Nur
Kunicke, der an Anno 13 dachte, weigerte sich und trank auf die
Russen. Und zuletzt auch auf Quaas und Kätzchen.
Mietzel aber war ganz übermütig und halb wie verdreht
geworden und sang, als er Kätzchens Namen hörte, mit
einem Male:
»Nicht mal seiner eignen Frau,
Kätzchen weiß es ganz genau.
Miau.«
Quaas sah verlegen vor sich hin. Niemand indessen dachte mehr
an Übelnehmen.
Und nun wurde der Ladenjunge gerufen, um neue Flaschen zu bringen.
Sechstes Kapitel
So ging es bis Mitternacht. Der schräg gegenüber wohnende
Kunicke wollte noch bleiben und machte spitze Reden, daß
Szulski, der schon ein paarmal zum Aufbruch gemahnt, so müde
sei. Der aber ließ sich weder durch Spott noch gute Worte
länger zurückhalten, »er müsse morgen um neun
in Frankfurt sein«. Und damit nahm er den bereitstehenden
Leuchter, um in seine Giebelstube hinaufzusteigen. Nur als er
die Türklinke schon in der Hand hatte, wandt er sich noch
einmal und sagte zu Hradscheck: »Also vier Uhr, Hradscheck.
Um fünf muß ich weg. Und versteht sich, ein Kaffee.
Guten Abend, ihr Herren. Allerseits wohl zu ruhn!«
Auch die Bauern gingen; ein starker Regen fiel, und alle fluchten
über das scheußliche Wetter. Aber keine Stunde mehr,
so schlug es um, der Regen ließ nach, und ein heftiger Südost
fegte statt seiner über das Bruch hin. Seine Heftigkeit wuchs
von Minute zu Minute, so daß allerlei Schaden an Häusern
und Dächern angerichtet wurde, nirgends aber mehr als an
dem Hause der alten Jeschke, das grad in dem Windstrome lag, der,
von der andern Seite der Straße her, zwischen Kunickes Stall
und Scheune mitten durchfuhr. Klappernd kamen die Ziegel vom Dachfirst
herunter und schlugen mit einem dumpfen Geklatsch in den aufgeweichten
Boden.
»Dat's joa groad, as ob de Bös kümmt«, sagte
die Alte und richtete sich in die Höh, wie wenn sie aufstehen
wolle. Das Herausklettern aus dem hochstelligen Bett aber schien
ihr zuviel Mühe zu machen, und so klopfte sie nur das Kopfkissen
wieder auf und versuchte weiterzuschlafen. Freilich umsonst. Der
Lärm draußen und die wachsende Furcht, ihren ohnehin
schadhaften Schornstein in die Stube hinabstürzen zu sehn,
ließen sie mit ihrem Versuche nicht weit kommen, und so
stand sie schließlich doch auf und tappte sich an den Herd
hin, um hier an einem bißchen Aschenglut einen Schwefelfaden
und dann das Licht anzuzünden. Zugleich warf sie reichlich
Kienäpfel auf, an denen sie nie Mangel litt, seit sie letzten
Herbst dem vierjährigen Jungen von Förster Nothnagel,
drüben in der neumärkischen Heide, das freiwillige Hinken
wegkuriert hatte.
Das Licht und die Wärme taten ihr wohl, und als es ein paar
Minuten später in dem immer bereitstehenden Kaffeetopfe zu
dampfen und zu brodeln anfing, hockte sie neben dem Herde nieder
und vergaß über ihrem Behagen den Sturm, der draußen
heulte. Mit einem Mal aber gab es einen Krach, als bräche
was zusammen, ein Baum oder ein Strauchwerk, und so ging sie denn
mit dem Licht ans Fenster und, weil das Licht hier blendete, vom
Fenster her in die Küche, wo sie den obern Türladen
rasch aufschlug, um zu sehn, was es sei. Richtig, ein Teil des
Gartenzauns war umgeworfen, und als sie das niedergelegte Stück
nach links hin bis an das Kegelhäuschen verfolgte, sah sie,
zwischen den Pfosten der Lattenrinne hindurch, daß in dem
Hradscheckschen Hause noch Licht war. Es flimmerte hin und her,
mal hier, mal da, so daß sie nicht recht sehen konnte, woher
es kam, ob aus dem Kellerloch unten oder aus dem dicht darüber
gelegenen Fenster der Weinstube.
»Mien Jott, supen se noch?« fragte die Jeschke vor sich
hin. »Na, Kunicke is et kumpafel. Un dann seggt he hinnerher,
dat Wedder wihr schull un he künn nich anners.«
Unter dieser Betrachtung schloß sie den Türladen wieder
und ging an ihre Herdstätte zurück. Aber ihr Hang zu
spionieren ließ ihr keine Ruh, und trotzdem der Wind immer
stärker geworden war, suchte sie doch die Küche wieder
auf und öffnete den Laden noch einmal, in der Hoffnung, was
zu sehen. Eine Weile stand sie so, ohne daß etwas geschehen
wäre, bis sie, als sie sich schon zurückziehn wollte,
drüben plötzlich die Hradschecksche Gartentür auffliegen
und Hradscheck selbst in der Türöffnung erscheinen sah.
Etwas Dunkles, das er schon vorher herangeschafft haben mußte,
lag neben ihm. Er war in sichtlicher Erregung und sah gespannt
nach ihrem Hause hinüber. Und dann war's ihr doch wieder,
als ob er wolle, daß man ihn sähe. Denn wozu
sonst das Licht, in dessen Flackerschein er dastand? Er hielt
es immer noch vor sich, es mit der Hand schützend, und schien
zu schwanken, wohin damit. Endlich aber mußt er eine geborgene
Stelle gefunden haben, denn das Licht selbst war weg und statt
seiner nur noch ein Schein da, viel zu schwach, um den nach wie
vor in der Türöffnung liegenden dunklen Gegenstand erkennen
zu lassen. Was war es? Eine Truhe? Nein. Dazu war es nicht lang
genug. Oder ein Korb, eine Kiste? Nein, auch das nicht.
»Wat he man hett?« murmelte sie vor sich hin.
Aber ehe sie sich, aus ihren Mutmaßungen heraus, ihre Frage
noch beantworten konnte, sah sie, wie der ihr auf Minuten aus
dem Auge gekommene Hradscheck von der Tür her in den Garten
trat und mit einem Spaten in der Hand rasch auf den Birnbaum zuschritt.
Hier grub er eifrig und mit sichtlicher Hast und mußte schon
ein gut Teil Erde herausgeworfen haben, als er mit einem Male
das Graben aufgab und sich aufs neue nach allen Seiten hin umsah.
Aber auch jetzt wieder (so wenigstens schien es ihr) mehr in Spannung
als in Angst und Sorge.
»Wat he man hett?« wiederholte sie.
Dann sah sie, daß er das Loch rasch wieder zuschüttete.
Noch einen Augenblick, und die Gartentür schloß sich,
und alles war wieder dunkel.
»Hm«, brummte die Jeschke.
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