Ein Brüllen aus Wolkenschlünden, der Boden schütterte.
Er schleppte sein Kind über die rauchenden Blütenaschen zur Gartenpforte.
Die silbernen Gitter waren geschmolzen. Die Malven taumelten geknickt und zerrauft.
An der Schwelle zerrann ihm die Tote unter den Händen. Er trat zurück. Immer wieder entglitt sie ihm. Er konnte sie nicht über die Schwelle zwingen.
Dann legte er sein Kind in die warmen Aschen und küßte es auf das schweigende Herz und flüsterte in das tote Ohr:
»Ich werde dich wiedergebären. Auf Wiedersehen! Ich werde dich wiedergebären.«
Dann ging er.
Hinter ihm fraßen die Blitze sein Paradies.
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Ein Vernichtungskampf begann gegen das Lasterblut, das er eingesogen.
Er raste gegen die Welt, gegen sich, gegen sein Fleisch.
Er preßte Tropfen um Tropfen des wollüstigen Giftes aus seinem Körper, und wenn die Nägel nicht mehr pressen wollten, dachte er an das Verlorene und wühlte mit neuem Willen in seinen Adern.
So gingen Jahre.
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An einem Nachmittag im Spätherbst lag der stumme Mann zu Hause.
Er hatte Schnupfen.
Auf dem Sofa vier, fünf Taschentücher. Den Rauchtisch neben sich gerückt, darauf einige Bücher. Auf dem Stuhl daneben wieder Taschentücher. Und die Polster mit Karbol besprengt.
Der Gaumen schmerzte und spannte, der Hals kratzte und die Nase stach.
Es wurde dunkel, und er setzte sich an das Fenster. Er blätterte in einem neuen Buche. Er wollte die Seiten nicht erst aufschneiden. Damit das Licht auf jede Seite fiel, stand er bald abwechselnd links, bald rechts am Fenster.
Aber bald schmerzten die Augen. Die Buchstaben zitterten, das Buch schwankte in seiner Hand, und er legte es auf das Fensterkissen.
Es war fast ganz dunkel.
Er stand an einem Sessel, hielt die Lehne in den Händen und starrte immer auf seine Gedanken.
Je dunkler es wurde, desto deutlicher sah er sich – die feinste Runzel und die fernste pochende Ader, und all die dunklen kreisenden Wünsche bekamen Farbe und leuchteten.
Aber alle Äste trafen sich in einem Kern, und von dem Kern bröckelten lockere Schlacken ... und im Innern durch matte Häute und Ritzen schnitten schon zage blaue Strahlen und das Licht preßte sich immer steifer, genährter gegen die Schale. Bald mußte sie fallen. –
An der Türe klopfte es.
Das Mädchen.
Den Brief bringe ein Dienstmann und warte auf Antwort.
Der stumme Mann nickte. Machte Licht.
Von Freunden eine Einladung.
Er setzte sich an den Schreibtisch.
Ihr verzeiht. Ich kann mit dem besten Willen nicht kommen. Ihr müßt mir schon einige Wochen Einsamkeit gönnen. Ich muß mich schonen, da ich bald gebären werde.
Das Mädchen nahm die Antwort und ging. –
Der stumme Mann blies das Licht aus. Setzte sich ganz leise an das Klavier. Und spielte stumm, ohne einen Ton anzuschlagen. Dabei sah er im Dunkeln ganz genau, wie glücklich er lächelte.
Die Geburt des Genies
In Felsen kauert die Seele.
Sie lauscht ihrem Atem,
Und atmet ihre Gedanken.
Aber die Ruhe allein gibt ihr nicht die Kraft,
Sie saugt ihre Kraft aus der Erschöpfung,
Aus dem Vertönen erschlaffender Kräfte.
Das Meer wälzt seine Berge um die Stille,
Und ihre Einsamkeit umbrüllen die Wellen,
Über die Felsen fliegt gieriger Schaum,
Er netzt nicht, – er zerspringt in Luft –
Kein Hauch berühret die Seele.
Und dann, ein Tag! Ein Jahr! Ein Jahrhundert!
Kein Zeitraum, der den Triumph einer Sekunde umfassend erschöpfe,
Die Felsen wanken, bersten, zerkrachen.
Das Echo sprengt splitternd die Lüfte,
Spaltet die Ruhe, schleudert Berge empor,
Und schroff auf, wild im Flammensprung,
Im begeisterten Arme die Fackel,
Gebärt das Genie sich dem Lichte!
Sehnsucht
Ihre Arme umschlingen den Mondenschein
Und ringen nach den Sternen,
Die Augen wühlen sich in die Nacht,
In kalte leblose Fernen.
