Versuchung!
Die geladene Puppe, die in den Abgrund fällt
The Doll. Temptation!
The loaded doll, which falls into the chasm
Schloss Berg am Irchel, December 1920
Dies überstanden haben: auch das Glück
freudig bestanden haben, still und gründlich.
Bald war die Prüfung stumm, bald war sie mündlich.
Wer schaute nicht verwundert her zurück?
Gekonnt hats keiner, denn das Leben währt,
weils keiner konnte.—Aber der Versuche
Unendlichkeit. Das neue Grün der Buche
ist nicht so neu, wie was uns widerfährt.
Waldtaube gurrt. Und wieder scheint dir ach
was du erlittest, wie noch unerlitten.
Der Vogel ruft. Du bist inmitten
des Vogelrufs. Zugleich erwacht und schwach.
To have come through it: to have joyfully
survived even the happiness—quietly, completely.
First the testings were mute, then verbal.
Who could look back unamazed?
No one has been able, since life lasts
because no one could.—But the infiniteness
of the attempts! The new greenness of birch trees
is not so new as that which befalls us.
A wood dove coos. And again what you suffered
seems, ah, as if yet unlived-through.
The bird keeps calling. You are in the middle
of the call. Awake and weakened.
Schloss Berg am Irchel, beginning of April 1921
DIE HAND
Siehe die kleine Meise,
hereinverirrte ins Zimmer:
zwanzig Herzschläge lang
lag sie in einer Hand.
Menschenhand. Einer zu schützen entschlossenen.
Unbesitzend beschützenden.
Aber
jetzt auf dem Fensterbrett
frei
bleibt sie noch immer im Schrecken
sich selber
und dem Umgebenden fremd,
dem Weltall, erkennts nicht.
Ach so beirrend ist Hand
selbst noch im Retten.
In der beiständigsten Hand
ist noch Todes genug
und war Geld
THE HAND
See the little titmouse,
lost and bewildered in the room:
twenty heartbeats long
it lay in a hand.
Human hand. One determined to protect.
Unpossessingly protect.
But
now on the windowsill
free
it remains cut off in its fear
from itself
and what surrounds it,
the cosmos, which it doesn’t recognize.
Ah, how perplexing a hand is
even bent on rescue.
Even the most assistance-giving hand
still has death enough
and held money
Muzot, end of 1921
Solang du Selbstgeworfnes fängst, ist alles
Geschicklichkeit und läßlicher Gewinn—;
erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles,
den eine ewige Mit-Spielerin
dir zuwarf, deiner Mitte, in genau
gekonntem Schwung, in einem jener Bögen
aus Gottes großem Brücken-Bau:
erst dann ist Fangen-Können ein Vermögen,—
nicht deines, einer Welt. Und wenn du gar
zurückzuwerfen Kraft und Mut besäßest,
nein, wunderbarer: Mut und Kraft vergäßest
und schon geworfen hättest . . . . . (wie das Jahr
die Vögel wirft, die Wandervogelschwärme,
die eine ältre einer jungen Wärme
hinüberschleudert über Meere—) erst
in diesem Wagnis spielst du gültig mit.
Erleichterst dir den Wurf nicht mehr; erschwerst
dir ihn nicht mehr. Aus deinen Händen tritt
das Meteor und rast in seine Räume …
As long as you catch self-thrown things
it’s all dexterity and venial gain—;
only when you’ve suddenly caught that ball
which she, one of the eternal players,
has tossed toward you, your center, with
a throw precisely judged, one of those arches
that exist in God’s great bridge-system:
only then is catching a proficiency,—
not yours, a world’s. And if you then had
strength and courage to return the throw,
no, more wonderful: forgot strength and courage
and had already thrown . . . . . (as the year
throws the birds, those migrating bird swarms,
which an older to a younger warmth sends
catapulting across oceans—) only
in that venture would you truly join in.
No longer making the throw easy; no longer making
it hard. Out of your hands the meteor
would launch itself and flame into its spaces …
Muzot, January 31, 1922
… Wann wird, wann wird, wann wird es genügen
das Klagen und Sagen? Waren nicht Meister im Fügen
menschlicher Worte gekommen? Warum die neuen Versuche?
Sind nicht, sind nicht, sind nicht vom Buche
die Menschen geschlagen wie von fortwährender Glocke?
Wenn dir, zwischen zwei Büchern, schweigender Himmel erscheint: frohlocke…,
oder ein Ausschnitt einfacher Erde im Abend.
