Den schmalsten Schattenrand benützend, und über die Strecken, wo sie die Trottoirs besprengt hatten, mit Behagen in die glatten dunklen Lachen.
Er war schon vorbei. Aber die Kühle zog sich ihm in den Nacken. Da trat er zurück in die weite hohe Türe, in die eisig nächtige Kirche.
Einen Augenblick kreiste und zersprang es in flimmernden Blasen und splitterndem Sand über seiner Haut, seinen Augen. Bis Wärme und Kälte sich gemischt hatten. Und auch das Licht, das er in sich trug mit dem Dunkel um ihn.
Durch die hageren langen Fenster filtrierte nur dünnes Nebellicht. Aber das Säulengold und das Altargold troff in dem wenigen Lichte blankschweißig. Das Purpurgehänge am Hochaltar mit dem Staubpelz blähte sich üppig in feisten Falten.
Unten in braunen trägen Chorstühlen hockten alte Frauen und standen graue runzlige Männer, wie in Ställe gepfercht, und andere kamen, tauchten drei Finger in das gelbe, steinerne Weihwasserbecken und besprengten sich.
Aber alle starrten zu den goldenen Puppen und dem Bilde eines Hingerichteten zwischen roten Marmorsäulen.
Da kam eine schamdunkle Demütigung über den stummen Mann.
Siehe, diese sind alle deine Brüder und Schwestern. Und sie knien hier, gläubig vor dem Golde und dem Flitter und hoffen und verlangen. Und keiner unter ihnen ahnt, daß er vor einem tauben Loche kniet.
Das Loch gibt ihnen nichts als seinen hohlen leeren Atem. Aber sie glauben ihm, denn es läßt die Hoffnungen auf der einen Seite ungehindert ein, auf der andern wieder hinaus. Und weil das Loch so gutmütig ist und ihr Wünschen nicht hemmt, haben sie Gold um seinen Schlund gebaut und Marmor und Purpur. Halten es heilig, weil es so sehr bequem, so ungemein beruhigend ist, dies Wunschloch.
Aber es wird eine Zeit kommen mit zurückgeworfenem Nacken und Knien von Eisen und gehärteten Augen, vor ihnen wird das Gold und aller Flitter vor dem Loche wie weichliche Daunen zerstäuben, und sie werden den Blick der Leere ertragen.
Es ist traurig, wie diese hier blöde wie Tiere stieren und ihre Kraft mit dem Brüten über einem hohlen Loche verschlemmen.
Wolltest du jetzt schon an das Loch klopfen, daß seine Hohlheit ertöne, steinigen würden sie dich. Sie würden dich steinigen.
Siehe, das sind deine Brüder und Schwestern. –
Auf den Gesimsen standen kleine weiße Figuren aus Wachs. Ein so naives, lallendes Weiß. Es gehörte nicht in den plumpen Wust. Es ist heilig, dieses Weiß. Dies Weiß allein ist heilig.
Und der stumme Mann mußte an sein Kind denken.
Eine Frau mit dickem Leib, hängenden Wangen und Nase und Augen spitz und zänkisch, stand zum Fortgehen am Weihwassertrog. Immer wieder kreuzten die Finger Stirn, Mund, Brust, Stirn, Mund, Brust. Ihr Rock staubig wie Spinnweben, und so gelb hornig das Gesicht. Dazu ein Blinzeln von tückischen Wimpern.
Der stumme Mann sehnte sich nach seinem Kinde.
Er ging wieder. Die Hitze preßte sich auf seine Schultern. Diese Straße steil, mit den bleiernen Häusern, den sonnenblanken endlos gezerrten Gesimslinien, die Fenstervierecke in marternder Regelmäßigkeit, ein polternder, fauldunstiger Bierwagen, Lastkarren wie Gerippe und gedunsene erschöpfte Menschengestalten, das steigerte die Sehnsucht nach seinem Kinde.
Aber kann ich wieder zu meinem Kinde? Er stand vor einem Schaufenster, drinnen in langen Reihen Stiefel und Schuhe, Glanzleder – und die Schuhe oben mit zerknittertem Stanniol ausgestopft.
Er musterte sich in der Scheibe.
Etwas gebeugter ging er. Und die faltige Schneide an der Nasenwurzel war grauer.
Dies zehrende Mohnblut, das er jetzt in sich trug! Dies stete Wimmern lechzender Sinne!
Es war damals anders, als er täglich sein Kind besuchte.
Eine silberdünne Sehnsucht schmachtete jetzt in ihm nach diesem Damals. Ein weiches Dehnen der Züge, die Brauen hoben, rundeten sich, und die trübe Schicht der Augen geritzt, zerfloß.
Sein Kind! – Dieses Kind!
Es griff sich in den eigenen Blick, bis in das Herzblut tief, es rann wie goldblauer Schnee, so rein strahlten seine Gedanken, so kühl, so durchsichtig.
Der rote Vorhang im Schaufenster zwischen zwei hohen Lackstiefeln bewegte sich.
Er wandte sich rasch. Sein Gesicht zerknitterte wieder, aber in sich blieb er strahlend. Und er hielt schützend die Hand über die zarten scheuen Gedanken.
Dann zu Hause.
Im Korridor quoll Seifendunst. Er ging rasch in sein Zimmer, und zugeriegelt und gleich wieder vor den Spiegel.
Und nun mit Bekümmernis und pochendem Hoffen wieder untersucht, Gesicht, Haltung. Würde sein Kind ihn erkennen, er war entstellt. Dann rasch abgebrochen mit dem Zerfasern – schloß die Fenster, einen Augenblick hielt er noch den sonnenglühenden Fenstergriff in der Hand.
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