen Augen und der gereifte Ernst des schmalen, herb geschnittenen Gesichtes; glatt legte sich das kurze Braunhaar über die Stirn und mischte sich an den Schläfen mit dem schattigen Flaum des jungen Bartes, der sich um Wangen und Lippen kräuselte. Dieser Mund mit dem strengen Zug, in dem sich Kraft und Entschlossenheit verriet, war doch sanft geschwellt und hatte ein mildes, verträumtes Lächeln. Das Gesicht war nicht schön zu nennen, aber dieser Mund und diese Augen fesselten. Der hager aufgeschossene Körper war unausgeglichen, jugendlich eckig; dazu eine leicht vorgeneigte Haltung, wie sie nachdenklichen Naturen eigen ist; dennoch war die Gestalt nicht übel anzusehen; der leichte graue Sommeranzug, so bequem er saß, hatte modischen Schnitt, die Wäsche war wie Schnee, die weiße Seidenkrawatte tadellos geknüpft. Man merkte an ihm keine Spur von jener bei jungen Künstlern häufigen Vorliebe für das Nachlässige, aber auch keinen Zug vom Stutzer; er schien für seine äußere Erscheinung zu sorgen, weil es die Art eines wohlerzogenen Menschen ist, sich gut zu kleiden.
Je länger er niederblickte auf das liebliche Bild des Mädchens, desto wärmer wurde der Glanz seiner Augen; er schien eine Freude zu genießen: die Freude des Künstlers an jener Schönheit, die noch unberührt ist von der rauhen Hand des Lebens und einer Blütenknospe am Morgen gleicht.
Als hätte Kitty diesen Blick empfunden, so hob sie plötzlich die Augen. Das fremde Gesicht verwirrte sie, und dennoch hielt die stumme Sprache dieser Züge ihren Blick gefangen; das war eines von jenen Gesichtern, die auch ohne Worte von trüber Zeit erzählen.
Ihre Verwirrung schien ansteckend zu wirken. Verlegen suchte der junge Künstler nach Worten, und endlich brachte er die Frage heraus, ob sie den Schreck des kleinen Abenteuers völlig überstanden hätte.
Da fand sie ihre heitere Laune; lachend nickte sie und reichte ihm die Hand. »Ich danke Ihnen! Sie haben mich vor einem unangenehmen Bad behütet. Der Wetterbach hat heut seine böse Stunde. Das hätte übel für mich ausfallen können.« Sie rührte die Schultern, als empfände sie ein leises Grauen; doch gleich wieder lachte sie und erzählte vom Gewitter, vom Unterschlupf in der Wildscheune und von dem glücklichen Zufall, der »unseren guten Franzl« als Retter in der Not geschickt. Drollig schilderte sie den »kopflosen Schreck«, der sie befallen, als der Jäger den schwankenden Baum betrat. »Und ich hätte mir doch sagen müssen, daß ich sicher bin! Ich kenne doch unseren Franzl!« Sie unterbrach sich und blickte auf. »Wie waren Sie denn eigentlich so flink bei der Hand?«
»Das hab' ich meinem Fleiß zu danken.
1 comment