Dann, ohne sich nach seinem Opfer umzusehen oder seine Büchse neu zu laden, wandte er sich ab und schritt seitwärts tiefer in den Wald hinein. – –

Lange hatte Anna auf ihn warten müssen; jetzt saß er wie abwesend neben ihr am Mittagstische, der frische Knall, womit er den Raben niederschoß, war längst verhallt; nur die Reden der beiden Herren vom Schlosse waren in voller Schärfe noch vor seinen Ohren. Das junge Weib beobachtete ihn verstohlen, und ein paarmal zuckten ihre Lippen, als ob sie reden wolle, aber sie fühlte wohl, sie durfte heute nur schweigend ihm zur Seite bleiben.

Gleich nach Mittag ließ er seinen Rappen satteln. »Willst du schon wieder fort?« rief Anna fast erschrocken und hing sich wie eine Last an seinen Arm.

Ja, er müsse fort; in der letzten Sturmesnacht, drüben bei den äußersten Parzellen, seien Windbrüche in den Eichenschlag gefallen.

»So reite morgen!« bat sie, »der Schaden wird ja drum nicht größer werden!«

»Morgen? Morgen ist wieder andres da.«

Er blickte sie nicht an; er stand wie ein Gefesselter, der ungeduldig auf Befreiung wartet, aber sie klammerte sich nur fester an ihn. »Ich bin wohl töricht«, sagte sie, »aber mir ist so bange deinetwegen! Rudolf, lieber Mann, bleib bei mir, laß mich nur heute nicht allein!« Und da er unbeweglich blieb, legte sie die Hand an seine Wange, daß er die Augen zu ihr wenden mußte. »Du siehst so finster aus, du hörst mich nicht!«

Wohl hörte er sie; aber was sollte ihm die schöne Lebensfülle, die aus dieser Stimme ihm entgegendrängte? Wie eine Todesangst vertrieb es ihn aus der geliebten Nähe.

Hastig bückte er sich und berührte mit seinen Lippen flüchtig ihre Wange: »Laß mich jetzt, ich komme ja zu Abend wieder!«

Er stand schon vor der Haustür, wo die Magd das Pferd am Zügel hielt, während Anna noch seine Hand gefaßt hatte. Plötzlich riß er sich los, nickte noch einmal nach ihr zurück und ritt davon.

Aber es war bald nur noch der Rappe, welcher sich die Wege suchte; ob sie zu den Windbrüchen in den Eichen führten, was kümmerte das den Reiter!

Von der Treppenstufe vor der Haustür hatte Anna ihm nachgeblickt, solange ihre Augen ihn erreichen konnten ; dann griff sie über sich und legte ihre Hand um einen Ast der Eiche, welche hier ihr dichtestes Gezweige wölbte. So blieb sie stehen, die Wange gegen den eigenen schlanken Arm gepreßt, ihre Augen füllten sich mit Tränen, ein Schluchzen drängte sich herauf, das sie nun nicht zurückhielt. Was sollte sie beginnen? – Sie hatte nicht den Mut verloren, sie wußte, sie durfte ihn nicht verlieren; nur nachts, wenn er in schwerem Schlummer stöhnte, hatte sie wohl in jähem Schreck sich über ihn geworfen; sonst, sie meinte doch, hatte sie tapfer ihre Angst hinabgeschluckt. – Was hatte es ihr geholfen?

Über ihr ging ein Lufthauch durch den Baum, und ein Regen gelber Blätter wirbelte zu Boden; da gedachte sie der Fahrt zu Bernhard, die sie Rudolf neulich vorgeschlagen hatte; die letzten schönen Tage schienen jetzt gekommen. Aber plötzlich, und sie schrak jäh in sich zusammen, kreuzte schon ein andres ihre grübelnden Gedanken. Sollte es Eifersucht auf Bernhard sein? – Unmöglich! – Aber dennoch; Rudolfs seltsames Gebaren war dann auf einmal zu erklären.

Noch einige Augenblicke blieb sie sinnend stehen; eine Hoffnung, ein mutiges Lächeln verklärte ihr junges Antlitz: sie meinte endlich dem unbekannten Feinde Aug in Aug zu schauen. Dazu, in nächster Zeit, erwarteten sie den Besuch von Rudolfs Mutter; war auch die Frau Forstjunker ihr selbst noch immer eine Fremde, sie liebte, sie kannte ihren Sohn seit seinem ersten Schrei: mit ihr im Bunde wollte Anna den Feind bekämpfen.

