Ich konnte die Freude meines Herzens nicht verbergen und
versprach dem Vater, die fehlende Summe wieder zu verschaffen, wenn er
sich zu beruhigen und weiter nach der Sache nicht zu fragen verspreche."
Ferdinand ging sogleich zur größten Freude über. Er eilte, sein
Handelsgeschäft zu vollbringen, stellte bald der Mutter das Geld zu,
ersetzte selbst das, was er nicht genommen hatte, wovon er wußte, daß
es bloß durch die Unordnung des Vaters in seinen Ausgaben vermißt
wurde. Er war fröhlich und heiter, doch hatte dieser ganze Vorfall
eine sehr ernste Wirkung bei ihm zurückgelassen. Er hatte sich
überzeugt, daß der Mensch Kraft habe, das Gute zu wollen und zu
vollbringen; er glaubte nun auch, daß dadurch der Mensch das göttliche
Wesen für sich interessieren und sich dessen Beistand versprechen
könne, den er soeben unmittelbar erfahren hatte. Mit großer
Freudigkeit entdeckte er nun dem Vater seinen Plan, sich in jenen
Gegenden niederzulassen. Er stellte die Anstalt in ihrem ganzen Werte
und Umfange vor; der Vater war nicht abgeneigt, und die Mutter
entdeckte heimlich ihrem Gatten das Verhältnis Ferdinands zu Ottilien.
Diesem gefiel eine so glänzende Schwiegertochter, und die Aussicht,
seinen Sohn ohne Kosten ausstatten zu können, war ihm sehr angenehm.
"Diese Geschichte gefällt mir", sagte Luise, als der Alte geendigt
hatte, "und ob sie gleich aus dem gemeinen Leben genommen ist, so
kommt sie mir doch nicht alltäglich vor. Denn wenn wir uns selbst
fragen und andere beobachten, so finden wir, daß wir selten durch uns
selbst bewogen werden, diesem oder jenem Wunsche zu entsagen; meist
sind es die äußern Umstände, die uns dazu nötigen."
"Ich wünschte", sagte Karl, "daß wir gar nicht nötig hätten, uns etwas
zu versagen, sondern daß wir dasjenige gar nicht kennten, was wir
nicht besitzen sollen. Leider ist in unsern Zuständen alles
zusammengedrängt, alles ist bepflanzt, alle Bäume hängen voller
Früchte, und wir sollen nur immer drunter weggehen, uns an dem
Schatten begnügen und auf die schönsten Genüsse Verzicht tun."
"Lassen Sie uns", sagte Luise zum Alten, "nun Ihre Geschichte
weiterhören!"
Der Alte. "Sie ist wirklich schon aus."
Luise. "Die Entwicklung haben wir freilich gehört; nun möchten wir
aber auch gerne das Ende vernehmen."
Der Alte. "Sie unterscheiden richtig, und da Sie sich für das
Schicksal meines Freundes interessieren, so will ich Ihnen, wie es ihm
ergangen, noch kürzlich erzählen.
Befreit von der drückenden Last eines so häßlichen Vergehens, nicht
ohne bescheidne Zufriedenheit mit sich selbst dachte er nun an sein
künftiges Glück und erwartete sehnsuchtsvoll die Rückkunft Ottiliens,
um sich zu erklären und sein gegebenes Wort im ganzen Umfange zu
erfüllen. Sie kam in Gesellschaft ihrer Eltern; er eilte zu ihr, er
fand sie schöner und heiterer als jemals. Mit Ungeduld erwartete er
den Augenblick, in welchem er sie allein sprechen und ihr seine
Aussichten vorlegen könnte. Die Stunde kam, und mit aller Freude und
Zärtlichkeit der Liebe erzählte er ihr seine Hoffnungen, die Nähe
seines Glücks und den Wunsch, es mit ihr zu teilen. Allein wie
verwundert war er, ja wie bestürzt, als sie die ganze Sache sehr
leichtsinnig, ja, man dürfte beinahe sagen, höhnisch aufnahm. Sie
scherzte nicht ganz fein über die Einsiedelei, die er sich ausgesucht
habe, über die Figur, die sie beide spielen würden, wenn sie sich als
Schäfer und Schäferin unter ein Strohdach flüchteten, und was
dergleichen mehr war.
Betroffen und erbittert kehrte er in sich zurück; ihr Betragen hatte
ihn verdrossen, und er ward einen Augenblick kalt. Sie war ungerecht
gegen ihn gewesen, und nun bemerkte er Fehler an ihr, die ihm sonst
verborgen geblieben waren. Auch brauchte es kein sehr helles Auge, um
zu sehen, daß ein sogenannter Vetter, der mitangekommen war, ihre
Aufmerksamkeit auf sich zog und einen großen Teil ihrer Neigung
gewonnen hatte.
