Sie ist freilich aus einem adlichen Hause: ist aber doch auch zu einem Rechtsgelehrten hinabgestiegen! – Unsinn, daß sich mit dieser Ungleichheit auch die niedrigen Stände brüsten! – Ich, ein Geistlicher! Lieber Kohlenbrenner, Räuber, Bandit! – Und sie – ach ja, da im Saal ist es anders, als da unten, so nah an der Hölle, wo sie sich mir mit allen Kräften und Schönheiten ergab. Warum war ich so dumm und töricht, in diesem Taumel, wo wir die ganze Welt vergessen, nicht mehr zu verlangen? Sie hätt es nicht geweigert. Und was ist es denn Großes? Das Nächste, Natürlichste, was ein einfach unverdorbener Mensch nur denken und begehren kann. War doch Busen, Knie und glänzender Leib schon mein, und in den Küssen entfloh meine Seele über ihre himmlischen Lippen in ihr Wesen hinüber. – Nichts! nichts! Alles ist eitel! Auch sie verwelkt und vergeht, nichts ist echt und wahr, als nur die Zeit und der Augenblick; und diesen muß der Kluge ergreifen! wenn er dazu entschlossen ist, so gehört ihm die Welt.

Zu Hause angelangt, legte er sich nieder, denn er war wieder ein Raub des Fiebers.

Nach Tische wurde der Familie der allbekannte Hausfreund Don Cesare Caporale gemeldet. Mutter und Tochter waren erfreut, den wackern Mann begrüßen zu können, durch welchen sie aus ihrer Verstimmung gerissen wurden, und der ihnen durch seine unzerstörbare Heiterkeit eine anmutige Zerstreuung versprach.

Cesare Caporale war einer jener hohen schlanken Gestalten, die durch den Ausdruck harmloser Gutmütigkeit die Häßlichkeit ihres Gesichtes vergessen machen können. Sein Anstand und die Gebärde war edel, und man sah ihm an, daß er viel in der großen Welt gelebt hatte. Die kleine, zurückgekrümmte Nase in dem langen, gebräunten Gesicht, die vielen Falten, gaben ihm neben dem fast Geringen und Possierlichen den Anschein eines höheren Alters, als er wirklich erreicht hatte, denn er war noch nicht fünfzig Jahr. Seine grauen, kleinen und lebhaften Augen verrieten den Schalk, denn sie begleiteten jedes seiner Worte mit so geistreichem Ausdruck, daß viele seiner Aussprüche von seinem Munde witzig schienen, die man oft als Rede eines andern für unbedeutend würde gehalten haben.

Mit seiner gewöhnlichen Gutmütigkeit schüttelte er den beiden Damen die Hand, setzte sich behaglich nieder und sagte: »Da bin ich wieder einmal bei euch, ihr Gotteskinder, und das tut mir wohl, wie die Frühlingssonne dem Kranken. Ich war wieder da hinten in meinem geliebten kleinen Perugia und habe eine Zeitlang fröhlich mit meinen Freunden in meiner Vaterstadt gelebt. Das liebe Nest steht noch auf dem alten Fleck, keine meiner Bekannten ist in diesem Jahre gestorben, in meinem Vaterhause ist mein Quartier für mich immer offen, und so habe ich denn auch die Kirchen wieder besehn, die Berge besucht, und mich an den Gebilden unsers alten Meisters Pietro und seines großen Schülers Raffael erfreut. Wie ich nach Rom komme, höre ich zu meinem Entsetzen, ihr alle hier wäret ersoffen, oder mit Erlaubnis zu sagen, ertrunken, was aber beinah auf eines hinausläuft. Das war ein Lamento bei allen den schönen geputzten jungen Narren, daß es nicht auszusagen ist. Je nun freilich, wenn man hübsch ist, wird man eher vermißt, als wenn man, wie ich leider, mit einer so fatalen Fratze herumläuft. Aber sagt um des Himmels willen, was habt ihr eigentlich angefangen, daß man euch so verleumden darf: denn ich sehe ja, daß ihr hier ganz als vernünftige Wesen auf dem Trocknen beisammensitzt. Die hochgesinnte Mutter, die ausbündige Vittoria, und der hoffnungsvolle Flaminio sind alle wohlbehalten, wenn auch etwas nachdenkend, wo nicht gar gelangweilt, was ich aber doch nicht zu voreilig annehmen will.«

