»Mit einem karierten
Tuch über dem Kopf. Und wenn's kein kariertes Tuch gewesen,
dann sei's eine Pferdedecke gewesen.« Oh, du himmlische Güte!
Mit einer Pferdedecke! Die Hradscheck mit einer Pferdedecke! Gibt
es Pferdedecken ohne Flöhe? Nein. Und nun gar diese schnippsche
Prise, die sich ewig mit ihrem türkischen Shawl herumziert
und noch ötepotöter is als die Reitweinsche Gräfin!
So ging das Gerede, das sich, an und für sich schon günstig
genug für Hradscheck, in Folge kleiner Vorkommnisse mit jedem
neuen Tage günstiger gestaltete. Darunter war eins von besondrer
Wirkung. Und zwar das folgende. Heiligabend war ein Brief Hradschecks
bei Eccelius eingetroffen, worin es hieß: »es ging'
ihm gut, weshalb er sich auch freuen würde, wenn seine Frau
zum Fest herüberkommen und eine Viertelstunde mit ihm plaudern
wolle; Vowinkel hab es eigens gestattet, versteht sich, in Gegenwart
von Zeugen«. So die briefliche Mitteilung, auf welche Frau
Hradscheck, als sie durch Eccelius davon gehört, diesem letzteren
sofort geantwortet hatte: »Sie werde diese Reise nicht
machen, weil sie nicht wisse, wie sie sich ihrem Manne gegenüber
zu benehmen habe. Wenn er schuldig sei, so sei sie für immer
von ihm geschieden, einmal um ihrer selbst, aber mehr noch um
ihrer Familie willen. Sie wolle daher lieber zum Abendmahl gehn
und ihre Sache vor Gott tragen und bei der Gelegenheit den Himmel
inständigst bitten, ihres Mannes Unschuld recht bald an den
Tag zu bringen.« So was hörten die Tschechiner gern,
die sämtlich höchst unfromm waren, aber nach Art der
meisten Unfrommen einen ungeheuren Respekt vor jedem hatten, der
»lieber zum Abendmahl gehn und seine Sache vor Gott tragen«
als nach Küstrin hin reisen wollte.
Kurzum, alles stand gut, und es hätte sich von einer totalen
»Rückeroberung« des dem Inhaftierten anfangs durchaus
abgeneigten Dorfes sprechen lassen, wenn nicht ein Unerschütterlicher
gewesen wäre, der, sobald Hradschecks Unschuld behauptet
wurde, regelmäßig versicherte: »Hradscheck? Den
kenn ich. Der muß ans Messer.«
Dieser Unerschütterliche war niemand Geringeres als Gensdarm
Geelhaar, eine sehr wichtige Person im Dorf, auf deren Autorität
hin die Mehrheit sofort geschworen hätte, wenn ihr nicht
seine bittre Feindschaft gegen Hradscheck und die kleinliche Veranlassung
dazu bekannt gewesen wäre. Geelhaar, guter Gensdarm, aber
noch besserer Saufaus, war, um Kognaks und Rums willen, durch
viele Jahre hin ein Intimus bei Hradscheck gewesen, bis dieser
eines Tages, des ewigen Gratis-Einschenkens müde, mit mehr
Übermut als Klugheit gesagt hatte: »Hören Sie,
Geelhaar, Rum ist gut. Aber Rum kann einen auch rumbringen.«
Auf welche Provokation hin (Hradscheck liebte dergleichen Witze)
der sich nun plötzlich aufs hohe Pferd setzende Geelhaar
mit hochrotem Gesicht geantwortet hatte: »Gewiß, Herr
Hradscheck. Was kann einen nich alles rumbringen? Den einen dies,
den andern das. Und mit Ihnen, mein lieber Herr, is auch noch
nicht aller Tage Abend.«
Von der aus diesem Zwiegespräch entstandenen Feindschaft
wußte das ganze Dorf, und so kam es, daß man nicht
viel darauf gab und im wesentlichen bloß lachte, wenn Geelhaar
zum hundertsten Male versicherte: »Der? Der muß
ans Messer.«
»Der muß ans Messer«, sagte Geelhaar, aber in
Tschechin hieß es mit jedem Tage mehr: »Er kommt wieder
frei.«
Und »He kümmt wedder rut« hieß es auch im
Hause der alten Jeschke, wo die blonde Nichte, die Line - dieselbe,
nach der Hradscheck bei seinen Gartenbegegnungen mit der Alten
immer zu fragen pflegte -, seit Weihnachten zum Besuch war und
an einer Ausstattung, wenn auch freilich nicht an ihrer eigenen,
arbeitete. Sie war eine hervorragend kluge Person, die, trotzdem
sie noch keine siebenundzwanzig zählte, sich in den verschiedensten
Lebensstellungen immer mit Glück versucht hatte: früh
schon als Kinder- und Hausmädchen, dann als Nähterin
und schließlich als Pfarrköchin in einem neumärkischen
Dorf, in welch letztrer Eigenschaft sie nicht nur sämtliche
Betstunden mitgemacht, sondern sich auch durch einen exemplarisch
sittlichen Lebenswandel ausgezeichnet hatte. Denn sie gehörte
zu denen, die, wenn engagiert, innerhalb ihres Engagements alles
Geforderte leisten, auch Gebet, Tugend und Treue.
Solcher Forderungen entschlug sich nun freilich die Jeschke, die
vielmehr, wenn sie den Faden von ihrem Wocken spann, immer nur
Geschichten von begünstigten und genasführten Liebhabern
hören wollte, besonders von einem Küstriner Fourage-Beamten,
der drei Stunden lang im Schnee hatte warten müssen. Noch
dazu vergeblich. All das freute die Jeschke ganz ungemein, die
dann regelmäßig hinzusetzte: »Joa, Line, so wihr
ick ook. Awers moak et man nich to dull.« Und dann antwortete
diese: »Wie werd ich denn, Mutter Jeschke!« Denn sie
nannte sie nie Tante, weil sie sich der nahen Verwandtschaft mit
der alten Hexe schämen mochte.
Plaudern war beider Lust. Und plaudernd saßen beide Weibsen
auch heute wieder.
Es war ein ziemlich kalter Tag, und draußen lag fußhoher
Schnee. Drinnen aber war es behaglich, das Rotkehlchen zwitscherte,
die Wanduhr ging in starkem Schlag, und der Kachelofen tat das
Seine. Dem Ofen zunächst aber hockte die Jeschke, während
Line weitab an dem ganz mit Eisblumen überdeckten Fenster
saß und sich ein Kuckloch gepustet hatte, durch das sie
nun bequem sehen konnte, was auf der Straße vorging.
»Da kommt ja Gensdarm Geelhaar«, sagte sie. »Grad
über den Damm. Er muß drüben bei Kunicke gewesen
sein. Versteht sich, Kunicke frühstückt um diese Zeit.
Und sieht auch so rot aus. Was er nur will? Er wird am Ende der
armen Frau, der Hradschecken, einen Besuch machen wollen. Is ja
schon vier Wochen Strohwitwe.«
»Nei, nei«, lachte die Alte. »Dat deiht he nich.
Dem is joa sien ejen all to veel, so lütt se is. Ne, ne,
den kenn ick. Geelhaar is man blot noch för so.«
Und dabei machte sie die Bewegung des Aus-der-Flasche-Trinkens.
»Hast recht«, sagte Line.
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