Vittoria vermutete, daß auch dieser ein Dichter sein könne, da er mit dem alten Hausfreunde erschien, und die Gelehrten aus allen Provinzen Italiens gern die Familie der Accoromboni aufsuchten. Der Fremde war sehr freundlich und von den edelsten Sitten, mehr ernst als heiter, und auf seinen Wunsch beschloß man die Villa d'Este zu besuchen, von deren Pracht und Schönheit in ganz Italien die Rede war.

Als sie die Villa erreicht hatten, ward ihnen der Eingang gestattet, weil die Besitzerin nicht zugegen war. Der Fremde schien sehr aufgeregt und ward von den Kostbarkeiten, Gemälden und dem Schmuck der Zimmer entzückt: und begeistert. »Wie glücklich«, sagte er, »könnten die Fürsten sein, denen alles dies zu Gebot steht, und die sich ein solches Dasein bereiten mögen. So umgeben, nichts Niedriges, Ärmliches in ihrer Nähe, wohin sie blicken nur von Kunst angeschaut, von Schönheit umleuchtet, Erinnerung an Geschichte und große Vergangenheit, die edelsten Geister, die Raffael, Michelangelo und Julius der Römer für sie in Tätigkeit – und doch –«

»Ja wohl«, sagte die ernste Matrone, »wohnt nur sehr selten in diesen herrlichen Palästen das wahre Glück. Das Schicksal und die Umstände, die Verhältnisse des Menschen sind immer mächtiger, als der Mensch selber. Der Einsame, Unabhängige stürzt sich aus seiner Freiheit in Dienst und Abhängigkeit, um das zu suchen, was er Glück nennt: und jener, der im Glück zu schwelgen scheint, von vornehmen Freunden umgeben, im Glanz des Reichtums, wünscht sich nur allzuoft in die verlassene Einsamkeit des dürftigen Waldbruders. Freiheit ist ein edles Wort und hat einen herrlichen Klang, es ist aber nur ein Wort, ein verhallendes, ohne Wesen und Inhalt. Die wahre Freiheit ist nur im Tode.«

Der Fremde sah die hohe Frau verwundert an, und Caporale sagte: »Ihr seid heut, verehrte Freundin, aufgeregt; gönnt der Natur und dem schönen klaren Licht, das so herrlich dort die Gebirge beglänzt, Euch aufzuheitern.«

»Zu zerstreuen«, sagte sie: »muß doch das Edelste der Natur und Schöpfung nur gar zu oft, sich herabwürdigend, dazu dienen, uns von uns selbst zu entfernen.«

»Um uns doch nur«, bemerkte der Fremde, »dort in diesen Gegenständen edler und vollkommener wiederzufinden. Das Wahre, Gute in uns kann uns niemals verlorengehn.«

»Weil es vielleicht nicht da ist«, sagte Signora Julia, tief seufzend. »Verzeiht, mein edler Herr, dessen Namen ich noch nicht einmal weiß: Eure Liebenswürdigkeit hat mich verleitet, Euch nach dem ersten Anblick als einen alten Freund des Hauses zu behandeln, vor dem ich nicht nötig habe, meinen Kummer zu verbergen. Doch ist es wohl besser und schicklicher, hier in diesen poetischen Umgebungen eine andre Sprache zu führen.«

Jetzt verließen sie das Haus und betraten den schönen, künstlichen Garten. Vittoria ging schweigend an der Seite der Mutter, auch der heitre Don Cesare war ernst geworden, und der Fremde war ganz der Betrachtung und Bewunderung der vielfachen Anlagen, dem Wechsel der Gebüsche, der Majestät der Bäume, der Pinien und Zypressen, dem schimmernden Glanz der vielfachen Blumenbeete hingegeben. Am meisten entzückten ihn aber die mannigfaltigen Wasserkünste, die in sinnreichen und versteckten Erfindungen bald in kleinen Erzfiguren den Gesang der Vögel nachahmten, bald aus menschlichen Gestalten die Töne der Laute und vielfachen Gesang bildeten; so wechselten Sirenen und Wassertiere in seltsamen Gruppen, so spielten die Nereiden und Pan und Schäfer die Wasserorgeln, die Syrinx und Flöten und Pfeifen, dort klang die ländliche Schalmei und ferner ab rieselte das Element, welches erst zur künstlichen Musik abgerichtet war, als klarer Bach in seinen Naturtönen dahin.

