Wat arme Lüd sinn, na, de bliewen to
Huus, awers Oll-Kunicke kümmt, un denn kümmt Orth ook.
Un wenn Orth kümmt, denn kümmt ook Quaas un Mietzel.
Geihen S' man in. Se tempeln all wedder.«
Eine Stunde später war der Reisende, Herr Szulski, der eigentlich
ein einfacher Schulz aus Beuthen in Oberschlesien war und den
National-Polen erst mit dem polnischen Samtrock samt Schnüren
und Knebelknöpfen angezogen hatte, der Mittelpunkt der kleinen,
auch heute wieder in der Weinstube versammelten Tafelrunde. Das
Geschäftliche war in Gegenwart von Quaas und Kunicke rasch
abgemacht und die hoch aufgelaufene Schuldsumme, ganz wie gewollt,
durch Barzahlung und kleine Wechsel beglichen worden, was dem
Pseudo-Polen, der eine so rasche Regulierung kaum erwartet haben
mochte, Veranlassung gab, einiges von dem von seiner Firma gelieferten
Ruster bringen zu lassen.
»Ich kenne die Jahrgänge, meine Herren, und bitt um
die Ehr.«
Die Bauern stutzten einen Augenblick, sich so zu Gaste geladen
zu sehen, aber sich rasch erinnernd, daß einige von ihnen
bis ganz vor kurzem noch zu den Kunden der Krakauer Firma gehört
hatten, sahen sie das Anerbieten schließlich als einen bloßen
Geschäftsakt an, den man sich gefallen lassen könne.
Was aber den Ausschlag gab, war, daß man durchaus von dem
eben beendigten polnischen Aufstand hören wollte, von Diebitsch
und Paskewitsch, und vor allem, ob es nicht bald wieder losgehe.
Szulski, wenn irgendwer, mußte davon wissen.
Als er das vorige Mal in ihrer Mitte weilte, war es ein paar Wochen
vor Ausbruch der Insurrektion gewesen. Alles, was er damals als
nahe bevorstehend prophezeit hatte, war eingetroffen und lag jetzt
zurück, Ostrolenka war geschlagen und Warschau gestürmt,
welchem Sturme der zufällig in der Hauptstadt anwesende Szulski
zum mindesten als Augenzeuge, vielleicht auch als Mitkämpfer
(er ließ dies vorsichtig im Dunkel) beigewohnt hatte. Das
alles traf sich trefflich für unsere Tschechiner, und Szulski,
der als guter Weinreisender natürlich auch ein guter Erzähler
war, schwelgte förmlich in Schilderung der polnischen Heldentaten
wie nicht minder in Schilderung der Grausamkeiten, deren sich
die Russen schuldig gemacht hatten. Eine Hauserstürmung in
der Dlugastraße, just da, wo diese mit ihren zwei schmalen
Ausläufern die Weichsel berührt, war dabei sein Paradepferd.
»Wie hieß die Straße?« fragte Mietzel, der
nach Art aller verquienten Leute bei Kriegsgeschichten immer hochrot
wurde.
»Dlugastraße«, wiederholte Szulski mit einer gewissen gekünstelten Ruhe.
