Ich bin schon seit dem Morgen hier und habe gearbeitet.«

»Gearbeitet?« Sie schien den Sinn dieses Wortes nicht zu verstehen. Da gewahrte sie die Geräte des Künstlers. »Ach, Sie malen!« Dem respektvollen Staunen, mit dem sie ihren jungen Retter betrachtete, war es anzumerken, daß vor ihren Augen ein lebendiger Künstler nicht viel geringer wog als einst in vergangenen Zeiten vor dem Blick des Burgfräuleins der tapfere Ritter, der den Drachen überwand. Neugierig spähte sie nach dem Leinwandrahmen, der gegen die Mauer gelehnt stand.

Der junge Maler schien nicht eitel zu sein; sonst hätte er diesen Blick zu deuten gewußt. »Auch mich hat das Gewitter überrascht, mitten in der besten Arbeit,« erzählte er, »und ich mußte eine Stunde hier unter der Tür sitzen. Aber es war herrlich, so hineinzuschauen in den Zorn der Natur. Sie ist immer schön, ob sie lächelt oder grollt, fast schöner noch in ihrem Zorn als in ihrem Frieden. Wenn ich sie so toben sehe, fühl' ich auch, daß ich ihr in solchen Augenblicken näher komme als in sonniger Stunde. In der Sonne steht sie vor mir wie ein Geheimnis in bunten Kleidern. Im Sturme seh' ich die Riesin, wie sie vor meinem Blick die Hülle zerreißt. Ich spähe ihr in das wildpochende Herz, und mir ist, als flösse in mich etwas über von ihrer Kraft.« Er sagte das ruhig, wie man selbstverständliche Dinge äußert.

Kitty blickte zu ihm auf mit großen Augen.

Er begegnete diesem Blick, und leichte Röte schlich über seine schmächtigen Wangen. »Als es vorüber war, hörte ich den Wildbach kommen. Und da lief ich hinunter. Es war prachtvoll anzusehen, wie das harmlose Wasserschlänglein in wenigen Minuten sich zum brüllenden Ungeheuer auswuchs. Und wie ich so stehe, seh' ich Sie plötzlich drüben aus dem Wald hervorkommen, auf dem Arm des Jägers. Das war ein so köstliches Bild, daß ich es mit ein paar Strichen zu fassen suchte.« Er griff an seine Taschen. »Wo hab' ich denn nur –?« Nun erschrak er. »Ach du lieber Himmel!« und mit langen Beinen sprang er zum Wildbach hinunter.

Verblüfft sah ihm Kitty nach; kaum war er zwischen den Bäumen verschwunden, da huschte sie auf den Leinwandrahmen zu, hob ihn von der Erde und machte sonderbare Augen, als sie die begonnene Studie sah. Etwas Außerordentliches hatte sie zu entdecken erwartet. Statt dessen sah sie ein Wirrsal noch nasser Farbenflecke, die sich flimmernd durcheinanderschlangen und den Vorwurf des Bildes kaum erkennen ließen: die Felswand in greller Sonne und zu ihren Füßen die Klause, übergossen von den Lichtern, die durch das Gezweig der Bäume fielen. Ein Kennerauge hätte gestaunt über die Kraft und Kühnheit, die sich in diesem raschen Erfassen einer malerischen Stimmung verriet. Kitty aber stellte sehr enttäuscht die Leinwand wieder gegen die Wand. Zu ihrem weiteren Ärger gewahrte sie noch, daß sie mit den behandschuhten Fingern in die nasse Farbe geraten war. »Pfui!« murrte sie und säuberte die Fingerspitzen an der Balkenwand.

Kaum saß sie wieder auf der Steinbank, als er vom Ufer heraufgestiegen kam, in der Hand ein graues Buch, das er mit dem Taschentuch abwischte. »Es ist glücklicherweise sehr günstig gefallen, als ich es fortwarf, um die Hände frei zu bekommen!« sagte er lächelnd. Dann schlug er das Buch auf und reichte es ihr.

Ein Laut freudiger Überraschung glitt beim Anblick des Blattes von Kittys Lippen. Wohl waren die beiden Figuren nur mit flüchtigen Strichen gezeichnet, aber jede Linie saß, und das kleine Bildchen hatte warmes Leben und bestrickenden Reiz.

Glücklich blickte Kitty zu dem Künstler auf. »Ist das wirklich so hübsch gewesen – wie hier?«

Er sah sie an. »Das da, das ist ja gar nichts. Das ist Asche.