Die Mutter übernahm es, ihm in kurzen Worten die sonderbare Geschichte, die so leicht tragisch hätte endigen können, zu erzählen. »Seht! seht!« sagte Cesare am Schluß. »ich habe immer behauptet, daß unsre Virginia für ihre große Gestalt in ihren Gebärden und Bewegungen zu hastig und berührig ist. Dergleichen schickt sich nur für kleine Persönchen, die es manchmal auch recht gut kleidet. Darum halte ich mich mit meinem hohen Körper, den langen Beinen und Armen immer so majestätisch. Fällt mir ein lumpiger Ball ins Wasser (ich trage aber niemals einen mit mir herum), so lasse ich ihn wegschwimmen; und dort gar in dem Höllenrachen, den ich immer die Grotte des Neptun genannt habe, obgleich strenggenommen der gewaltige Mann sich mit den Flüssen des Landes gar nicht einläßt. Wenn Ihr dort umgekommen wärt, so hätte ich Euch wohl gar, als Euer alter Anbeter besingen und beklagen müssen, obgleich mir noch niemals ein ernsthafter Vers hat gelingen wollen.«

»Aber habt Ihr uns keine neue Komposition mitgebracht?« fragte die Mutter.

»Der Poet«, antwortete Caporale, »ist zuweilen an Entwürfen und Plänen so reich, daß er darüber gar nicht dazu kommen kann, einen einzigen auszuführen. Ich lief in der schönen Gegend von Perugia viel herum und meditierte. Mein Gedicht über das Leben des Maecenas ist nun fast fertig, aber außer einer neuen Komödie ist mir auch noch ein komischer Vorwurf dort in der Einsamkeit aufgestiegen. Ich dachte mir nämlich, wie Apollo auf seinem Jagdschloß eine Versammlung könnte ausschreiben lassen, daß sich alle, die sich für Poeten hielten, zu ihm einfinden sollten, um aus seinem Munde und von verständigen Richtern und Beisassen ihr Urteil zu empfangen. Die Aufgabe ist häklig und kitzlig: denn wie viele unserer jetzt lebenden Pedanten, oder talentlosen Reimer würde man da ärgern und kränken müssen, darum gebe ich den Gedanken auch vielleicht wieder auf, wenn ich nicht einen anständigen Mittelweg entdecken kann.«

»O Bester!« rief Vittoria lebhaft aus, »da müßt Ihr alle meine Lieblinge recht loben, und diejenigen, die mich immer geärgert haben, recht beißend durchziehn und schwarz abschildern.«

»Zum Beispiel?« fragte der Poet.

»Wen kann man wohl mehr loben«, fuhr sie fort, »als den edlen herrlichen Bernard Tasso, und dessen Sohn Torquato, wegen seines himmlischen Aminta, Schelten müßt Ihr auf den rechhaberischen kritischen Sperone.«

»Geht schon deswegen nicht«, antwortete der Dichter, »weil ich ihn jetzt eben in Rom gesprochen habe, und er sich recht freundlich gegen mich erwiesen hat. – Also um fortzufahren: ich wandelte dort in den Bergen von Perugia sinnend umher, voll Launen und Projekte, Verdruß und Freude. So kam ich auf ein grünes Feld in der Abendstunde, die Sonne ging unter und es gemahnte mich, noch immer draußen zu bleiben. Mit einem Male blitzt mich aus dem grünen Gebüsch vor mir etwas so großäugig an, so unnatürlich feurig, daß ich dachte, die Sonne wäre vielleicht umgekehrt: und nun sah ich's, und es war Venus, der Abendstern. Aber noch nie hatte ich ihn in dieser Herrlichkeit gesehn.