»Dluga, Herr Mietzel. Und das Eckhaus, um das es sich in meiner Geschichte handelt, stand dicht
an der Weichsel, der Vorstadt Praga grad gegenüber, und war von unseren Akademikern und
Polytechnikern besetzt, das heißt von den wenigen, die von ihnen noch übrig waren, denn
die meisten lagen längst draußen auf dem Ehrenfelde. Gleichviel indes, was von ihnen noch
lebte, das steckte jetzt in dem vier Etagen hohen Hause, von Treppe zu Treppe bis unters Dach. Auf
dem abgedeckten Dach aber befanden sich Frauen und Kinder, die sich hier hinter Balkenlagen
verschanzt und mit herangeschleppten Steinen bewaffnet hatten. Als nun die Russen, es war das
Regiment Kaluga, bis dicht heran waren, rührten sie die Trommel zum Angriff. Und so
stürmten sie dreimal, immer umsonst, immer mit schwerem Verlust, so dicht fiel der Steinhagel
auf sie nieder. Aber das vierte Mal kamen sie bis an die verrammelte Tür, stießen sie mit
Kolben ein und sprangen die Treppe hinauf. Immer höher zogen sich unsere Tapferen zurück,
bis sie zuletzt, mit den Frauen und Kindern und im bunten Durcheinander mit diesen, auf dem
abgedeckten Dache standen. Da sah ich jeden einzelnen so deutlich vor mir, wie ich Sie jetzt
sehe, Bauer Mietzel!« - dieser fuhr zurück -, »denn ich hatte meine Wohnung in
dem Hause gegenüber und sah, wie sie die Konfederatka schwenkten, und hörte, wie sie unser
Lied sangen: >Noch ist Polen nicht
verloren
»Wie? Was? Von Äxten und Beilen?« wiederholte Mietzel,
dem sein bißchen Haar nachgerade zu Berge stand. »Was
war es?«
»Ja, was war es? Vom Nachbarhause her ging man vor; jetzt
war ein Loch da, jetzt eine Bresche, und durch die Bresche hin
drang das russische Regiment auf den Dachboden vor. Was ich da
gesehen habe, spottet jeder Beschreibung. Wer einfach niedergeschossen
wurde, konnte von Glück sagen, die meisten aber wurden durch
einen Bajonettstoß auf die Straße geschleudert. Es
war ein Graus, meine Herren. Eine Frau wartete das Massacre, ja,
vielleicht Schimpf und Entehrung (denn dergleichen ist vorgekommen),
nicht erst ab; sie nahm ihre beiden Kinder an die Hand und stürzte
sich mit ihnen in den Fluß.«
»Alle Wetter«, sagte Kunicke, »das ist stark! Ich
habe doch auch ein Stück Krieg mitgemacht und weiß
wohl, wo man Holz fällt, fallen Späne. So war es bei
Möckern, und ich sehe noch unsren alten Krosigk, wie der
den Marinekaptän über den Haufen stach, und wie dann
das Kolbenschlagen losging, bis alle dalagen. Aber Frauen und
Kinder! Alle Wetter, Szulski, das ist scharf. Is es denn auch
wahr?«
»Ob es wahr ist? Verzeihung, ich hin kein Aufschneider, Herr
Kunicke. Kein Pole schneidet auf, das verachtet er. Und ich auch.
Aber was ich gesehn habe, das hab ich gesehn, und eine Tatsache
bleibt eine Tatsache, sie sei, wie sie sei. Die Dame, die da heruntersprang
(und ich schwör Ihnen, meine Herren, es war eine Dame),
war eine schöne Frau, keine sechsunddreißig, und so
wahr ein Gott im Himmel lebt, ich hätt ihr was Beßres
gewünscht als diese naßkalte Weichsel.«
Kunicke schmunzelte, während der neben anderen Schwächen
und Leiden auch an einer Liebesader leidende Mietzel nicht umhin
konnte, seiner nervösen Erregtheit plötzlich eine ganz
neue Richtung zu geben. Szulski selbst aber war viel zu sehr von
sich und seiner Geschichte durchdrungen, um nebenher noch zu Zweideutigkeiten
Zeit zu haben, und fuhr, ohne sich stören zu lassen, fort:
»Eine schöne Frau, sagt ich, und hingemordet. Und was
das schlimmste dabei, nicht hingemordet durch den Feind, nein,
durch uns selbst; hingemordet, weil wir verraten waren. Hätte
man uns freie Hand gelassen, kein Russe wäre je über
die Weichsel gekommen. Das Volk war gut, Bürger und Bauer
waren gut, alles einig, alles da mit Gut und Blut. Aber der Adel!
Der Adel hat uns um dreißig Silberlinge verschachert, bloß
weil er an sein Geld und seine Güter dachte.
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