Als der Fremde in den Ausdrücken seines Lobes immer enthusiastischer wurde, konnte Vittoria nicht länger schweigen, sondern ließ sich, beinah zürnend, in diesen Worten aus: »Ich weiß es wohl, daß alle Welt diesen Garten und diese tönenden Kunststücke bewundert. Ärgert Euch nicht an mir, teurer Mann, wenn ich Euch gestehe, daß ich immer nur ohne Freude diesen Plan betreten habe, da es mir schien, als wenn Kunst und Natur hier gleich sehr verletzt würden. Die wahre echte Kunst ist hier in eine Künstlichkeit, in eine Seltsamkeit hineingeschraubt, die wohl Erstaunen und Verwunderung, nicht aber wahre Freude erregen kann. Die Natur ist gewissermaßen vernichtet, denn sie muß hier in den sklavischen Dienst von gezierten Spielereien treten, die nicht einmal eine Täuschung hervorbringen können, und die ermüden, wenn man den ersten Genuß der Neugier und Verwunderung hinter sich hat. Wie anders wirkt ein gutes Gemälde, ein Werk des Bildhauers, Palestrinas Musik, eine freie Landschaft, dort der himmlische Wasserfall. Ist es nicht hier, als wenn man die Träume eines Fieberkranken wirklichmachen, und etwas erreichen wollte, was über unser menschliches Vermögen hinausreicht? Jedesmal aber, wenn der Mensch einen solchen Versuch eitlen Hochmuts unternimmt, sinkt er unter sich selber hinab.«

»Ei! ei! mein schönes Fräulein«, rief der Fremde, sie verwundert ansehend, »wie erklingen in so zarter Silberstimme aus so reizendem Munde diese herben, verdammenden Worte? Hat Euch niemals eine Sestine, oder eine recht künstliche Kanzone begeistert? Wie haben unsre Natursprache, den Laut, der immer so gern wieder in das Bäurische zurückfällt, unsere Petrarka, Bembo, Molza, Bernard Tasso, und so manche andre erzogen! Und diese mechanischen Erfindungen, die an sich selbst nur Staunen und ein leichtes Ergötzen erregen könnten, sollten vom Genius nicht in seinen Dienst genommen werden, um auch diese Dinge, die auf Linien, mathematischen Grundsätzen und arithmetischen Zahlenverhältnissen ruhen, in die höchste poetische Freiheit der Phantasie einzuführen? Wenn Euch dort die Natur und der erhabene Wasserfall mit Recht begeistert und für Momente Eure ganze Seele ausfüllt, so ist hier dieselbe Natur in ihrer lieblichen Erscheinung nur in eine Regel gebunden, um sie wieder auf andre Weise in die höchste poetische Freiheit hineinzuführen. Diese geraden Baumgänge, diese abgeteilten und abgezirkelten Blumenbeete sind ja nur wie die Stanzen oder Terzinen eines lieblichen Gedichts, wo das Wort der gewöhnlichen Rede auch mit wahrer kindlicher Freude, mit Übermut, in die Regel hineinspringt, um sich selber süß und edler zu vernehmen. Und diese Wasser, Bildsäulen, Vögel, Scherz und Ernst, Schauer und sanfte Wollust, in diesen krausen Gebüschen, zwischen Myrten und Lorbeer und den finstern Zypressen, die ausgebreitete Pinie dort, das Rieseln, Flüstern in den Wipfeln, mit Duft und Echo gemischt, diese fast menschlichen Töne, der Vogelgesang, dort das Gebirge, über uns des Himmels lichte Bläue, das süße Spiel der Lichter, der dunkelnde Schatten – braucht der Mensch in diesem Traum der Wollust noch jenen Jupiter um seine Göttersäle zu beneiden?«

