Er warf dabei ziemlich
viel Erde heraus und war keine fünf Schritt mehr von dem
alten Birnbaum, auf den der Ackerstreifen zulief, entfernt, als
er auf etwas stieß, das unter dem Schnitt des Eisens zerbrach
und augenscheinlich weder Wurzel noch Stein war. Er grub also
vorsichtig weiter und sah alsbald, daß er auf Arm und Schulter
eines hier verscharrten Toten gestoßen war. Auch Zeugreste
kamen zutage, zerschlissen und gebräunt, aber immer noch
farbig und wohlerhalten genug, um erkennen zu lassen, daß
es ein Soldat gewesen sein müsse.
Wie kam der hierher?
Hradscheck stützte sich auf die Krücke seines Grabscheits
und überlegte. »Soll ich es zur Anzeige bringen? Nein.
Es macht bloß Geklätsch. Und keiner mag einkehren,
wo man einen Toten unterm Birnbaum gefunden hat. Also besser nicht.
Er kann hier weiter liegen.«
Und damit warf er den Armknochen, den er ausgegraben, in die Grube
zurück und schüttete diese wieder zu. Während dieses
Zuschüttens aber hing er all jenen Gedanken und Vorstellungen
nach, wie sie seit Wochen ihm immer häufiger kamen. Kamen
und gingen. Heut aber gingen sie nicht, sondern wurden Pläne,
die Besitz von ihm nahmen und ihn, ihm selbst zum Trotz, an die
Stelle bannten, auf der er stand. Was er hier zu tun hatte, war
getan, es gab nichts mehr zu graben und zu schütten, aber
immer noch hielt er das Grabscheit in der Hand und sah sich um,
als ob er bei böser Tat ertappt worden wäre. Und fast
war es so. Denn unheimlich verzerrte Gestalten (und eine davon
er selbst) umdrängten ihn so faßbar und leibhaftig,
daß er sich wohl fragen durfte, ob nicht andere da wären,
die diese Gestalten auch sähen. Und er lugte wirklich nach
der Zaunstelle hinüber. Gott sei Dank, die Jeschke war nicht
da. Aber freilich, wenn sie sich unsichtbar machen und sogar Tote
sehen konnte, Tote, die noch nicht tot waren, warum sollte sie
nicht die Gestalten sehn, die jetzt vor seiner Seele standen?
Ein Grauen überlief ihn, nicht vor der Tat, nein, aber bei
dem Gedanken, daß das, was erst Tat werden sollte, vielleicht
in diesem Augenblicke schon erkannt und verraten war. Er zitterte,
bis er, sich plötzlich aufraffend, den Spaten wieder in den
Boden stieß.
»Unsinn. Ein dummes altes Weib, das gerade klug genug ist,
noch Dümmere hinters Licht zu führen. Aber ich will
mich ihrer schon wehren, ihrer und ihrer ganzen Totenkuckerei.
Was ist es denn? Nichts. Sie sieht einen Sarg an der Tür
stehn, und dann stirbt einer. Ja, sie sagt es, aber sagt es immer
erst, wenn einer tot ist oder keinen Atem mehr hat oder das Wasser
ihm schon ans Herz stößt. Ja, dann kann ich auch prophezein.
Alte Hexe, du sollst mir nicht weiter Sorge machen. Aber Ursel!
Wie bring ich's der bei? Da liegt der Stein. Und wissen muß
sie's. Es müssen zwei sein...«
Und er schwieg. Bald aber fuhr er entschlossen fort: »Ah, bah, es wird sich finden, weil sich's
finden muß. Not kennt kein Gebot. Und was sagte sie neulich, als ich das Gespräch mit ihr
hatte? >Nur nicht arm sein... Armut ist das
schlimmste.
Und so sprechend, ging er, das Grabscheit gewehrüber nehmend,
wieder auf das Haus zu.
Drittes Kapitel
Als Hradscheck bis an den Schwellstein gekommen war, nahm er das
Grabscheit von der Schulter, lehnte die Krücke gegen das
am Hause sich hinziehende Weinspalier und wusch sich die Hände,
saubrer Mann, der er war, in einem Kübel, drin die Dachtraufe
mündete. Danach trat er in den Flur und ging auf sein Wohnzimmer
zu.
Hier traf er Ursel. Diese saß vor einem Nähtisch am
Fenster und war, trotz der frühen Stunde, schon wieder in
Toilette, ja noch sorglicher und geputzter als an dem Tage, wo
sie die Kränze für die Kinder geflochten hatte.
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