Bei dem unleidlichen Schmerz, den Ferdinand empfand, nahm er sich doch
bald zusammen, und die überwindung, die ihm schon einmal gelungen war,
schien ihm zum zweitenmale möglich. Er sah Ottilien oft und gewann
über sich, sie zu beobachten; er tat freundlich, ja zärtlich gegen sie
und sie nicht weniger gegen ihn; allein ihre Reize hatten ihre größte
Macht verloren, und er fühlte bald, daß selten bei ihr etwas aus dem
Herzen kam, daß sie vielmehr nach Belieben zärtlich und kalt, reizend
und abstoßend, angenehm und launisch sein konnte. Sein Gemüt machte
sich nach und nach von ihr los, und er entschloß sich, auch noch die
letzten Fäden entzweizureißen.
Diese Operation war schmerzhafter, als er sich vorgestellt hatte. Er
fand sie eines Tages allein und nahm sich ein Herz, sie an ihr
gegebenes Wort zu erinnern und jene Augenblicke ihr ins Gedächtnis
zurückzurufen, in denen sie beide, durch das zarteste Gefühl gedrungen,
eine Abrede auf ihr künftiges Leben genommen hatten. Sie war
freundlich, ja man kann fast sagen, zärtlich; er ward weicher und
wünschte in diesem Augenblicke, daß alles anders sein möchte, als er
es sich vorgestellt hatte. Doch nahm er sich zusammen und trug ihr
die Geschichte seines bevorstehenden Etablissements mit Ruhe und Liebe
vor. Sie schien sich darüber zu freuen und gewissermaßen nur zu
bedauern, daß dadurch ihre Verbindung weiter hinausgeschoben werde.
Sie gab zu erkennen, daß sie nicht die mindeste Lust habe, die Stadt
zu verlassen; sie ließ ihre Hoffnung sehen, daß er sich durch einige
Jahre Arbeit in jenen Gegenden in den Stand setzen könnte, auch unter
seinen jetzigen Mitbürgern eine große Figur zu spielen. Sie ließ ihn
nicht undeutlich merken, daß sie von ihm erwarte, daß er künftig noch
weiter als sein Vater gehen und sich in allem noch ansehnlicher und
rechtlicher zeigen werde.
Nur zu sehr fühlte Ferdinand, daß er von einer solchen Verbindung kein
Glück zu erwarten habe, und doch war es schwer, so vielen Reizen zu
entsagen. Ja vielleicht wäre er ganz unschlüssig von ihr weggegangen,
hätte ihn nicht der Vetter abgelöst und in seinem Betragen allzuviel
Vertraulichkeit gegen Ottilien gezeigt. Ferdinand schrieb ihr darauf
einen Brief, worin er ihr nochmals versicherte, daß sie ihn glücklich
machen würde, wenn sie ihm zu seiner neuen Bestimmung folgen wollte,
daß er aber für beide nicht rätlich hielte, eine entfernte Hoffnung
auf künftige Zeiten zu nähren und sich auf eine ungewisse Zukunft
durch ein Versprechen zu binden.
Noch auf diesen Brief wünschte er eine günstige Antwort; allein sie
kam nicht wie sein Herz, sondern wie sie seine Vernunft billigen mußte.
Ottilie gab ihm auf eine sehr zierliche Art sein Wort zurück, ohne
sein Herz ganz loszulassen, und eben so sprach das Billet auch von
ihren Empfindungen; dem Sinne nach war sie gebunden und ihren Worten
nach frei.
Was soll ich nun weiter umständlich sein? Ferdinand eilte in jene
friedlichen Gegenden zurück, seine Einrichtung war bald gemacht; er
war ordentlich und fleißig und ward es nur um so mehr, als das gute,
natürliche Mädchen, die wir schon kennen, ihn als Gattin beglückte und
der alte Oheim alles tat, seine häusliche Lage zu sichern und bequem
zu machen.
Ich habe ihn in spätern Jahren kennenlernen, umgeben von einer
zahlreichen, wohlgebildeten Familie. Er hat mir seine Geschichte
selbst erzählt, und wie es Menschen zu gehen pflegt, denen irgend
etwas Bedeutendes in früherer Zeit begegnet, so hatte sich auch jene
Geschichte so tief bei ihm eingedrückt, daß sie einen großen Einfluß
auf sein Leben hatte. Selbst als Mann und Hausvater pflegte er sich
manchmal etwas, das ihm Freude würde gemacht haben, zu versagen, um
nur nicht aus der übung einer so schönen Tugend zu kommen, und seine
ganze Erziehung bestand gewissermaßen darin, daß seine Kinder sich
gleichsam aus dem Stegreife etwas mußten versagen können.
Auf eine Weise, die ich im Anfang nicht billigen konnte, untersagte er
zum Beispiel einem Knaben bei Tische, von einer beliebten Speise zu
essen. Zu meiner Verwunderung blieb der Knabe heiter, und es war, als
wenn weiter nichts geschehen wäre.
Und so ließen die ältesten aus eigener Bewegung manchmal ein edles
Obst oder sonst einen Leckerbissen vor sich vorbeigehen; dagegen
erlaubte er ihnen, ich möchte wohl sagen, alles, und es fehlte nicht
an Arten und Unarten in seinem Hause.
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