Ihre Hand ließ den Ast, den sie so lange umfaßt gehalten hatte, fahren; dann, ihr blondes Haar zurückschüttelnd, ging sie mit kräftigen Schritten in das Haus zurück. –

Der Nachmittag verging, das Forsthaus und die alte Eiche glühten im Abendschein; dann kam die Dämmerung; dann hinter dem Walde stieg der Mond empor und warf seinen bläulichen Schimmer auf den leeren Platz am Hause; aber Rudolf war noch nicht zurück.

Wieder, wie am Vormittage, saß Anna wartend im Wohnzimmer, nur brannte jetzt die Lampe, und es war noch stiller um sie her. Mitunter sprang sie auf, und ihre Arbeit hinwerfend, trat sie ans Fenster und drückte das Ohr gegen eine der Glasscheiben, dann plötzlich lief sie vor die Haustür; aber nur die Eulen mit ihrer Brut schrien vom Walde herüber; auch einmal im Stalle hinten hatte der Hahn geträumt und krähte dreimal in die Nacht hinaus. Und wieder saß sie drinnen bei ihrer Arbeit, der eine Fuß nur auf der Spitze ruhend, das Haupt halb abgewandt, wie in die Ferne lauschend. Da, das war keine Täuschung, scholl es vom Weg herauf; das war der Hufschlag ihres Rappen, und näher und näher kam es. Sie war nicht aufgesprungen; langsam und wie vorsichtig, um keinen Laut von draußen zu verlieren, hatte sie sich aufgerichtet. »Rudolf!« rief sie, und endlich, im dunkeln Hausflur, hielt sie ihn umfangen. »Gott Dank, daß ich dich wiederhabe!«

Als sie aber drinnen beim Lampenschein in das verstörte Antlitz ihres Mannes sah, da ging sie aus dem Zimmer, als ob sie draußen im Hause etwas Eiliges zu beschaffen habe; dann nach einer Weile kehrte sie anscheinend ruhig zurück.

Bei ihrem Eintritt kam Rudolf ihr entgegen; er wollte nach seinem Zimmer; es seien noch Sachen, die er bis morgen fertigstellen müsse.

»Aber du willst doch erst zu Abend essen?« Und sie zog ihn an den schon längst gedeckten Tisch.

Er nahm auch einige Bissen. Dann stand er auf. »Laß dich nicht stören, ich muß machen, daß ich an die Arbeit komme!«

Ein schmerzliches Zucken flog um ihren Mund; aber sie suchte ihn nicht aufzuhalten. »Um zehn Uhr komm ich zu dir!« rief sie ihm freundlich nach, als er hinausging.

Die Arbeiten, von denen er gesprochen hatte, waren kein bloßer Vorwand, am folgenden Morgen hatte er sie dem Grafen persönlich zu überreichen. Auch saß er in seinem Zimmer bald darauf am Schreibtisch ; er sagte sich, das müsse noch beseitigt werden, und suchte gewaltsam, und bis das Hirn ihn schmerzte, seine Gedanken festzuhalten und auf einen Punkt zu drängen. Aber die Feder berührte meist nur das Papier, um das Geschriebene gleich wieder fortzustreichen; so ging es eine Weile, endlich sah er, daß er sie zerbrochen hatte. »Schlechte Musikanten!« murmelte er vor sich hin. »Der Graf hatte recht: es geht nicht mehr, aber – weshalb denn geht es nicht?«

Da stand die rußige Gestalt des Schmiedes vor ihm; so dicht, die stierenden Augen und das verzerrte Antlitz lagen fast an dem seinen; ein leises höhnisches Gelächter fuhr ihm kitzelnd in die Ohren: »Dreizehn Jahre? – Es kann auch früher kommen!«

Deutlich hatte er das sprechen hören! Er fühlte, wie sich das Haar auf seinem Haupte sträubte. Aber er hörte noch mehr: es jammerte, es wimmelte um ihn her; er war aufgesprungen und schlug mit beiden Armen um sich. »Fort!« schrie er; »fort, Gespenster!«

Aber er war doch nicht mehr allein in seinem Zimmer; die Geschöpfe seines Hirnes waren mit ihm da und wichen nicht. Mit heftigen Schritten ging er auf und ab, hastig bald links, bald rechts die Blicke werfend; der Schweiß war in großen Perlen ihm auf die Stirn getreten.