Und wenn der
Mensch erst an sein Geld denkt, ist er verloren.«
»Kann ich nicht zugeben«, sagte Kunicke. »Jeder
denkt an sein Geld. Alle Wetter, Szulski, das sollt unsrem Hradscheck
schon gefallen, wenn der Reisende von Olszewski-Goldschmidt und
Sohn alle November hier vorspräch und nie an Geld dächte.
Nicht wahr, Hradscheck, da ließe sich bald auf einen grünen
Zweig kommen und brauchte keine Schwester oder Schwägerin
zu sterben und keine Erbschaft ausgezahlt zu werden.«
»Ah, Erbschaft«, wiederholte Szulski. »So, so;
daher. Nun, gratuliere. Habe neulich auch einen Brocken geerbt
und in Lemberg angelegt. Lemberg ist besser als Krakau. Ja, das
muß wahr sein, Erbschaft ist die beste Art, zu Gelde zu
kommen, die beste und eigentlich auch die anständigste...«
»Und namentlich auch die leichteste«, bestätigte
Kunicke. »Ja, das liebe Geld. Und wenn's viel ist, das heißt
sehr viel, dann darf man auch dran denken! Nicht wahr,
Szulski?«
»Natürlich«, lachte dieser. »Natürlich,
wenn's viel ist. Aber, Bauer Kunicke, denken und denken ist ein
Unterschied. Man muß wissen, daß man's hat,
soviel ist richtig, das ist gut und ein angenehmes Gefühl
und stört nicht...«
»Nein, nein, stört nicht.«
»Aber meine Herren, ich muß es wiederholen, denken
und denken ist ein Unterschied. An Geld immer denken, bei
Tag und bei Nacht, das ist soviel wie sich immer drum ängstigen.
Und ängstigen soll man sich nicht. Wer auf Reisen ist und
immer an seine Frau denkt, der ängstigt sich um seine Frau.«
»Freilich«, schrie Kunicke. »Quaas ängstigt
sich auch immer.«
Alle lachten unbändig, und nur Szulski selbst, der auch darin durchaus Anekdoten- und
Geschichtenerzähler von Fach war, daß er sich nicht gern unterbrechen lies, fuhr mit allem
erdenklichen Ernste fort: »Und wie mit der Frau, meine Herren, so mit dem Geld. Nur nicht
ängstlich; haben muß man's, aber man muß nicht ewig daran denken. Oft muß ich
lachen, wenn ich so sehe, wie der oder jener im Postwagen oder an der Table d'hôte mit einem
Male nach seiner Brieftasche faßt, >ob er's auch noch
hat
»Recht so«, sagte Hradscheck. »So mach ich's auch.
Aber wir sind bei dem Geld und dem Einnähen ganz von Polen
abgekommen. Ist es denn wahr, Szulski, daß sie Diebitschen
vergiftet haben?«
»Versteht sich, es ist wahr.«
»Und die Geschichte mit den elf Talglichten auch? Auch wahr?«
»Alles wahr«, wiederholte Szulski. »Daran ist kein
Zweifel. Und es kam so. Konstantin wollte die Polen ärgern,
weil sie gesagt hatten, die Russen fräßen bloß
Talg. Und da ließ er, als er eines Tages elf Polen eingeladen
hatte, zum Dessert elf Talglichte herumreichen, das zwölfte
aber war von Marzipan und natürlich für ihn. Und versteht
sich, nahm er immer zuerst, dafür war er Großfürst
und Vizekönig. Aber das eine Mal vergriff er sich doch, und
da hat er's runterwürgen müssen.«
»Wird nicht sehr glatt gegangen sein.
»Gewiß nicht... Aber, ihr Herren, kennt ihr denn schon
das neue Polenlied, das sie jetzt singen?«
»Denkst du daran - - «
»Nein, das ist alt. Ein neues.«
»Und heißt?«
»Die letzten zehn vom vierten Regiment... Wollt ihr's hören?
Soll ich es singen?«
»Freilich.«
»Aber ihr müßt einfallen...«
»Versteht sich, versteht sich.«
Und nun sang Szulski, nachdem er sich geräuspert hatte:
»Zu Warschau schwuren tausend auf den Knien:
Kein Schuß im heil'gen Kampfe sei getan,
Tambour, schlag an, zum Blachfeld laß uns ziehen,
Wir greifen nur mit Bajonetten an!
Und ewig kennt das Vaterland und nennt
Mit stillem Schmerz sein viertes Regiment.«
»Einfallen! Chorus.« - »Weiter Szulski, weiter.«
»Ade, ihr Brüder, die zu Tod getroffen
An unsrer Seite dort wir stürzen sahn,
Wir leben noch, die Wunden stehen offen,
Und um die Heimat ewig ist's getan;
Herr Gott im Himmel, schenk ein gnädig End
Uns letzten zehn vom vierten Regiment.«
Chorus:
»Uns letzten zehn vom vierten Regiment.«
Alles jubelte. Dem alten Quaas aber traten seine schon von Natur
vorstehenden Augen immer mehr aus dem Kopf.
»Wenn ihn jetzt seine Frau sähe«, rief Kunicke.
»Da hätt er Oberwasser.«
»Ja, ja.«
Und nun stieß man an und ließ die Polen leben.
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