Während Gundi Kleesberg in Verzweiflung die Hände rang, ließ er das Brett vom Ufer gegen den nächsten Felsblock fallen. Er trat auf den improvisierten Steg hinaus und schaukelte sich, um die Festigkeit des Brettes zu prüfen und Tante Gundis Mut zu erwecken. »So, Fräuln, kommen S' nur!« lachte er. »Da schauen S' her!« Er schaukelte sich, daß das schwingende Brett die schießenden Wellen fast berührte. »Dös Brettl, dös tragt Ihnen leicht, da dürften S' noch a paar gute Pfündln mehr haben!«
»Nein, nein, nicht um die Welt!« kreischte Gundi Kleesberg und streckte wehrend die Arme, als sollte sie mit Gewalt in den sicheren Tod geschleift werden. »Lieber bleib ich die ganze Nacht!« Während ihr die Tränen der Angst über die Schlotterwangen kollerten, schrillte ihre Stimme: »Kitty! Kitty! Du Ungeheuer!« Zu allem Jammer erwachte in ihr noch ein neuer. »Wo ist sie denn? Ich sehe sie nicht!«
»Sie wird halt mit dem jungen Herrn Maler im Kapuzinerhäusl sein.« Franzl streckte die Hände. »Also weiter, Fräuln, kommen S'!«
Er hatte Tante Gundi beruhigen wollen. Aber der Schreck, den ihr seine Worte einjagten, sprach aus ihren weit aufgerissenen Augen. Keuchend rang sie nach Luft. »In der Klause? Mit einem –« Da ging ihr schon wieder der Atem aus. Aber ihre Angst hatte plötzlich alle Komik verloren. »In der Klause? Das ist gerade der richtige Platz! Als hätten wir nicht schon genug an jenem ersten –« Versagte ihr die Stimme, oder verschluckte sie ein Wort, das nicht über ihre Lippen kommen durfte? »Nein! Nein! Und wenn es mein Leben kostet! Das will ich verhindern!«
Tante Gundi richtete sich auf wie eine Löwin, die ihr Junges verteidigt. Und als wäre die stille, friedliche Klause ein Abgrund der Gefahr, aus dem sie das ihrer Obhut anvertraute Mädchen erlösen mußte, so stürzte sie auf das Ufer zu und klammerte sich an die Hände des Jägers. Kaum hatte sie das Brett betreten, kaum fühlte sie dieses bedenkliche Schaukeln, kaum sah sie unter ihren Füßen das schießende Wasser, da war es wieder vorbei mit ihrem Löwenmut. Aber Franzl hielt fest. Da gab es kein Zurück mehr. Ihre Seele mit einem Stoßgebetlein dem Herrn empfehlend, stieß Tante Gundi einen klagenden Schrei aus und schloß in Schwindel die Augen.
Trotz des rauschenden Lärmes, den der tobende Bach erhob, klang dieser Schrei bis zur Klause.
Forbeck lauschte. Aber da hörte er hinter sich einen Ausruf fröhlicher Überraschung. »Köstlich! Jeder Zug! Dieser Mund! Dieses Zwinkern im Auge! Als stünde er vor mir, wirklich und wahrhaftig!« So sprudelten Kittys Worte. »Herr Forbeck! Wie kommen Sie zu diesem Bild?«
Was Kittys Jubel erweckt hatte, war das Brustbild eines alten Jägers mit geflickter Joppe und mürbem Filzhut, auf dem eine geknickte Spielhahnfeder saß.
»Nicht wahr, ein famoser Kerl, dieser alte Waldbär!« sagte Forbeck, der Kittys Freude nicht völlig zu begreifen schien. »Ein Typus von Jäger und Bauer! Echter Volksschlag. Sehen Sie nur diese knochige Stirn an, diesen Falkenblick im Auge, diese Adlernase und den gewalttätigen Mund! Was da in jeder Linie liegt an Kraft und rücksichtsloser Derbheit! Und dieser zausige weiße Bart! Das ist unglaublich charakteristisch. Der Alte muß einen Zorn haben wie der Sturmwind, und dann fährt er wohl mit seinen schwieligen, sonnverbrannten Fingern in diesen Bart und zerrt –« Forbeck verstummte. Die Sache mochte ihm nun doch etwas sonderbar erscheinen, denn Kitty lachte, daß ihr die Tränen kamen.
»Köstlich! Aber wie sind Sie denn zu diesem Bild gekommen?«
»Ich machte vor einigen Tagen eine Bergpartie, und da ist mir der Alte in der Nähe einer Sennhütte in den Weg gelaufen. Er stach mir gleich in die Augen, und so bat ich ihn, mir eine Stunde zu sitzen.«
»Und das hat er getan?«
»Natürlich! Er schien riesig geschmeichelt, als ich ihn ›Herr Förster‹ titulierte. Und er wußte wohl auch, daß ich es nicht umsonst verlangte.«
Kitty schien von einer Ekstase heiterer Laune befallen. »Und Sie wissen nicht, wer das ist? Wirklich nicht?« Vor Lachen vermochte sie kaum weiterzusprechen. »Das ist doch mein Papa!«
Forbeck trat verblüfft zurück. Er begriff nicht.
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