Mehr als die Stürme, mehr als die Meere haben
die Menschen geschrieen … Welche Übergewichte von Stille
müssen im Weltraum wohnen, da uns die Grille
hörbar blieb, uns schreienden Menschen. Da uns die Sterne
schweigende scheinen, im angeschrieenen Äther!
Redeten uns die fernsten, die alten und ältesten Väter!
Und wir: Hörende endlich! Die ersten hörenden Menschen.
… When will, when will, when will it be enough,
the saying and lamenting? Have not master formulators
of human words been here? Why the new attempts?
Are not, are not, are not humans
hammered at by books as by perpetual bells?
When, between two books, silent sky appears: rejoice…,
or simply a patch of earth at evening.
Louder than storms, louder than oceans, humans
have been crying out … What preponderance of quietness
must abide in cosmic space, since the cricket
remains audible to us, for all our screaming. When the star
shines silently for us, in the screamed-at ether!
If the remotest, the old and most ancient fathers would talk to us!
And we: listeners at last! The first human listeners.
Muzot, February 1, 1922
GEGEN-STROPHEN
Oh, daß ihr hier, Frauen, einhergeht,
hier unter uns, leidvoll,
nicht geschonter als wir und dennoch imstande,
selig zu machen wie Selige.
Woher,
wenn der Geliebte erscheint,
nehmt ihr die Zukunft?
Mehr, als je sein wird.
Wer die Entfernungen weiß
bis zum äußersten Fixstern,
staunt, wenn er diesen gewahrt,
euern herrlichen Herzraum.
Wie, im Gedräng, spart ihr ihn aus?
Ihr, voll Quellen und Nacht.
Seid ihr wirklich die gleichen,
die, da ihr Kind wart,
unwirsch im Schulgang
anstieß der ältere Bruder?
Ihr Heilen.
Wo wir als Kinder uns schon
häßlich für immer verzerrn,
wart ihr wie Brot vor der Wandlung.
Abbruch der Kindheit
war euch nicht Schaden. Auf einmal
standet ihr da, wie im Gott
plötzlich zum Wunder ergänzt.
Wir, wie gebrochen vom Berg,
oft schon als Knaben scharf
an den Rändern, vielleicht
manchmal glücklich behaun;
wir, wie Stücke Gesteins,
über Blumen gestürzt.
Blumen des tieferen Erdreichs,
von allen Wurzeln geliebte,
ihr, der Eurydike Schwestern,
immer voll heiliger Umkehr
hinter dem steigenden Mann.
Wir, von uns selber gekränkt,
Kränkende gern und gern
Wiedergekränkte aus Not.
Wir, wie Waffen, dem Zorn
neben den Schlaf gelegt.
Ihr, die ihr beinah Schutz seid, wo niemand
schützt. Wie ein schattiger Schlafbaum
ist der Gedanke an euch
für die Schwärme des Einsamen.
ANTISTROPHES
Ah, women, that you are here on earth, that you
move here among us, grief-filled,
no more watched over than we and yet able
to bless like the blessed.
From what region,
when the loved one appears,
do you take the future?
More than will ever exist.
He who knows distances
out to the outermost fixed star
is amazed to find this,
your magnificent heartspace.
How, in the crush, do you keep it free?
You, full of sources and night.
Are you really the same
as those girls who on the path
to school were rudely
shoved aside by an older brother?
You whole ones.
Whereas we, even when children, hatefully
disfigure ourselves forever,
you were like bread before the Change.
Childhood’s breaking-off
did you no harm. All at once
you stood there, complete,
as if made manifest in the god.
We, as if broken from cliffs,
even as young boys sharp
at the edges, though sometimes
perhaps smoothly cut;
we, like large chunks of stone
dumped over flowers.
Flowers of the deeper soil,
loved by all roots,
you, Eurydice’s sisters,
always full of sacred turning-back
behind the ascending man.
We, hurt by ourselves, keen
to be hurters and keen
to be hurt back deep inside.
We, like weapons laid
beside anger asleep.
You, who are almost protection where no one
protects. The thought of you
is like a shady sleeptree
for the swarms of the solitary man.
Lines 1–4, Venice, summer 1912; lines 5–46, Muzot, February 9, 1922
Wir, in den ringenden Nächten,
wir fallen von Nähe zu Nähe;
und wo die Liebende taut,
sind wir ein stürzender Stein.
We, in the grappling nights,
we fall from nearness to nearness;
and where the woman in love sweetly thaws,
we are a plunging stone.
Muzot, February 9, 1922
Mein scheuer Mondschatten spräche gern
mit meinem Sonnenschatten von fern
in der Sprache der Toren;
mitten drin ich, ein beschienener Sphinx,
Stille stiftend, nach rechts und links
hab ich die beiden geboren.