»Schön!« sagte die Mutter, »sieh, mein Kind, da hast du einmal einen Gegner gefunden, der dir deinen Eigensinn brechen könnte, wenn es ihm wichtig genug wäre, dich in die Lehre zu nehmen.«

»Kann sein«, sagte Vittoria, »daß dasjenige, was ich Natur, Schönheit und Freiheit nennen möchte, doch wieder ein zu enger Begriff ist, der wohl wieder zur Gebundenheit und Unfreiheit führen könnte. Und doch mag ich mein Wesen nicht willkürlich erziehn; ich muß erst das selbst in mir erleben, was eben jetzt der werte Fremde ausgesprochen hat: es ist mir unmöglich, nachzusprechen, was ich nicht selbst einsehe, oder künstliche Wege zu suchen, um mein nächstes Gefühl gegen meine Natur mir zu erziehn. Auch bei Büchern und Gedichten habe ich es nie vermocht und ich will lieber für mich selbst irregehn, als nachfühlend und sprechend mit einem andern recht haben.«

Doch, meinte der Fremde, müsse man sich vielleicht in Schriften und Gedichten nach andern und jenen Regeln fügen, die sich schon seit alten Zeiten als Kritik geltend gemacht hätten.

»So widersprecht Ihr Euch aber selber!« rief Vittoria aus. – Sie hätten wohl länger gestritten, wenn nicht eine merkwürdige Erscheinung, die sich jetzt in der Nähe zeigte, ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte. Ein alte Frau trat in Begleitung eines jungen, sehr reich gekleideten Mannes, aus dem nahen Gebüsch. Sie war groß und stark, von männlichem Ausdruck und bräunlicher Farbe, an Kinn und Oberlippe zeigte sich selbst ein leichtes Bärtchen. Alle verbeugten sich ehrerbietig, standen still, und ließen die beiden Gestalten vorübergehen, die sich dem Schlosse zuwendeten. Als sie enfernt genug waren, fragte der Fremde: »Wer war diese Dame, die fast das Ansehn eines starken, ältlichen Mannes hatte?« -»Die jetzige Besitzerin dieser Villa«, nahm Caporale das Wort, »jene weltberühmte Margarete von Parma, die Tochter des großen Kaisers, des fünften Karl.«

»Ist es möglich«, rief der Fremde aus, und schlug die Hände ineinander, »daß ich gerade hier eines solchen Anblicks gewürdigt werden soll? Dieses Denkmal alter Begebenheiten, dieses große Monument mächtiger Zeiten, dieser freie große Charakter unsrer Geschichte ist an mir vorübergegangen, wie ein Bild des Phidias oder Lysippus. Aus dem Traum der Poesie und Kunst halb erwacht, stehe ich plötzlich in der Wundersage der Historie, und es fehlt mir an einem Maßstabe, mich gleich wieder zurechtzufinden. Sie, die Arme, die aus Politik, fast noch ein Kind, einem grausamen, wilden Medicäer, dem Herzog von Florenz, Alexander vermählt ward, die dann seine Ermordung erleben mußte, (volle vierzig Jahr sind es jetzt,) die nachher wieder verheiratet wurde, dann vom Bruder als Regentin nach den Niederlanden geschickt ward, wo sie sich als wahre Königin klug, stark und groß zeigte, in der schwierigsten Lage, ein echtes, edles Gegenbild jener großen Elisabeth von England, bis sie falscher Politik, der Kabale und dem blutdürstigen Herzog Alba weichen mußte.