Vittoria war nachdenkend und Flaminio tief gerührt.

Als Camillo zu seinem alten Oheim kam und ihm die sonderbare Begebenheit erzählte, sagte der verdrießliche Mann: »Immer Kindereien getrieben, die zum größten Unheil ausschlagen können. Wenn ihr nun beide ertrunken und vom Strudel verschlungen wärt! Ich hab es dir schon oft gesagt: der Umgang mit diesem hochmütigen Volke ziemt dir einfachem Bürgerkinde nicht. Was kannst du von ihnen erlangen? Du wirst mit deinem Stande unzufrieden werden und deine Zeit verlieren, und wenn du jeden Tag mit Leib-und Lebensgefahr einen von ihnen aus dem Wasser ziehst, hast du keinen Dank davon. Das geht mit Kardinälen und Baronen um; wenn der hochnasige Abt, der älteste Bruder einmal herkommt, sieht er mich kaum über die Achsel an. Der lange Mensch wird mir niemals etwas zu Gefallen tun, sosehr ich mich auch vor ihm demütige. – Jetzt in deine Kammer da hinein! Zieh dich aus, kriech ins Bett, daß du warm wirst, ich will dir das Essen hineinschicken.«

Camillo gehorchte ihm gern, nur um mit sich allein zu sein. Fast ohne zu wissen, was er tat, kleidete er sich aus, legte sich nieder, und träumte die Begebenheit immer wieder von neuem. »Gott im Himmel!« sprach er zu sich selbst: »wer bin ich? Und sie hat mich du genannt. Diesem himmlischen Munde habe ich Küsse rauben dürfen, und, ich habe es im Taumel wohl gefühlt, sie hat mich wiedergeküßt. Nachher wendete sie sich weg, aber wie freundlich, wie zärtlich! Und das Angesicht! der Busen! O was kann Marmor, Farbe nachbilden, wenn die Wahrheit, das Leben sich uns nahe und wirklich so hinstellt! – Ich habe gelebt. – Diesen Körper nahe am meinigen gefühlt, gedrückt, das Pochen ihres Herzens empfunden. – Und – der eine Augenblick – wo sich das Gewand weghob im Emporringen, und Bein und Knie sich entblößten. – Kann ich diesen Glanz je wieder vergessen? Wird die Erinnerung daran mich nicht elend, wohl gar rasend machen? – Wie matt ist Licht und Schimmer und Farbe und glänzendes Weiß gegen den Glanz und die Herrlichkeit, die uns der Körper eines schönen Weibes offenbart! Und diesen Himmel, einmal geschaut, will das Auge immer wieder sehn. – Wozu noch leben? Diese Momente kehren niemals, niemals wieder. – Hätte ich nicht vielleicht besser getan, mich mit ihr vom Strudel nieder in den ewig dunkeln Abgrund hinunterwälzen zu lassen? Sie zu morden, statt sie zu retten? Wissen wir denn, was der Tod ist? Mir wäre er Wollust, Himmel, Seligkeit gewesen, wenn auch im Grauen der Verzweiflung.«

So phantasierte Camillo und konnte weder den Schlaf finden, noch wirklich wach sein.

 

Zweites Kapitel

 

Da die Familie Accoromboni sehr viele Bekannte und Freunde hatte, vorzüglich im nahen Rom, so war es natürlich, daß alle diejenigen, die von ihnen wußten, bald durch das Gerücht jene Begebenheit erfuhren, und zwar mit Übertreibungen, so daß manche glauben mußten, die junge und schöne Vittoria sei der Welt durch einen frühzeitigen Tod entrissen worden. Die Mutter, welche ihre tiefe Rührung verbarg, da sie die Äußerung einer jeden Schwäche scheute, hoffte den jungen Camillo bald wiederzusehn, und ihm noch einmal Dank zu sagen, und bei ihm selbst zu erforschen, auf welche Art sie ihm vielleicht auf seinem künftigen Lebenswege nützlich sein könne. Als er aber nicht erschien, ward sie besorgt, und Vittoria noch mehr, daß der Jüngling wohl erkrankt sein könne, denn sie konnten nicht glauben, daß er, ohne von ihnen Abschied zu nehmen, nach Rom zurückgereiset wäre. In dieser Erwartung sagte die Mutter zur Tochter an einem Morgen: »Mein Kind, es ziemt sich nicht, daß wir uns um den jungen Menschen, dem wir dein Leben zu danken haben, so gar nicht kümmern. Er ist arm, seine Eltern, wie ich gehört habe, leben in der Stadt nur sehr kümmerlich, man sagt, daß er sich dem geistlichen Stande widmen soll, wir müssen also irgendeine Summe ihm oder seinen Eltern einhändigen, damit er seine Studien bequemer fortsetzen könne, und ihn nachher einigen unsrer wohlwollenden Gönner dringend empfehlen, damit er bald zu einer einträglichen Stelle befördert werde, so daß er nachher seine armen Eltern selber unterstützen kann. Bei solchen Gelegenheiten kehrt mir immer wieder der Wunsch zurück, daß ich reich sein möchte, um durch meine Wohltat das Glück eines solchen Hülfsbedürftigen auf dauernde Weise gründen zu können. Auf jeden Fall werde ich ihm die hundert Scudi geben, die ich neulich für unerwartete Fälle von meinem Ersparnis zurücklegen konnte. Empfehlung, wenn sie wirksam ist, kann nachher als eine große Summe angerechnet werden. Was meint ihr, Kinder, Flaminio und du, Vittoria, zu dieser meiner Absicht?«

Flaminio stimmte unbedingt der Mutter bei, doch Vittoria schüttelte lächelnd den Kopf, so daß die Mutter sie betroffen ansah und mit ihrem forschenden Blicke ihre Meinung erraten wollte. »Nein! nein!« rief das lebhafte Mädchen, »glaubt mir nur, unser Camillo ist ganz anders, als wie ihr ihn euch denkt. Ich habe ihn seit lange beobachtet und kenne ihn ganz genau. So blöde das junge Wesen scheint, so schwachgemut und ungewiß in seinem Denken und Tun, was vielleicht daher komme, daß sein Charakter noch nicht ausgebildet ist, so stolz ist doch dieser Jüngling, so daß er gewiß, verwundet und gekränkt, diese Wohltat, die ihm wohl gar als eine Bezahlung erscheinen möchte, ausschlagen würde. Glaube auch nicht, liebe Mutter, daß es sein Wunsch ist, ein Geistlicher zu werden. Er hat mir schon vor einigen Monaten in Rom bekannt, daß ihm dieser Stand verhaßt sei; Soldat möchte er werden, oder als Handelsmann auf Reisen gehn, eine Seefahrt versuchen und fremde Länder sehn. Wunderliche Schicksale der Seeleute, der großen Feldherren und Condottieri – das reizt ihn, solche Bücher, wie das alte Gedicht von dem Feldhauptmann Piccinini, liest er am liebsten, und versäumt, wie er nur irgend kann, Messe und Gottesdienst, so daß ihm auch viele seiner Schulgenossen feind sind und ihn erbost nur den Ketzer und Lutheraner nennen. – Und dann – hundert Scudi! Liebe Mutter – wenn ich nun doch einmal bezahlt werden soll bin ich denn nicht mehr wert? Diese Taxe ist allzu gering, dafür schlage ich mein Hündchen noch nicht einmal los.«

»Törichtes Wesen!« sagte die Mutter lächelnd, »wie kindisch du zuweilen sprechen kannst, da dich doch viele kluge Männer in manchen Stunden wegen deines Verstandes bewundern wollen.