My shy moonshadow would like to speak
with my sunshadow from far away
in the language of fools;
I in between, an illumined sphinx,
conferring silence, to the right and left
I’ve given birth to both.
Muzot, mid-February 1922
VASEN-BILD
(Toten-Mahl)
Sieh, wie unsre Schalen sich durchdringen
ohne Klirrn. Und Wein geht durch den Wein
wie der Mond durch seinen Widerschein
im Gewölk. Oh stilles Weltverbringen …
Und der leichte Nicht-Klang spielt wie ein
Schmetterling mit andern Schmetterlingen,
welche tanzen um den warmen Stein.
Blinder Bissen wölbt sich ohne Gröbe,
doch, genährt mit nichts wie die Amöbe,
ließ ich, auch wenn ich ihn näher höbe,
jenen Abstand dauern von vorhin;
und das einzige, das mich selbst verschöbe,
ist der Schritt der Tänzerin.
VASE PAINTING
(Banquet of the Dead)
See how our cups penetrate each other
without clinking. And wine goes through wine
like the moon through its reflection
in the clouds. Oh quiet spending of the world …
And the delicate not-clink plays
like a butterfly with other butterflies
that dance around a warm stone.
Blind mouthful arcs without coarseness,
though, nourished on nothing like the amoeba,
I’d allow, even if I brought it closer,
its interval to persist unchanged;
and the one thing that might cause me to shift
is the dancer’s step.
Muzot, mid-February 1922
ODETTE R.…
Tränen, die innigsten, steigen!
O wenn ein Leben
völlig stieg und aus Wolken des eigenen Herzleids
niederfällt: so nennen wir Tod diesen Regen.
Aber fühlbarer wird darüber, uns Armen, das dunkle—,
köstlicher wird, uns Reichen, darüber das seltsame Erdreich.
ODETTE R.…
Tears, those most intensely felt, rise!
O when a life
has fully risen and from the clouds of its own heartgrief
descends: we call that rain Death.
But then, in our want, the dark soil grows closer to us—,
in our riches, the mysterious loam more prized.
Muzot, December 12, 1922
IMAGINÄRER LEBENSLAUF
Erst eine Kindheit, grenzenlos und ohne
Verzicht und Ziel. O unbewußte Lust.
Auf einmal Schrecken, Schranke, Schule, Frohne
und Absturz in Versuchung und Verlust.
Trotz. Der Gebogene wird selber Bieger
und rächt an anderen, daß er erlag.
Geliebt, gefürchtet, Retter, Ringer, Sieger
und Überwinder, Schlag auf Schlag.
Und dann allein im Weiten, Leichten, Kalten.
Doch tief in der errichteten Gestalt
ein Atemholen nach dem Ersten, Alten …
Da stürzte Gott aus seinem Hinterhalt.
IMAGINARY CAREER
First a childhood, boundless and without
negation and goal. O unthinking joy.
Suddenly fright, limit, schoolroom, slavery,
and fall into temptation, into loss.
Defiance. The bent now becomes the bender
and seeks revenge on others, makes them succumb.
Loved, dreaded, rescuer, wrestler, victor
and vanquisher, role by role.
And then alone in vastness, lightness, cold.
Yet deep in that erected figure
a breathing toward the First, the Ancient …
Then God plunged out of his hiding place.
Schöneck, September 15, 1923
TRÄNENKRÜGLEIN
Andere fassen den Wein, andere fassen die Öle
in dem gehöhlten Gewölb, das ihre Wandung umschrieb.
Ich, als ein kleineres Maß, und als schlankestes, höhle
mich einem andern Bedarf, stürzenden Tränen zulieb.
Wein wird reicher, und Öl klärt sich noch weiter im Kruge.
Was mit den Tränen geschieht?—Sie machten mich schwer,
machten mich blinder und machten mich schillern am Buge,
machten mich brüchig zuletzt und machten mich leer.
LACHRYMATORY
Others carry the wine, others carry the oil
in the hollowed vault their partition circumscribed.
I, as a smaller measure, and as the slimmest, hollow myself
for a different need, for the sake of plummeting tears.
Wine grows richer, and oil grows ever clearer in the jug.
What happens with tears? —They made me heavy,
made me blinder and made me iridescent at the edge,
made me brittle finally and made me empty.
Schöneck, September 16, 1923
Wir sind nur Mund. Wer singt das ferne Herz,
das heil inmitten aller Dinge weilt?
Sein großer Schlag ist in uns eingeteilt
in kleine Schläge.
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