Heathcliff, ist seine Witwe?«

»Ja.«

»Woher stammt sie eigentlich?«

»Sie ist die Tochter meines verstorbenen Herrn, Catherine Linton war ihr Mädchenname. Ich habe sie großgezogen, das arme Ding. Ich hatte geho, Mr. Heathcliff werde sie zurückschicken, dann hätten wir wieder zusammen leben können.«

»Was, Catherine Linton?« rief ich erstaunt. Aber eine kurze Überlegung überzeugte mich, daß das nicht meine gespensti-sche Catherine war, und ich fuhr fort: »Dann war der Name meines Vorgängers Linton?«

»Ganz recht.«

»Und wer ist dieser Earnshaw, Hareton Earnshaw, der bei Mr. Heathcliff wohnt? Sind die beiden verwandt?«

»Nein, er ist der Neffe der verstorbenen Mrs. Linton.«

»Also der Vetter der jungen Dame?«

»Ja, und ihr Mann war ebenfalls ihr Vetter, der eine mütterli-

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cherseits, der andere väterlicherseits: Heathcliff hat Mr. Lintons Schwester geheiratet.«

»Ich sah, daß am Haus in Wuthering Heights über der Ein-gangstür ›Earnshaw‹ eingemeißelt steht. Ist es eine alte Familie?«

»Sehr alt, Mr. Lockwood, und Hareton ist der Letzte von ihnen, so wie unsere Miß Cathy die Letzte von uns – ich meine, von den Lintons – ist. Waren Sie in Wuthering Heights? Verzeihen Sie, daß ich frage, aber ich wüßte gern, wie es ihr geht.«

»Mrs. Heathcliff? Sie sah sehr gut und sehr schön aus, aber ich fürchte, sie ist nicht sehr glücklich.«

»Du liebe Güte, das ist kein Wunder! Und wie gefiel Ihnen der Herr?«

»Ein recht grober Patron, Mrs. Dean. Stimmt das nicht?«

»Rauh wie ein Reibeisen und hart wie Granit! Je weniger Sie sich mit ihm einlassen, desto besser.«

»Er muß allerhand erlebt haben, was ihn zu einem solchen Grobian gemacht hat. Kennen Sie seine Lebensgeschichte?«

»Er ist ein Kuckucksei, Mr. Lockwood; ich kenne sein ganzes Leben, weiß nur nicht, wo er geboren ist, wer seine Eltern waren und wie er zuerst zu seinem Gelde gekommen ist. Und Hareton ist ausgestoßen worden, wie ein nackter kleiner Vogel!

Der unglückliche Junge ist in unserem ganzen Kirchspiel der einzige, der keine Ahnung davon hat, wie sehr er benachteiligt worden ist.«

»Wissen Sie, Mrs. Dean, Sie würden ein gutes Werk tun, wenn Sie mir etwas über meine Nachbarn erzählten. Ich fühle, ich könnte jetzt noch nicht schlafen, wenn ich zu Bett ginge, also seien Sie so gut und plaudern Sie ein Stündchen mit mir.«

»Recht gern, Mr. Lockwood! Ich will nur mein Nähzeug holen, dann bleibe ich so lange, wie Sie wollen. Aber Sie haben sich erkältet; ich habe gesehen, daß Sie frösteln. Sie müssen jetzt eine Haferschleimsuppe essen, um die Krankheit zu vertreiben.«

Die treffliche Frau lief geschäig hinaus, und ich rückte näher ans Feuer; mein Kopf glühte, und mein Körper war eiskalt; Nerven und Gehirn waren in hohem Maße erregt. Ich fühlte mich nicht unbehaglich, aber ich fürchtete (und befürchte es noch), daß die heutigen und gestrigen Ereignisse ernste Fol-

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gen haben werden. Mrs. Dean kam bald wieder und brachte eine dampfende Schüssel und einen Nähkorb mit. Sie stellte die Suppe auf den Kaminsims, und augenscheinlich erfreut, mich so umgänglich zu finden, rückte sie ihren Stuhl näher.

Bevor ich hierherkam – begann sie, ohne eine weitere Aufforderung zum Erzählen abzuwarten –, war ich meistens in Wuthering Heights; denn meine Mutter war die Amme von Mr.

Hindley Earnshaw, das war Haretons Vater, und ich war ge-wöhnt, mit den Kindern zu spielen. Ich besorgte auch Boten-gänge, half beim Heuen und lungerte auf dem Gut herum, stets bereit, kleine Auräge auszuführen. Eines schönen Sommermorgens – ich entsinne mich, es war zu Beginn der Ernte – kam Mr.