Und es umkrallt die bettelnde Hand
Den tauben Stein, den toten Sand,
Zermalmt von verzweifeltem Sehnen.
Ertrinkend in Sehnsucht und Tränen.
Frühling
In tauiger Nacktheit eine junge Wiese, dünne silberne Stämme nackt, kühle Blütenblässe in der Luft.
Ein rothaariges Mädchen nackt bis zu den Hüften. Nur um die Füße ein Gewand blaugrau aus Sonnenrauch. Durch die Wiese langsam ein glattes Wasser, entlang Weidengefaser, Röhricht, so um den Weiher und den Hügel hinauf.
Eine bleiche Reifstarre, ein Frösteln im Grün und über den rotvioletten Buschweiden. Aber im zarten Wasser ein milchsüßes Blau und ein Rosa wie Mandelblüten, das Spiegelecho singender Wolken.
Primelstille, Veilchenwärme und erregter Erdduft ringsum.
In allem geht das halbreife Kind mit den schmächtigen keimenden Brüsten. Ein schmales Lächeln, das Lächeln des Kindes geht im Goldschein über die Wiese, durch stille Bäume und klingt im rosigen blauen Wasser.
Sie greift nach den dünnen leeren Zweigen, das Reis saugt ihre Wärme.
Um sie im Blaßblau und Rosa und Grün drängt ein weiches Erschließen, ein gelockertes Keimen.
Silberiger Duft ist fern über die Höhe geweht, Samtstaub von Blüten, tauender Reifhauch über allen Farben.
Das Goldgrün und das bereifte Blaugrün lispeln ein Sonnenscheinlied, das blaurote Gestrüpp wispert es und die grünweißen Schneeglöckchen neigen sich, schaukeln in daunenweichen Lüften.
Der Zug der Zwergweiden trottelt den Hügel hinauf. Nur die Nächsten warten, lauschen mit dünnem, sehnsüchtigem blauen Blut und zittern in der Wärme, die von dem Leibe des Kindes strömt.
Sein Fleisch ist blau und kühl, und nur vom roten Haar strahlt Wärme und aus den Augen.
Braune Knospenaugen, noch von keinem Geschehnis geritzt.
Die Lippen von den Zähnen gezogen, zwischen den Zähnen lispelt sie das Sonnenlied.
Die braunen Augen horchen den Lippen und flüstern und lächeln mit den Lippen.
Sie geht mit weichem kosenden Schritt. Sie vergißt keinen und grüßt alle.
Sie ist eben erst erwacht aus dem reifdünnen Grase ohne Staunen, ohne Wundern – es ist Frühling und sie streichelt ihn und lächelt mit seinem Rosa, seinem Blau, seinem Grün und seinem Silber.
Johanni
Himmel, Erde schaffenstrunken.
Noch die Nächte schlürfen lechzend
Des erschöpften Tages Helle,
Bleiches Dunkel atmet Funken,
Und das Spätlicht schleppt sich ächzend
Durch die Mittnacht,
Zu des jungen Tages Schwelle.
Sonnenfeuer kochen Säfte.
Blütenzarte dort versengt.
Aus dem weichen Maienkosen
Drängen willenstarke Kräfte,
Und die Sommerreife senkt
Sinnend ihre ernsten Rosen.
Satt zerrann das Frühlingsgirren,
Grimme Sensenhiebe klirren,
Halme seufzen, in der Luft,
Von Vergänglichkeit umwittert,
Wanket schwermutweher Duft,
– und das stolze Leben zittert.
Herbstbacchanal
Die stolze Fülle verstümmelt, gebrochen.
Die reiche Erde verknöchert, bestaubt.
Fäule kommt auf trägem Leib gekrochen
Und reckt voll Gier das graue Moderhaupt.
Doch trotzig sträuben sich die zähen Pulse,
Die Todesangst fliegt auf, taumelt, rafft
Aus dem zermorschten Siechen
Die letzte, ringende Kraft.
Zitternde Bläße schminkt sich
Mit stierem grinsenden Blut,
Mühsames Leben lodert
Leere, erheuchelte Glut.
Flammenjauchzen durchgellt
In grassem Echo die Welt,
Betäubende Feuer schäumen,
Farben tollen, bäumen
Schrille, kreischende Funken,
Lachen rast, wahnsinntrunken.
Doch unter all dem blinden Tosen,
Durch den verzweifelten Sturm,
Pocht an die flackernden Rosen –
Der Totenwurm.
Wintersonne
Es geht ein Licht vom Himmel wie Rosenmilch.
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