Es stand hier auf einem Ständerchen, ganz nach Art
eines Fetisch, zu dem er nicht müde wurde respektvoll und
beinah mit Andacht aufzublicken. Alle Morgen sah er in der Zeitung
die Gewinn-Nummern durch, aber die seine fand er nicht, trotzdem
sie unter ihren fünf Zahlen drei Sieben hatte und mit sieben
dividiert glatt aufging. Seine Frau, die wohl wahrnahm, daß
er litt, sprach ihm nach ihrer Art zu, nüchtern, aber nicht
unfreundlich, und drang in ihn, »daß er den Lotteriezettel
wenigstens vom Ständer herunternehmen möge, das verdrösse
den Himmel nur, und wer dergleichen täte, kriege statt Rettung
und Hilfe den Teufel und seine Sippschaft ins Haus. Das Los müsse
weg. Wenn er wirklich beten wolle, so habe sie was Besseres für
ihn, ein Marienbild, das der Bischof von Hildesheim geweiht und
ihr bei der Firmelung geschenkt habe.«
Davon wollte nun aber der beständig zwischen Aber- und Unglauben
hin und her schwankende Hradscheck nichts wissen. »Geh mir
doch mit dem Bild, Ursel. Und wenn ich auch wollte, denke nur,
welche Bescherung ich hätte, wenn's einer merkte. Die Bauern
würden lachen von einem Dorfende bis ans andere, selbst Orth
und Igel, die sonst keine Miene verziehen. Und mit der Pastor-Freundschaft
wär's auch vorbei. Daß er zu dir hält, ist doch
bloß, weil er dir den katholischen Unsinn ausgetrieben und
einen Platz im Himmel, ja vielleicht an seiner Seite, gewonnen
hat. Denn mit meinem Anspruch auf Himmel ist's nicht weit her.«
Und so blieb denn das Los auf dem Ständer, und erst als die
Ziehung vorüber war, zerriß es Hradscheck und streute
die Schnitzel in den Wind. Er war aber auch jetzt noch, all seinem
spöttisch-überlegenen Gerede zum Trotz, so schwach und
abergläubisch, daß er den Schnitzeln in ihrem Fluge
nachsah, und als er wahrnahm, daß einige die Straße
hinauf bis an die Kirche geweht wurden und dort erst niederfielen,
war er in seinem Gemüte beruhigt und sagte: »Das bringt
Glück.«
Zugleich hing er wieder allerlei Gedanken und Vorstellungen nach,
wie sie seiner Phantasie jetzt häufiger kamen. Aber er hatte
noch Kraft genug, das Netz, das ihm diese Gedanken und Vorstellungen
überwerfen wollten, wieder zu zerreißen.
»Es geht nicht.«
Und als im selben Augenblick das Bild des Reisenden, dessen Anmeldung
er jetzt täglich erwarten mußte, vor seine Seele trat,
trat er erschreckt zurück und wiederholte nur so vor sich
hin: »Es geht nicht.«
So war Mitte Oktober herangekommen.
Im Laden gab's viel zu tun, aber mitunter war doch ruhige Zeit,
und dann ging Hradscheck abwechselnd in den Hof, um Holz zu spellen,
oder in den Garten, um eine gute Sorte Tischkartoffeln aus der
Erde zu nehmen. Denn er war ein Feinschmecker. Als aber die Kartoffeln
heraus waren, fing er an, den schmalen Streifen Land, darauf sie
gestanden, umzugraben. Überhaupt wurde Graben und Gartenarbeit
mehr und mehr seine Lust, und die mit dem Spaten in der Hand verbrachten
Stunden waren eigentlich seine glücklichsten.
Und so beim Graben war er auch heute wieder, als die Jeschke,
wie gewöhnlich, an die die beiden Gärten verbindende
Heckentür kam und ihm zusah, trotzdem es noch früh am
Tage war.
»De Tüffeln sinn joa nu rut, Hradscheck.«
»Ja, Mutter Jeschke, seit vorgestern. Und war diesmal 'ne
wahre Freude; mitunter zwanzig an einem Busch und alle groß
und gesund.«
»Joa, joa, wenn een's Glück hebben sall. Na, Se hebben't,
Hradscheck. Se hebben Glück bi de Tüffeln un bi de Malvesieren
ook. I, Se möten joa woll 'n Scheffel runnerpflückt
hebb'n.«
»O mehr, Mutter Jeschke, viel mehr.«
»Na, bereden Se't nich, Hradscheck. Nei, nei. Man sall nix
bereden. Ook sien Glück nich.«
Und damit ließ sie den Nachbar stehn und humpelte wieder
auf ihr Haus zu.
Hradscheck aber sah ihr ärgerlich und verlegen nach. Und
er hatte wohl Grund dazu. War doch die Jeschke, so freundlich
und zutulich sie tat, eine schlimme Nachbarschaft und quacksalberte
nicht bloß, sondern machte auch sympathetische Kuren, besprach
Und dann hatte sie herzlich gelacht, worin Hradscheck natürlich
einstimmte. Trotz dieses Lachens aber war ihm jedes Wort, als
ob es ein Evangelium wär, in Erinnerung geblieben, vor allem
das »ungeborne Lamm« und der »Farnkrautsamen«.
Er glaubte nichts davon und auch wieder alles, und wenn er, seiner
sonstigen Entschlossenheit unerachtet, schon vorher eine Furcht
vor der alten Hexe gehabt hatte, so nach dem Gespräch über
das Sich-unsichtbar-Machen noch viel mehr.
Und solche Furcht beschlich ihn auch heute wieder. als er sie,
nach dem Morgengeplauder über die »Tüffeln«
und die »Malvesieren«, in ihrem Hause verschwinden sah.
Er wiederholte sich jedes ihrer Worte: »Wenn een's Glück
hebben sall. Na, Se hebben't joa, Hradscheck. Awers bereden Se't
nich.« Ja, so waren ihre Worte gewesen. Und was war mit dem
allem gemeint? Was sollte dies ewige Reden von Glück und
wieder Glück? War es Neid, oder wußte sie's besser?
Hatte sie doch vielleicht mit ihrem Hokuspokus ihm in die Karten
gekuckt?
Während er noch so sann, nahm er den Spaten wieder zur Hand
und begann rüstig weiterzugraben.
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